Einfach nicht darüber reden: Wie Alt-Kanzlerin Angela Merkel zurückblickt

vor 5 Monaten

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Bildquelle: NiUS

Sie ist wieder da. Zwölf Jahre bin ich als Bild-Reporter mit Angela Merkel unterwegs gewesen, habe sie auf fast alle Kontinente (die Polkappen waren nicht dabei) begleitet, im deutschen Wahlkampf und bei den Auftritten im Kanzleramt. Jetzt, kurz vor dem Erscheinen ihrer Memoiren, ist alles wieder da. Der gepredigte Multilateralismus (überstaatliche Kooperation), der schon damals nicht funktionierte, die seltsamen Widersprüche und die Unfähigkeit, Fehler zuzugeben.

„Wenn jemand in der Politik keine Win-win-Situationen zulässt, sondern immer nur Sieger und Verlierer kennt, dann ist das eine sehr schwierige Aufgabe für den Multilateralismus“, sagt Merkel im Interview mit dem Spiegel über ihre Schwierigkeiten mit Donald Trump.  Die Vorstellung eines fairen Ausgleichs zwischen Staaten ohne Bedacht auf Vorteil und Dominanz war weder im Umgang mit China noch mit Staaten in Afrika, innerhalb Europas oder anderen Teilen der Welt realistisch. Trump lebt dies lediglich sehr ungewohnt offen, zum Teil grob und völlig unverbrämt aus.

Ihre seltsame Art sich aus- und um die Dinge herumzudrücken: „Das war ja nie mein Stil. Ich habe, vielleicht geprägt auch von der DDR-Zeit, gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen. Dieses gegenseitige Übertrumpfen in vermeintlicher Klarheit halte ich nicht für eine politische Tugend. Es kann so viel Schlimmes passieren, dass ich die Superlative im Positiven wie im Negativen nicht vergeuden möchte.“ Lieber im Ungefähren bleiben. Lieber die gezielte Anscheinserweckung pflegen, als später für Klarheiten in Haftung genommen werden.

Die zukünftige Bundeskanzlerin bei einem Camping-Ausflug in der DDR.

Trump war in jeder Hinsicht der größte Gegenpol zu Merkel und auch ihre größte Herausforderung: „Trump war sehr neugierig, wollte Details ganz genau wissen. Aber nur, um sie auf den eigenen Vorteil hin abzutasten, um Argumente zu finden, die ihn stärken und andere schwächen. Je mehr Menschen im Raum waren, desto größer war sein Drang, der Sieger zu sein. Man kann mit ihm nicht plaudern, jede Begegnung ist ein Wettkampf: Du oder ich.“ Diesem Stil dürfe man sich auf keinen Fall anpassen, sagt Merkel: „Auf keinen Fall, sonst kriegt man politisch ja gar nichts mehr hin.“

Ich habe das immer erstaunlich gefunden, wie jemand in einer bürgerlichen, ursprünglich konservativen Partei Karriere machen konnte und doch einen idealistischen Politikstil pflegen: „Er ist für die Welt, insbesondere den Multilateralismus, eine Herausforderung. Was uns jetzt erwartet, ist wirklich nicht ohne“, sagt sie über Trump. Merkel hat Bücher von Machiavelli, historischen und lebenden Regierungschefs und Geschichtsanalysen gelesen, wie eine Art Volksschul-Lehrgang im Regieren. Doch die vermeintliche „Physikerin der Macht“ hat im Angesicht der realen Machtpolitik einen oft weltfremden Multilateralismus verfolgt, der gerade auf den regelmäßigen G7- und G20-Gipfeln allenfalls durch immer windigere Papiere als schöne Illusion aufrecht zu erhalten war.

„Es gibt jetzt dieses sichtbare Bündnis von ihm (Trump) mit den großen Firmen aus dem Silicon Valley, die über eine enorme Kapitalmacht verfügen“, sagt sie im Interview. Dass die von Merkel im US-Wahlkampf favorisierte Kamala Harris innerhalb einer Woche Wahlkampfspenden von einer Milliarde Dollar einsammeln konnte, ist ihr offenbar entgangen. Dass Milliardäre wie George Soros oder milliardenschwere Klima-Stiftungen weltweit genauso fleißig in links-liberale Politik investieren, ist offenbar weniger anstößig

Ein ungleiches Paar: Angela Merkel und Donald Trump

Wie Staaten und Regierungen die Kontrolle über Informationen und Medien behalten können, trieb Merkel ebenfalls schon zu Amtszeiten um. Mitarbeiter des Kanzleramts befassten sich mit der dem sanften Lenken von Menschen etwa durch Nudging (engl. Anstoßen, Schubsen). Ob Politik machtlos gegenüber Internet-Plattformen, wird sie im Gespräch gefragt. „Nein, in einer Demokratie ist Politik nie machtlos gegenüber Unternehmen. Aber es gilt, ein Gegengewicht zu setzen zu dem Furor in sozialen Medien, wie ihn hierzulande etwa auch die AfD schürt.“ Dass dieser „Furor“ etwas mit Unzufriedenheit zu tun haben könnte, und dass Politik damit schlicht umgehen und darauf reagieren müsste, lag ihr schon damals fern.

Ihren Nach-Nachfolger an der CDU-Spitze Friedrich Merz äußert sie sich immerhin höflich und verbirgt die stille Härte, mit der sie ihn einst bekämpfte. „Wer so weit gekommen ist, muss über irgendwelche Eigenschaften verfügen, die ihn dazu befähigen. Ja, man wird nicht ohne Grund Kanzlerkandidat.“

Merkel über Merz: „Man wird nicht ohne Grund Kanzlerkandidat.“

Und auch in einem anderen Thema ist sich Angela Merkel treu geblieben: Über Dinge, die man nicht haben will, sollte man einfach nicht reden. Immer wieder hat sie etwa dem früheren Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) empfohlen, weniger über Migration zu sprechen.

Spiegel-Frage: „Sie fordern in Ihrem Buch, Politiker sollten nicht ,unentwegt‘ über AfD-Themen sprechen und sie nicht ,rhetorisch übertrumpfen wollen, ohne tatsächliche Lösungen für Probleme anzubieten‘. Geht das an die Adresse der CDU?“Merkel: „Nein, das richtet sich an alle, vor allem an Regierungsparteien. Die können nicht jeden Tag Dinge fordern, wenn sie die Mehrheiten haben, Dinge zu ändern. Manch einer scheint zu glauben, er muss nur scharf genug darüber sprechen, dass zu viele Flüchtlinge zu uns kommen, dann wird er gewählt und nicht die AfD. Der irrt, das Gegenteil ist der Fall.“Spiegel: „Es klingt so, als wollten sie unbequeme Themen wie das Attentat in Solingen, bei dem ein Islamist drei Menschen ermordete, gern totschweigen.“Merkel: „Das ist nicht gemeint. Ein Attentat wie in Solingen ist schrecklich, und natürlich müssen die demokratischen Parteien darüber sprechen, was sie konkret besser machen werden. Wenn aber ein islamistischer Terrorist über Wochen die gesamte politische Agenda bestimmt, nicht zuletzt die Rhetorik, dann hilft das weder bei der Lösung des Problems noch gegen die AfD.“Spiegel: „Sie schreiben selbst über die massenhaften Sexualdelikte in der Kölner Silvesternacht 2015 und über den islamistischen Anschlag vom Breitscheidplatz in Berlin 2016. Allerdings drücken Sie sich vor Schlussfolgerungen.“Merkel: „Das finde ich nicht. In dem Kapitel ist auch von Lösungsansätzen die Rede. Aber so wie der Kampf gegen Rechtsextremismus nicht den schrecklichen Terror des NSU verhindert hat, so haben alle migrationspolitischen Bemühungen nicht dazu geführt, dass es keine islamistischen Anschläge mehr gibt.“

Ein typischer Merkel-Dialog. Themen Ansprechen, Klarsicht behaupten, die Dinge im Ungefähren lassen, und am Ende ohne erkennbare Schlussfolgerung aus dem Gespräch gehen.

Dem ehemaligen Innenminister Horst Seehofer (CSU) empfahl die Kanzlerin weniger über Migration zu sprechen.

Überhaupt führt die Kanzlerin a.D. beim Thema Migration den bekannten Tanz um das Thema auf, der vielen noch bestens vertraut ist: „Ich hatte damals das Gefühl, ich hätte sonst die gesamte Glaubwürdigkeit der Sonntagsreden über unsere tollen Werte in Europa und die Menschenwürde preisgegeben. Die Vorstellung, zum Beispiel Wasserwerfer an der deutschen Grenze aufzustellen, war für mich furchtbar und wäre sowieso keine Lösung gewesen.“ Dass die „Sonntagsreden“ in der Tat nichts mit der Realität zu tun hatten, versucht Merkel zu lösen, indem sie die Realität den „Sonntagsreden“ anzupassen versuchte, was grandios scheiterte und noch scheitert.

Und: Wasserwerfer an den Grenzen waren für sie offenbar ein Gräuel, Wasserwerfer und Polizei-Verfolgungsjagden gegen Kritiker der Corona-Politik erschienen später angemessen.

Die Methode Merkel bei der Arbeit: „Die Ängste der Menschen vor zu viel Zuwanderung und islamistischem Terrorismus habe ich immer sehr ernst genommen. Wenn man auf ein Volksfest geht und fürchtet, hinter mir zieht gleich einer ein Messer, dann ist das sehr verunsichernd, auch wenn es diese Gefahr in dem Moment vielleicht gar nicht gibt.“ Mannheim, Solingen, Breitscheidplatz… „Ängste“ ansprechen, auch wenn es diese Gefahr im Moment vielleicht gar nicht gibt. Vielleicht. Hoffentlich. Sätze, die man sich auf der Zunge zergehen lassen muss.

Aber Merkel sieht auch die andere Seite: „Aber es gibt auch eine zweite Gruppe in der Bevölkerung, die Angst hat, und zwar davor, dass wir zu intolerant und hart werden. Als Kanzlerin muss ich beide Gruppen im Blick behalten.“  Sätze, bei denen man fassungslos zurückbleibt: Auch Merkel will vermutlich nicht Messer-Mörder und Anschläge in Kauf nehmen, damit die Ängste der zweiten Gruppe unbegründet bleiben. Das ganze Gedankenkonstrukt kommt harmlos und abwägend daher, ist aber im Grunde bodenlos. Intoleranz und Verhärtung sind eine zwingende Folge von migrationspolitischer Sorglosigkeit.

Doch es wird noch kruder, als es um ihre Selfies mit Migranten und deren Wirkung geht: „Ein freundliches Gesicht bringt niemanden dazu, seine Heimat zu verlassen. Ich kenne viele Flüchtlinge aus der DDR. Niemand hätte sich auf den Weg gemacht wegen der Aussicht auf einen Handshake mit Helmut Kohl.“ Merkel vergleicht weltweite Armutsmigration mit der Flucht aus der DDR. Das ist dann selbst den Kollegen vom Spiegel zu schlicht: „Ist das nicht naiv? Sie präsentierten sich für Menschen aus Diktaturen als Kanzlerin zum Anfassen.“ Doch von dem Willkommenssignal will Merkel noch immer nichts wissen.

„Ich finde das nach wie vor nicht richtig. Wir haben Grenzkontrollen eingeführt und vieles Richtige mehr, das zeigt Wirkung. Aber es ist doch eine Illusion anzunehmen, alles wird gut, wenn wir Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückweisen. Die EU muss dieses Problem gemeinsam an den Außengrenzen lösen, sonst steht es schlecht um die Freizügigkeit und den Binnenmarkt. Das wäre ein Stück Rückabwicklung der europäischen Integration, mit Folgen, die man nicht abschätzen kann.“

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) mit ihrem polnischen Amtskollegen an der EU-Außengrenze.

Die „Rückabwicklung“ der inneren Freiheit und Sicherheit in Deutschland, die Waffen- und Messerverbotszonen, die verbarrikadierten Weihnachtsmärkte und Großeinsätze der Polizei zu Silvester und anderen Anlässen, grassierender, importierter Antisemitismus sind kein Thema.

„Multikulti ist absolut gescheitert“, habe sie noch 2010 in einer Rede gesagt, halten ihr die Spiegel-Leute vor. Merkel: „Den Furor, in dem ich das gesagt habe, würde ich heute nicht mehr an den Tag legen. Allerdings ist der Gedanke, dass verschiedene Kulturen ohne Anstrengung von allen Seiten zusammenleben können, wirklich krachend gescheitert. (…) Ohne die Offenheit und Veränderungsbereitschaft der aufnehmenden Gesellschaft kann es keine Integration geben. Voraussetzung ist ein Mindestmaß an Wissen über andere Kulturen, ich muss mich schon dafür interessieren.“

Da hat sie in einem bitteren Sinne recht: Heute MÜSSEN wir uns für die Folgen dieser Politik interessieren. „Ich stehe zu meinen Entscheidungen“, sagt sie an anderer Stelle mit Blick auf ihre Russland-Politik und Putin. Das klingt gut und kostet nichts. Sie zumindest. Die Abwesenheit winzigster Spuren von Selbstkritik ist auch so eine Konstante bei Angela Merkel.

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