
Der deutsche Einzelhandel schlägt Alarm: Ladendiebstähle nehmen stark zu, die Täter agieren immer dreister und organisierter. Täglich werden laut aktuellen Schätzungen rund 100.000 Diebstähle in deutschen Geschäften verübt. Der jährliche Schaden summiert sich auf mehr als vier Milliarden Euro. Besonders besorgniserregend: Professionelle Banden setzen gezielt Minderjährige und ausländische Täter ein.
Laut einer Studie des EHI Retail Institute entfallen allein 2,82 Milliarden Euro des Schadens auf die Kundschaft. Weitere 910 Millionen Euro gehen auf das Konto eigener Mitarbeiter, 370 Millionen Euro auf Dienstleister und Lieferanten. Trotz eines scheinbaren Rückgangs der offiziell erfassten Fälle — 43.910 Fälle wurden 2024 gemeldet — wird von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen. Nach EHI-Schätzung werden weniger als zwei Prozent der tatsächlichen Taten angezeigt.
Die Methoden der Täter sind vielfältig. Organisierte Banden greifen gezielt nach hochwertiger und leicht verkäuflicher Ware — von Elektronik über Markenkleidung bis hin zu Kosmetika und Alkohol. Dabei nutzen sie zunehmend professionelle Strategien, koordiniertes Vorgehen und technische Mittel, um Sicherheitsvorkehrungen zu umgehen. Das baden-württembergische Innenministerium geht davon aus, dass mindestens ein Viertel des Gesamtschadens auf das Konto solcher Banden geht.
Eine besonders beunruhigende Entwicklung ist der wachsende Anteil junger Täter. Im vergangenen Jahr waren laut Polizei mehr als 27 Prozent der ermittelten Ladendiebe minderjährig. Vor zwei Jahren lag dieser Anteil noch bei über 35 Prozent. Mehr als jeder zweite Tatverdächtige besitzt keinen deutschen Pass. Für die Händler bedeutet dies eine zunehmende Herausforderung bei Prävention und Strafverfolgung.
Die Reaktion des Einzelhandels bleibt dennoch begrenzt. Der Einsatz von Kameraüberwachung, Detektiven, künstlicher Intelligenz und Sicherheitsmaßnahmen verursacht zusätzliche Kosten von rund 200 Millionen Euro jährlich. Dennoch zeigen diese Maßnahmen nur begrenzte Wirkung. Ladendiebe lassen sich davon nicht abschrecken, Hausverbote bleiben oft wirkungslos, und die polizeiliche Verfolgung ist häufig unzureichend.
Aus Sicht des Handels ist dringender Handlungsbedarf gegeben. Sabine Hagmann, Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbands Baden-Württemberg, fordert eine Absenkung des Strafmündigkeitsalters und eine Lockerung des Datenschutzes. Kinder seien heute früher reif, und Diebstahl dürfe keine Straftat ohne Konsequenzen bleiben. Gleichzeitig müsse die Justiz gestärkt und Verfahren beschleunigt werden.Das Problem betrifft längst nicht nur klassische Kaufhäuser oder Einkaufszentren. Auch im Bereich der Selbstbedienungskassen im Lebensmitteleinzelhandel nehmen Manipulationen und bewusste Nicht-Scans massiv zu. Zudem boomt der Weiterverkauf von gestohlener Ware über Online-Plattformen — eine Entwicklung, der bislang kaum wirksam begegnet wird.
Die Politik zeigt sich bisher zurückhaltend. In Baden-Württemberg lehnt das CDU-geführte Innenministerium derzeit eine Verschärfung der Strafen ab. In vielen Bundesländern fehlt es zudem an ausreichenden Ressourcen in den Ermittlungsbehörden und Staatsanwaltschaften, um das Problem systematisch zu bekämpfen. Angesichts der aktuellen Lage ist dies nicht mehr vertretbar.
Der Einzelhandel fordert daher ein geschlossenes und entschlossenes Vorgehen von Bund und Ländern. Dazu gehören eine bessere polizeiliche Ausstattung, eine konsequentere Strafverfolgung, die Modernisierung des Datenschutzrechts im Bereich Videoüberwachung sowie die gezielte Bekämpfung organisierter Kriminalität. Nur so kann das Vertrauen der Kunden in die Sicherheit im Handel erhalten und weitere finanzielle Schäden für die Unternehmen und letztlich für die gesamte Volkswirtschaft vermieden werden.