
Die am Freitag getroffene Einigung von Union, SPD und Grünen erhöht den haushaltsplanerischen Handlungsspielraum der künftigen Regierung auf 1,7 Billionen Euro. Das geht aus Berechnungen von Wirtschaftsexperte Tobias Hentze für das Institut der deutschen Wirtschaft hervor, über die das Handelsblatt berichtet. Demnach könnte die geplante Grundgesetzänderung, die zur Aufnahme des Sondervermögens in Höhe von 500 Milliarden Euro notwendig ist, auch weiteren Investitionen die Tür öffnen.
Entscheidend dafür ist ein kleines Detail, das nach den Verhandlungen am Freitag von den Grünen in den gemeinsamen Änderungsantrag mit Union und SPD geschrieben wurde. Neben der Festlegung, dass Ausgaben für die Bundeswehr ab einer Investitionsrate von einem Prozent an der Schuldenbremse vorbei getätigt werden können, haben die Grünen denDefinitionsbereich der Verteidigungsausgaben erweitert.
Demnach sollen auch „die Ausgaben des Bundes für den Zivil- und Bevölkerungsschutz sowie für die Nachrichtendienste, für den Schutz der informationstechnischen Systeme und für die Hilfe für völkerrechtswidrig angegriffene Staaten“ von der Schuldenbremse ausgenommen werden. Damit wollen die Grünen vor allem Hilfszahlungen an die Ukraine und eine Aufrüstung des Zivilschutzes bezwecken.
Aber: „Eine noch weitere Fassung des Verteidigungsbegriffs beziehungsweise die Einberechnung weiterer Haushaltsposten könnte den Spielraum noch mal vergrößern“, erklärt Hentze dem Handelsblatt. „Wofür eine neue Bundesregierung den Spielraum nutzt, ist offen und ihr überlassen: Zwischen Mütterrente und Steuersenkungen ist alles drin.“ Statt 500 Milliarden könnte der Staat so also Kredite in Höhe von 1,7 Billionen Euro an der Schuldenbremse vorbei aufnehmen.
Kritiker befürchten, der Bund könnte jetzt die Etats der einzelnen Ressorts so verschieben, dass stets an den Stellen Geld fehlt, wo das Sondervermögen greift und somit neue Schulden aufgenommen werden können. Die Grünen haben nach eigener Aussage versucht, diesen Verschiebungen entgegenzuwirken. In dem Änderungsantrag ist deswegen das Wort „Zusätzlichkeit“ eingebaut, mit dem vorausgesetzt werden soll, dass der Bund weiterhin auch etwa zehn Prozent des Haushaltes für Investitionen ausgibt – und dafür nicht nur neue Schulden verwendet.
Dadurch soll also verhindert werden, dass die Etats jeweils so verschoben werden, dass eben immer an den Stellen Geld fehlt, wo Investitionen an der Schuldenbremse vorbeigeführt werden sollen. Der Knackpunkt an dieser Regelung sind die Verteidigungsausgaben. Union und SPD, aber eben auch die Grünen wollen die Aufrüstung der Bundeswehr vorantreiben, stehen aber auch der Ukraine-Hilfe positiv gegenüber.
Einer Berechnung der FDP vom Wochenende zufolge könnte durch die Schulden-Ausnahme ab einem Prozent der Verteidigungsausgaben und der Investitionsvorgabe von zehn Prozent im Bundeshaushalt „eine Verfügungsmasse im Kernhaushalt für andere, auch konsumtive Ausgaben von knapp 270 Milliarden Euro“ für die zwölfjährige Laufzeit des Sondervermögens entstehen, zitiert das Handelsblatt aus dem Papier.
Hentze vom Institut der deutschen Wirtschaft hat das auf alle Bereiche ausgeweitet und kommt so sogar auf die bereits erwähnten 1,7 Billionen, sollten jährlich etwa drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigungsausgaben genutzt, das Sondervermögen für Infrastruktur in Höhe von 500 Milliarden Euro vollständig eingesetzt und die Verschuldungsmöglichkeiten der Bundesländer, die ebenfalls neu implementiert werden soll, ausgenutzt werden.
Damit könnte Deutschlands Staatsverschuldung von derzeit 2.700 Milliarden Euro auf 4.400 Milliarden Euro ansteigen. Bei 84 Millionen Einwohnern würde das eine Verschuldung pro Kopf von 52.000 Euro bedeuten, auf die 46 Millionen Steuerzahler gerechnet, wären es sogar 95.000 Euro. Die Verschuldungsquote würde außerdem von derzeit 62 Prozent – womit Deutschland ein Vorzeigeland in der EU ist – auf über 100 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ansteigen.
Auch die bislang anvisierten Verschuldungspläne beinhalten bereits einen massiven Anstieg. Gegenüber Apollo News erklärte der Ökonom Thorsten Polleit die Dimensionen: bei einem Sondervermögen von 500 Milliarden Euro und weiteren Ausgaben, etwa für die Verteidigung, in Höhe von 400 Milliarden Euro würde die Pro-Kopf-Verschuldung der Steuerzahler auf 78.000 Euro, die Staatsverschuldung auf 85 Prozent ansteigen. Bezahlen müsste das mittelfristig der Steuerzahler, weil nur über höhere Staatseinnahmen die hohen Schulden abbezahlt werden können.