
In Berlin standen sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und sein Herausforderer Friedrich Merz (CDU) am Sonntagabend beim TV-Duell von ARD und ZDF gegenüber – und demonstrierten deutlich, wer von beiden der kleinere Mann ist. Und damit ist nicht die Körpergröße des Kanzlers gemeint – ein durchschnittlicher Friedrich Merz, der stark anfing und zum Schluss stark nachließ, marschierte trotz allem weitgehend souverän durch das Kanzlerduell. Das lag vor allem an der bodenlosen Performance von Olaf Scholz.
Dabei hatten die Moderatorinnen Sandra Maischberger und Maybrit Illner ihm sogar den ersten Aufschlag auf dem Silbertablett serviert: Die Eröffnungsfrage widmete sich der Abstimmung im Bundestag von vor anderthalb Wochen, bei der die Union einen Antrag mit der AfD durchbrachte.
Und der Kanzler dreht seine performative Empörung direkt voll auf: Dass Merz sich am Ende gar mit AfD-Stimmen zum Kanzler wählen lassen könnte, sei seine „ernste Sorge“, erzählt Scholz. Merz reagiert direkt und stellte erneut klar: „Wir werden das nicht tun. Uns trennen in Sachfragen Welten (…) es gibt keine Gemeinsamkeiten zwischen AfD und Union“. Auch in der vorletzten Woche im Bundestag habe es „keine Zusammenarbeit“ gegeben. Das gelte auch weiterhin: „Es wird diese Zusammenarbeit nicht geben“.
Scholz entgegnet, auch das Vorgehen vergangene Woche habe Merz einst ausgeschlossen. Deswegen könne man ihm nicht vertrauen. Da versenkt Merz einen Wirkungstreffer: Er haut Scholz sein Zitat aus dem Sommer 2023 um die Ohren. „Niemand sollte sich davon abhängig machen, wie die AfD stimmt“, hatte dieser damals der Thüringer Allgemeinen gesagt. Dieses Zitat zog Merz aus seinem Jackett – und traf den Kanzler damit im Stile einer vollen Breitseite. Scholz erklärt eilig, sein Zitat habe sich auf die kommunale Ebene bezogen, doch das kommt nicht so wirklich an – Punkt für Merz.
Das #TVDuell läuft erst seit 10 Minuten und Scholz wurde bereits gegrillt. Autsch. pic.twitter.com/HhnULgIqUu
— Chris (unseriös) (@CUnserios) February 9, 2025
Die Moderatorinnen bleiben beim Thema – Warum habe Merz nicht noch vier Wochen gewartet und dann seine Migrationspolitik umgesetzt, sondern scheinbar blitzartig im Bundestag gehandelt habe, wollen Sie von ihm wissen. Merz antwortet: Bis er eine Regierung gebildet habe, würden noch Monate vergehen.
Er erklärt, dass er es mit seinem „Gewissen nicht mehr verantworten kann“, länger zu warten. Er habe eine notwendige Wende in der Migrationspolitik angestrebt – nach einer Tat wie dem tödlichen Messerangriff von Aschaffenburg habe sein Gewissen ihn dazu gezwungen. Scholz hätte die Verantwortung einfach von sich gewiesen.
„Damit war ich nicht einverstanden. Und deshalb habe ich diesen Vorschlag gemacht“, sagt Merz mit Blick auf das Zustrombegrenzungsgesetz. „Ich habe vier Stunden um die Zustimmung von SPD und Grünen geworben“ – mit der AfD hat er nicht geredet. Maybrit Illner spricht weiter über die Demos „gegen Rechts“ und die Aufregung um die Abstimmung – und hält ihm vor, dass der Journalist Michel Friedman deswegen unter Protest die CDU verlassen habe. Wie sehr das Merz schmerzen würde, will sie wissen.
Doch der umgeht ihre Frage einfach: „Mich schmerzt, Frau Illner, dass wir in diesem Lande Demonstrationen haben, die über dieses Thema ,Kampf gegen Rechts‘ geführt werden – aber kaum jemand in unserem Land noch an die Opfer denkt, an die Familien denkt und dafür vielleicht mal auf die Straße geht.“ Illner lässt aber nicht locker. Merz antwortet, einem Austritt Friedmans stände ein vielfaches an Eintritten gegenüber. „Wir bekommen für diesen Kurs eine sehr große Zustimmung in der Bevölkerung.“
Scholz will den Bürgern erklären, dass „wir uns alle Sorgen machen müssen“ – wegen einer Abstimmung, nicht wegen der eingewanderten Messergewalt. Er habe einen „toughen Kurs“ in der Migration gefahren, die Zahlen der illegalen Einwanderung massiv gesenkt. „Die Bundesregierung hat ja nicht nichts getan“, räumt Merz ein – Scholz bedankt sich.
Aber Merz stellt auch klar: „Herr Scholz, wir haben immer noch in vier Tagen soviel Zuwanderer, wie in einem Monat abgeschoben werden (…) wir haben in den drei Jahren ihrer Amtszeit in Deutschland weit über zwei Millionen irreguläre Migranten. Das ist mehr als die Einwohner der Stadt Hamburg.“ Insbesondere die Grünen hätten in der Scholz-Regierung blockiert. Viele seiner Maßnahmen seien mit SPD und Grünen auf der Strecke geblieben. „Sie kriegen es in ihrer Koalition nicht so hin, wie es notwendig wäre.“
Scholz entgegnet, die CDU würde viele Maßnahmen aufhalten – etwa das gemeinsame europäische Asylsystem GEAS. Scholz versucht noch einmal, auf weitere Erfolge zu verweisen – „wir sind auf die richtige Straße eingebogen“, sagt der Kanzler. Er behauptet auch erneut, die Vorschläge von Merz und der CDU seien grundgesetzwidrig – das stimmt nicht.
Was Merz ihm auch klarmacht: Sowohl Verfassungs- als auch Europarecht würden das nicht verbieten. „Sie beschreiben eine Situation, die mit der Wirklichkeit in unserem Land wenig zu tun hat.“ Er hält ihm auch den Historiker Heinrich August Winkler vor – ein SPD-Mitglied – der meint: Zurückweisungen seien legal. Er schrieb es im Spiegel. Der Verweis auf GEAS sei eine Nebelkerze. Merz empfiehlt Scholz, das Grundgesetz einfach mal zu lesen. Schlussendlich meint er: „Herr Scholz, Bitte! Sie leben nicht in dieser Welt. Sie leben in einem Märchenschloss.“
Stark. #KanzlerDuell pic.twitter.com/GYELK30Awo
— Anabel Schunke (@ainyrockstar) February 9, 2025
Bei Migration kam Scholz schon ins Schwimmen – beim Thema Wirtschaft geht er unter. Direkt zu Beginn konfrontiert Illner den Kanzler mit der Meinung einer Expertin, die von einer „Deindustrialisierung“ in Deutschland spricht. Doch diese Realität existiert für den Kanzler nicht – mit der Attestierung einer Deindustrialisierung „hat sie nicht“ Recht, behauptet er. „Wir sind das Land mit der höchsten Industriedichte der G7-Staaten“, trägt Scholz vor – dass sich das gerade radikal ändert, ignoriert er einfach.
„Ich bin einigermaßen erstaunt, welche Wahrnehmung Sie haben! Wir sind jetzt im dritten Jahr einer Rezession“, kontert Merz. „Wir haben drei Millionen Arbeitslose in Deutschland, mit steigender Tendenz (…) Wir haben eine Insolvenzwelle wie nie – 50.000 Unternehmen sind in ihrer Amtszeit in die Insolvenz gegangen. (…) Und dann sprechen Sie davon, wir hätten keine Deindustrialisierung – was ist denn der Verlust von 300.000 Arbeitsplätzen in der Industrie anderes?“ Merz trägt Fakten vor, die Scholz‘ desaströse Wirtschaftspolitik darstellen. „Ich bin einigermaßen erschüttert, mit welcher Wahrnehmung Sie den Zustand unserer Wirtschaft beschreiben.“
Scholz, mittlerweile sichtlich innerlich kochend, antwortet patzig – eine Bemerkung wollte er sich erlauben. „Ich habe die Ukraine nicht überfallen. Ich habe die Gaslieferungen nicht eingestellt.“ Da stöhnt selbst Maischberger auf. Doch Scholz macht weiter: Das mit der Wirtschaftskrise, „das war Putin“, sagt er.
„Ich habe die Ukraine nicht überfallen. Ich habe die Gaslieferungen nicht eingestellt.“
Dieser Moment im #TVDuell sagt alles über Scholz. Kleingeistig, patzig, ohne Verantwortungsgefühl. Er sollte nicht mal Präsident eines Kleingartenvereins sein. pic.twitter.com/GCiO6Fj5aG
— Max Roland (@maxroland20) February 9, 2025
Bemerkenswert ist in diesem Abschnitt auch Scholz‘ Behauptung, dass die Abschaltung der Kernkraftwerke in einer Energiekrise mit der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland „nix“ zu tun habe. Merz hatte ihn gefragt: „Warum in Gottes Namen schalten Sie denn mitten in einer Energiekrise drei funktionierende, sauber laufende Kernkraftwerke ab?“ Diese „Schnapsidee“ hätte kein anderes Land gehabt – und sei „Irrsinn“. Zur Wahrheit gehört hier natürlich auch, dass Scholz damit einen Atomausstieg vollzog, den auch die CDU mitbeschlossen hatte – worauf er auch richtigerweise hinweist.
Dem Kanzler merkt man innerliche Unruhe an, in seinem Gesicht spiegeln sich Frustration und Ärger – trotzdem tanzt er seine Traumtänze in einer anderen Realität weiter. Streckenweise hat das, was Scholz vorträgt, wirklich wenig mit der Realität zu tun. Etwa auch, als er Merz vorwirft, die Steuern für die Reichen senken zu wollen. Merz entgegnet hier völlig zurecht, dass die Senkung der Einkommenssteuern vor allem den mittelständischen Unternehmen zugutekommen würde, die betriebliche Steuern gemäß Einkommenssteuersatz zahlen. Wissentlicher Populismus oder bloße Unwissenheit des Kanzlers? Jedenfalls kein guter Auftritt, und das gilt nicht nur in dieser Frage.
In seiner inzwischen typischen Entrücktheit schwebt Scholz durch das TV-Duell und tritt so schlecht auf, dass die über die Zeit immer schlechter werdende Performance von Merz gar nicht so sehr auffällt. Trotzdem bemerkt man einige Aussetzer, Patzer und schlechte Aussagen. Auf die Frage der Moderation etwa, ob man die ausufernde Bürokratie in Deutschland mit einer „Kettensäge“ stutzen müsste, lawiert Merz herum – ihm gefalle dieses Bild nicht. Von Argentiniens Milei, der das Bild prägte, hatte er sich im November ja deutlich distanziert und wahrheitswidrig behauptet, er ruiniere das Land. Scholz hingegen antwortet kurz und klar: „Stimmt.“ Wer ist hier Oppositionsführer? Auch bei der Frage der Schuldenbremse wackelt er.
Merz hat hier Glück, dass der Bundeskanzler einen grandios schlechten Auftritt hinlegt. Scholz spricht völlig abgekoppelt von seiner eigenen Regierung, von der Realität, von den Zuständen im Land. Falls es ein Problem im Land gibt, ist es nicht seine Schuld – er hat alles richtig gemacht, ist Scholz sich sicher. Gerät er in Bedrängnis, wird er aggressiv und vergreift sich teilweise im Ton. Die Realität watscht er mit einem „Nö“ ab.
Scholz gibt sich sogar sicher, dass er die Wahl noch gewinnen werde – obwohl die SPD halb so stark ist wie die Union und bei historisch schlechten 15 Prozent dümpelt. „Ich bin überzeugt“, sagt Scholz, „dass die Menschen anders entscheiden werden, als Herr Merz sich das gerade ausmalt und ich das Mandat für Koalitionsgespräche bekomme.“ Der Kanzler balanciert den ganzen Abend hart auf der Grenze zwischen Selbstvertrauen und Wahnsinn, aber spätesten hier kippt er über. Ein grandios schlechter Auftritt – fern von Kanzler-Format, fern von der Realität. Sein wütendes Gesicht spiegelt nur die Frustration über den eigenen Untergang.