
Jette Nietzard hat für einen Skandal gesorgt. Die Vorsitzende der Grünen Jugend hat öffentlich ein Shirt getragen, auf dem übersetzt die Aussage zu lesen war, dass alle Polizisten Drecksäcke seien. Die Aussage war dumm. Unüberlegt. Arrogant. Sie verbreitet Hetze und spaltet die Gesellschaft. Sie stammt von jemandem, der gerne anderen vorwirft, Hetze zu verbreiten und die Gesellschaft zu spalten. Kurzum: Grüne tun, was Grüne tun. Kein Grund sich zu wundern. Einfach auf Wiedervorlage legen, bis Nietzard zur Ministerin aufgestiegen ist.
Doch so pupsig der Skandal um die Chef-Jugendliche ist, er kommt den Grünen fast gelegen. Zwar regt sich das grüne Führungspersonal gerade kollektiv über Nietzard auf. Beklagt sich etwa, dass sie die Grünen schlecht aussehen lässt. Doch im Show- wie im Politikgeschäft gibt es nur etwas, das noch schlimmer als schlechte Presse ist – und das ist gar keine Presse zu haben. Und keine Presse haben die Grünen aktuell reichlich.
Das liegt nicht an den Journalisten. Die greifen schon noch gerne auf, was ihre favorisierte Partei so von sich gibt. Doch das dringt momentan nicht durch. Wenn der Vorsitzende der Grünen zum Beispiel die Bundesregierung kritisiert, weil die im Haushalt unehrlich vorgehe und mit Tricks arbeite, dann verfängt das nicht – nachdem die Grünen Schwarz-Rot überhaupt erst den Weg frei gemacht haben, um im Haushalt unehrlich vorgehen und mit Tricks arbeiten zu können. Die Grünen sind im Bundestag keine Opposition, sondern eine Regierungspartei in Reserve. Das ist einer der Gründe, warum sie momentan medial nicht durchdringen – egal, wie oft die Journalisten sie zu Wort kommen lassen.
Ein anderer Grund ist in der Führung der Grünen zu finden. Die erinnert an Professor Binns aus den Harry-Potter-Büchern: Der Geschichtslehrer hat gar nicht mitbekommen, dass er gestorben ist und unterrichtet deshalb als Geist einfach weiter. Nach der grünen Wahlpleite im Februar hat es keinerlei politische Wechsel in der Partei gegeben: Der Fraktionsvorstand, der Vorstand der Partei, die Geschäftsführung der Fraktion, die stellvertretenden Vorsitzenden… alle leiern wie Professor Binns weiter uninspiriert ihren Text herunter und scheren sich gar nicht darum, dass ihnen keiner mehr zuhört.
Felix Banaszak, Franziska Brantner, Katharina Dröge, Britta Haßelmann oder Irene Mihalic. So heißt derzeit die Führung der Grünen. Gegen diese graue Truppe wirkt sogar das SED-Politbüro wie eine farbenfrohe Combo von Spaßmachern. Da kommt ein bisschen Ärger um die Polizisten-Beleidigerin aus dem eigenen Nachwuchs gerade recht. Wenn Banaszak die eigene Nachwuchskraft öffentlich kritisiert, hört ihm wenigstens jemand zu – anders als bei seiner Kritik am Haushalt der Bundesregierung.
Außerdem haben die Grünen alles versucht, mehr als eine nur Ein-Themen-Partei zu sein – und sie sind mit allen Versuchen gescheitert. Egal ob als Friedenspartei oder als maximale Aufrüstungspartei. Als Freiheitspartei oder als Verbotspartei. Die Grünen sind Klima. Hat das Thema Konjunktur, boomen auch die Werte der Grünen. Kümmert sich keiner darum, müssen sie sich schon untereinander streiten oder Polizisten grundlos beleidigen, um überhaupt wahrgenommen zu werden.
Auch hier kämpfen Grüne und Journalisten Seit an Seit – auch hier verlieren sie gemeinsam. Jette Nietzard hat mit ihrer Polizisten-Beleidigung immerhin echte Wut ausgelöst. Die Klimakrieger erhalten derzeit nur Spott. Etwa wenn die ARD nach immer bedrohlicheren Rot-Tönen sucht, um ihre Wetterkarte zum täglichen Fanal gegen den nahenden Weltuntergang zu machen. Oder wenn die Grünen im Bundestag die Dramatik der großen Dürre beschwören – während draußen vor der Tür der Regen auf den Boden trommelt.
Vor wenigen Tagen hat TE eine Schlagzeile veröffentlich, dass Berlin an vielen Stellen so aussehe wie die Unterarme von Heidi Reichinnek. Das Bild hat aus zwei Gründen funktioniert. Erstens löst es im inneren Auge des Lesers eine Phantasie aus. Zweitens weiß der Leser überhaupt, wer die Fraktionsvorsitzende der Linken ist und wie ihre Unterarme aussehen. Würde jemand schreiben, die Hanauer Innenstadt sehe aus wie die Frisur von Felix Banaszak oder Haferschleim schmecke wie eine Rede von Britta Haßelmann, würde das Leser bestenfalls irritieren oder verschrecken.
Um Politiker parodieren zu können, müssen sie bekannt sein. Eine Nachwuchskraft hat allen Grund zu feiern, wenn eine Satiresendung sie erstmals auf den Arm nimmt. Das ist wirklich ein entscheidender Durchbruch für sie. Sie ist damit offiziell bekannt. Politik ist in einer Demokratie immer auch das Ringen um Aufmerksamkeit. Inhaltlich hat Deutschland wirklich wenig verloren durch die Abwahl der Minister Robert Habeck und Annalena Baerbock. Doch in Sachen Wiedererkennung haben die Grünen mit den beiden alles verloren, was sie hatten.
Wobei es weder ein Zufall noch eine unglückliche Konstellation ist, dass die Grünen von einer grauen Truppe wie Banaszak, Haßelmann, Dröge und Brantner geführt wird. Es ist vielmehr der Abschluss einer 45 Jahre währenden Entwicklung. In ihren Anfangsjahren waren die Grünen eine Bewegung, eine Antipartei. Verschiedene Gruppen haben sich in ihnen zusammengefunden. Das hat den Weg frei gemacht für so unterschiedliche Charaktere wie Joschka Fischer, Otto Schily, Jutta Ditfurth oder Petra Kelly. Inhaltlich mag man von ihnen gehalten haben, was man wollte – aber echte und unterhaltsame Charakterköpfe waren sie ohne Zweifel.
Doch der Nachwuchs der Grünen hat nicht mehr auf unübersichtlichen Pfaden in eine Bewegung und über diese dann den Weg in die Politik gefunden. Er geht den Weg, den jeder Politnachwuchs dieser Tage nimmt: Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal. Der Weg lässt sich am erfolgreichsten zurücklegen, wenn man so wenig wie möglich aneckt. Wer aber in den prägenden Momenten seines Lebens versucht, maximal unauffällig zu sein, der ist später halt nicht Joschka sondern Dröge.
Cem Özdemir ist der letzte Grüne, der noch eine eigene Geschichte hat. Mal positiv wie die des „anatolischen Schwaben“ oder negativ wie die vom Bonusmeilensammler. Aber eine eigene Geschichte. Einen, den man kennt. Den man parodieren kann, ohne ihn erst mühsam vorstellen zu müssen. Özdemir versucht im nächsten März das letzte, wichtige Amt zu verteidigen, das den Grünen geblieben ist: das des baden-württembergischen Ministerpräsidenten. Auch er kritisiert nun Nietzard. Was soll er auch sonst tun? Die Panik vor der großen Dürre schüren und hoffen, dass es dabei wenigstens nicht regnet? Dieser Tage müssen die Grünen dankbar sein, wenn sie wenigstens eine Jette Nietzard in den Reihen haben – und das ist eine echt üble Situation.