
Ich wollte über die jüngsten Frauenmorde schreiben – weil sie mich erschüttern, weil sie mir den Atem nehmen. Weil ich den Opfern eine Stimme geben will. Ich wollte schreiben: Frauenleben sind nicht verhandelbar. Doch schon während meiner Recherche wurde klar: Frauen sind die ersten, die verwundbarsten Opfer – aber eine bestimmte Form der Gewalt hat längst das ganze Land erfasst. Sie bricht in Straßenbahnen aus, auf Stadtfesten, auf dem Heimweg, sogar mitten im Einsatz für den Staat.
Was einst vor allem Frauen und Mädchen traf, trifft heute alle. Und die Zahlen zeigen: Es wird mehr, es wird brutaler, es wird tödlicher. Eine neue Normalität hat sich eingeschlichen – eine Normalität, die unser Verständnis von Sicherheit und Schutz untergräbt. Darum schreibe ich weiterhin: Menschenleben – und Sicherheit selbst – sind nicht verhandelbar.
Am 23. August 2024 griff ein 26-jähriger Syrer während des Festivals der Vielfalt in Solingen mit einem Tranchiermesser wahllos Besucher an – drei Menschen starben, acht wurden verletzt. Der Täter wurde als Issa al Hasan identifiziert; der „Islamische Staat“ reklamierte die Tat für sich. Ausgerechnet ein Festival, das Offenheit und Sicherheit symbolisieren sollte, endete mit einem Blutbad. Vielfalt ohne Schutz wird zur tödlichen Illusion.
Der Mann war den Behörden bekannt. Nach dem Dublin-Verfahren hätte er 2023 nach Bulgarien abgeschoben werden sollen, die Abschiebung scheiterte an Zuständigkeitsfragen, fehlender Rückmeldung durch Unterbringungsstellen und formalen Lücken im Verfahren. Wie die nordrhein-westfälische Integrationsministerin Josefine Paul später einräumte: Eine sechstägige Abwesenheit im April 2023 hätte gemeldet werden müssen, doch sie wurde es nicht.
„Eine Nacht brennt sich ein … Er hätte gar nicht mehr hier sein dürfen“, schrieb das Solinger Tageblatt zum Jahrestag des Anschlags. Ein Mensch, der längst hätte abgeschoben werden können, blieb und tötete. Man nennt es „Behördenversagen“. Ich nenne es Mittäterschaft durch Unterlassen.
In der Nacht zum 24. Juli 2025 kam es in einer Dresdner Straßenbahn zu einer grotesken Gewaltszene: Zwei Männer belästigen weibliche Fahrgäste. Ein 21-jähriger US-Bürger stellt sich schützend vor sie – und wird mit einem Messer ins Gesicht gestochen. Er überlebt schwer verletzt.
Einer der Täter, ein syrischer Intensivtäter, wurde festgenommen – aber noch am selben Tag wieder freigelassen. Der zweite ist bis heute flüchtig.
In einer Videobotschaft fragte der junge Amerikaner später: „Wo ist das Gesetz? Wo ist die Ordnung?“ – eine Frage, die längst viele Menschen in diesem Land stellen. Der Angriff entlarvt, wie dünn der Faden ist, an dem unsere Zivilgesellschaft hängt, und wie teuer Zivilcourage heute bezahlt wird.
In der Nacht zum 20. August 2025 wurde die 17-jährige Lisa erstochen – auf dem Heimweg. Sie rief noch den Notruf, doch um 4:15 Uhr fanden Einsatzkräfte sie tot, mit mehreren Stichverletzungen, unter anderem am Hals.
Ein 22-jähriger Mann, wohnhaft in einer Flüchtlingsunterkunft (COA) in Amsterdam, wurde als Tatverdächtiger festgenommen. Er steht unter Verdacht, nicht nur Lisa ermordet, sondern auch am 15. August eine Frau vergewaltigt sowie bereits fünf Tage zuvor eine weitere Frau angegriffen zu haben.
Die niederländischen Behörden verweigern bis heute Angaben zu seiner Herkunft: Man wolle die Bürger nicht „auf falsche Gedanken“ bringen, wie De Telegraaf berichtet; gleichzeitig betonten Staatsanwaltschaft und Polizei, seine Identität oder Herkunft sei für die juristische Bewertung „irrelevant“.
Ein junges Mädchen. Allein auf dem Heimweg. Ein Notruf, dem die Einsatzkräfte nicht rechtzeitig nachkommen können. Und eine Gesellschaft, die so abgestumpft ist, dass ein derart brutales Verbrechen in der Fernsehkriminalität unter „Panorama – was sonst noch passierte“ abgehandelt wird. „The red handbag. I keep thinking about the red handbag … A night that belonged to her too.“
Dieses Bild der niederländischen Autorin Nienke ’s Gravemade ist ein Schrei gegen die Normalisierung von Angst und die Vereinnahmung des öffentlichen Raums durch Gewalt.
Das Problem besteht nicht nur in Deutschland. Es besteht in ganz Europa. Die gemeinsame Klammer: offene Grenzen, geschlossene Augen vor der Sicherheit der Bürger.
Am 20. August 2025 überfiel der 18-jährige Ahmet G., deutsch-türkischer Staatsbürger, eine Tankstelle in Völklingen (Saarland). Auf der Flucht traf er auf die Polizei. In einem Gerangel entriss er einem Beamten die Dienstwaffe, und eröffnete das Feuer. Polizeioberkommissar Simon B. (34) wurde mit sechs Schüssen getötet – mehrere davon trafen ihn, als er bereits am Boden lag. Ein Kommissaranwärter überlebte nur dank seiner Schutzweste. Der Täter selbst wurde im Schusswechsel verletzt; im Krankenhaus spuckte er Polizisten an und musste fixiert werden
Die Obduktion bestätigte: Simon B. starb an massiven Blutverlusten nach Schüssen in Kopf und Rumpf – eine Tat, die Augenzeugen als „Hinrichtung“ bezeichneten. Wenn selbst Beamte im Dienst, bewaffnet und ausgebildet, Opfer solcher Gewalt werden – was sagt das über den Schutz aus, den normale Bürgerinnen und Bürger noch erwarten dürfen?
Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS 2023) zeigt, was die Einzelfälle von Solingen bis Völklingen bereits andeuten: Gewalt ist kein gleichmäßig verteiltes Phänomen.
Diese Zahlen sind nüchtern, amtlich, überprüfbar. Sie zu benennen ist keine Stimmungsmache, sondern Pflicht, denn jedes Verschweigen macht die Opfer unsichtbar. Wer die Statistik verschweigt, verweigert nicht nur die Wahrheit, er verweigert den Opfern ihre Würde.
Diese Zahlen sind keine abstrakten Tabellen – sie übersetzen sich in das „Pass auf dich auf“, das Eltern ihren Kindern mitgeben, in das Zittern auf dem Heimweg, in das resignierte Kopfschütteln, wenn ein mutiger Mensch einmal eingreift.
Die Situation von Frauen in einem Land bestimmt sich nicht darüber, wie viele Frauen in Vorständen sitzen, sondern darüber, wie Töchter aufwachsen. Können sie unbeschwert über den Schulhof rennen? Können sie allein nach Hause gehen? In Deutschland lautet die Antwort seit langem: nein.
Zu früh müssen Mädchen lernen, dass sie sich klein machen sollen, dass sie schneller laufen müssen, dass Vertrauen ein Risiko ist. Ich wollte für sie sprechen, für die Frauen, die Mädchen, die Mütter, die Töchter. Doch inzwischen zeigt jede Tat: Die Gewalt frisst sich durch die ganze Gesellschaft.
Wer Mut zeigt, zahlt mit Blut. Der Student in Dresden, der Polizist in Völklingen: Wer schützen will, riskiert sein Leben oder wird getötet. Die Opfer, die überleben, verstummen. Sie ziehen sich zurück, verschwinden aus der Öffentlichkeit. Unsichtbar gemacht, oft auch so gewollt.
So wächst eine Gesellschaft der Angst. In ihr spielt das Geschlecht irgendwann keine Rolle mehr. Frauen, Männer, Kinder, alle lernen, dass Schweigen sicherer ist als Reden, dass Wegsehen weniger kostet als Eingreifen. Und Eltern stellen sich die grausamste aller Fragen: Was bedeutet es, ein Kind in eine Welt zu setzen, in der Mut gefährlich und Vertrauen tödlich sein kann?
Was soll ich meinem Kind beibringen, damit ich mir später nicht vorwerfen muss, naiv gewesen zu sein? Mir wurde Freiheit beigebracht. Mir wurde beigebracht, dass ich Rechte habe, Würde – und dass ich sicher bin. Heute denke ich: Meine Eltern waren naiv. Waren sie es wirklich? Vielleicht. Und doch war es schön, dass sie es waren.
Ich bin traurig, weil ich weiß: Mein Kind wird alles in sich tragen, um frei zu leben, stark zu sein, beflügelt. Und ich werde ihr genau das mitgeben wollen: Freiheit, Vertrauen, Mut. Doch ich spüre schon jetzt, wie sich die Angst dazwischen stellen wird. Ich werde mich dagegen wehren wollen – und vielleicht werde ich manchmal scheitern. Vielleicht werde ich ihr Ängste einpflanzen, in der Hoffnung, dass sie sie schützen. Vielleicht aber finde ich einen Weg, ihr mehr mitzugeben als Angst.
Meine Ängste sind nicht die einer Glucke. Ich liebe die Freiheit. Ich liebe sie so sehr, dass mir, als ich noch keine Mutter war, fast kein Opfer zu groß schien. Ich habe die Freiheit kennengelernt, auf ihren tiefsten und weitesten Ebenen. Aber jetzt? Die Welt da draußen ist eine andere geworden.
Gerade deshalb schmerzt es, dass ich sie meinem Kind nicht mehr ungebrochen weitergeben kann. Natürlich will man manches besser machen als die eigenen Eltern. Das ist Evolution. Aber hier … ich wollte es ihnen gleichtun. Ich wollte sie damit auch ehren. So bin ich stark geworden. Und ich kenne so viele Frauen, die draußen stark wurden – nicht, weil sie sich in den vier Wänden versteckten, sondern weil sie der Welt getrotzt haben.
Dieses Geschenk wollte ich so gerne weitergeben. Es ist groß. Und nun halte ich es in den Händen, eingepackt in Liebe, und frage mich ängstlich, ob ich es nicht doch lieber wieder im Schrank verstecken soll, bevor mein Kind es sieht.
Doch die Wahrheit ist, dass ich mir heute diese Fragen stellen muss, als wäre es meine alleinige Verantwortung, mein Kind zu schützen, als wäre es meine Pflicht, darüber so tief nachzudenken, das ist die größte Lüge unserer Zeit. Es ist eine Illusion, dass die Sicherheit allein in der Verantwortung der Eltern liegt. Diese Lüge, dieses subtile Abwälzen von Verantwortung durch die Regierung, ist der Inbegriff von Täter-Opfer-Umkehr.
Der Staat wälzt seine Verantwortung auf Familien und Eltern ab. Das ist der wahre Bruch des Gesellschaftsvertrags. Der Bruch mit unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung. Denn ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit – sondern Anarchie. Und das war nie der Deal.
Dieser Bruch wird verschärft durch ein weiteres Schweigen: den Feminismus unserer Zeit. Während der Staat seine Schutzpflicht verrät, verliert auch der Feminismus seine Stimme. Er diskutiert über Quoten, Vorstände, Karrierewege, Sprache, Repräsentation.
Aber er redet zu wenig über Gewalt, Sicherheit, Schutz – die elementarsten Rechte, ohne die alles andere nichts wert ist. Er blendet blinde Flecken aus: den Import frauenfeindlicher Strukturen, die Realität von Gruppenvergewaltigungen, Ehrenmorden, alltäglicher Gewalt. Zu oft werden diese Themen verdrängt, weil sie politisch „heikel“ sind. Er ist abgekoppelt von der Basis: Akademikerinnen, Politikerinnen, Journalistinnen diskutieren über Aufsichtsräte und Gender-Sternchen. Aber die Frauen, die abends im Bus sitzen, die Kinder allein großziehen, die in prekären Jobs arbeiten – ihre Sicherheit, ihre Sorgen kommen kaum vor. Und er schweigt dort, wo es weh tut: Wenn Gewalt von Migranten oder in Parallelgesellschaften ausgeht, wird weggesehen – aus Angst, als „rechts“ zu gelten. So werden Opfer unsichtbar gemacht, gerade die Schwächsten.
„Die Straßen sind für Frauen nicht sicher … Während wir Angst haben, alleine zu reisen oder zu pendeln, wird von uns erwartet, für unsere eigene Sicherheit verantwortlich zu sein – und wir werden beschuldigt, wenn wir versagen.“ Lina AbiRafeh, libanesisch-amerikanische Frauenrechtsexpertin, ehemalige Direktorin des Arab Institute for Women und langjährige UN-Mitarbeiterin.
Diese Diagnose gilt nicht nur im globalen Süden, sondern auch hier. Alice Schwarzer, die bekannteste deutsche Feministin, kritisierte schon 2022: „Während über Gender-Sternchen gestritten wird, werden Frauen vergewaltigt, bedroht und getötet“. Der Feminismus der Gegenwart kämpft an der Spitze – und schweigt an der Basis. Er feiert Privilegien, aber vergisst Schutz.
Der wahre Lackmustest für Gleichberechtigung ist nicht die Zahl von Frauen in Vorständen. Er ist banal, aber entscheidend: Kann eine Frau nachts ohne Angst nach Hause gehen? Die Antwort lautet: Nein, schon lange nicht mehr.
Genau deswegen begann ich 2018 meine Stimme zu erheben und öffentlich zu schreiben: „Der Tag, an dem mich Deutschland verlassen hat.“ Ich meinte damit nicht die Täter allein, sondern die Antwort des Staates: „Gehen Sie am besten weiter.“ In diesem Satz liegt alles – das Wegsehen, das Abwälzen, das Schweigen. Damals war es eine Erfahrung. Heute ist es Realität für eine ganze Gesellschaft.
Der Staat hat eine Pflicht.
Artikel 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Artikel 2: Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.
Die Pflicht, diese Grundrechte zu schützen, wird verletzt – ständig und immer wieder.
Solingen zeigt: Der Staat kannte die Gefahr, tat nichts. Dresden zeigt: Täter handeln ungestraft, Opfer bleiben zurück. Amsterdam zeigt: Selbst ein Notruf reicht nicht mehr, um das Leben eines Mädchens zu retten. Völklingen zeigt: Selbst bewaffnete Beamte sind nicht mehr sicher. Diese Fälle beweisen: Gewalt trifft alle, aber Frauen zuerst.
Und die Statistik zeigt ein Täterprofil, das durch Behördenversagen zu einer unberechenbaren Gefahr für die Gesellschaft geworden ist. Das ist keine Ohnmacht. Das ist Mittäterschaft durch Unterlassen.
Angela Merkel sagte 2015: „Wir schaffen das.“ Und später: „Nun sind sie eben da.“ Und ein Fakt ist: Sie sind da. Und der Staat hat es so gewollt – oder zumindest hingenommen. Wie geht man nun damit um?
Bevor man Antworten geben kann, bleibt eine Frage, die sich der Gesellschaft immer wieder aufdrängt: Wie konnte eine Regierung ihre eigene Bevölkerung so schutzlos machen? Wie konnte sie zulassen, dass Menschen unkontrolliert ins Land kommen, ohne dass Sicherheit an erster Stelle steht? Es geht hier nicht um Fremdenhass, nicht um Abwertung von Menschen. Es geht um die elementarste Pflicht des Staates: seine Bürger vor Gefahren zu schützen.
Innere Sicherheit ist nicht verhandelbar. Wer in ein Land kommt, muss geprüft werden, nicht, weil er „fremd“ ist, sondern weil Schutz das Fundament von Freiheit ist. Alles andere ist Fahrlässigkeit. Und genau das haben wir erlebt. Wir erleben es bis heute.
Solingen war Terror. Dresden war Alltag. Amsterdam war ein Notruf voller Schreie. Völklingen war ein Angriff auf den Staat selbst.
Alle vier zeigen: Niemand ist mehr sicher. Gewalt trifft Frauen, Männer, Kinder, Polizisten. Doch Frauen und Kinder waren die Ersten, das schwächste Glied und der Seismograph unserer Gesellschaft, der früh angeschlagen hat. Und vielleicht, nur vielleicht, wird es jetzt, wo die Opfer solcher Fälle nicht mehr „nur“ überwiegend Frauen sind, sondern auch Männer, Helfer, Polizisten, unübersehbar: Wir haben ein massives Problem in diesem Land.
Ich wollte über die jüngsten Frauenmorde schreiben. Opfern eine Stimme geben. Doch was sich einst vor allem am Schicksal von Frauen abzeichnete, verteilt sich nun immer mehr „gerecht“ auf alle Teile der Gesellschaft.
Wir erreichen immer mehr das große feministische Ziel der Gleichheit – nur nicht in Sachen Chancen und Freiheit, sondern in Bezug auf Angst und Ausgeliefertsein. Das ist die grausamste Form von Gleichheit: die Gleichheit in der Verletzbarkeit. Ohne Schutz.
Ich wollte über Frauenmorde schreiben. Heute schreibe ich über ein Land, das seine elementarste Pflicht verrät: den Schutz seiner Bürger. Und genau deshalb darf dieser Essay nicht mit Resignation enden. Denn Sicherheit ist kein Luxus, kein Privileg, kein „rechtes“ oder „linkes“ Thema.
Sicherheit ist die Bedingung jeder Freiheit.
Darum: Es reicht. Wir brauchen Ehrlichkeit über Gewalt und Täterprofile. Konsequenz im Rechtsstaat. Den Mut, Grenzen zu ziehen. Und die Rückkehr zu einem einfachen, unumstößlichen Satz: Menschenleben und Sicherheit sind nicht verhandelbar.