
Am 24. Juli kam es während der letzten Sitzung vor der Sommerpause im Bayerischen Landtag zum Eklat: Landtagspräsidentin Ilse Aigner drehte nach mehrfacher Warnung der AfD-Abgeordneten Katrin Ebner-Steiner das Mikrophon ab und entzog ihr das Wort, als diese auf die durch Massenmigration entstandenen Probleme hinwies. Als Ebner-Steiner nach dem Redebeitrag des Ministerpräsidenten Markus Söder nochmals das Wort erteilt wurde, nahm sie den Faden wieder auf und beendete ihre Rede – abgesehen von entsprechenden Zwischenrufen aus dem Plenum – ohne weitere Störung.
Aigner stieß sich daran, dass die Vorsitzende der AfD-Fraktion die „Traditionen und Gepflogenheiten“ des Landtags missachtete: Es sei üblich, das Schlusswort vor der Sommerpause in versöhnlichem Ton zu gestalten: „Natürlich war in dieser Rede immer etwas Politisches dabei, aber nicht in dem Ausmaß“, so Aigner.
Einerseits gehört es zu einer gesunden, respektvollen politischen Kultur, dass sich Politiker an derlei Gepflogenheiten halten. Die letzte Sitzung vor der Sommerpause zu nutzen, um nach Streit und harter Auseinandersetzung und trotz aller Differenzen die Gemeinsamkeiten zu betonen, ist heilsam.
Andererseits ist es beinahe unmöglich, zu übersehen, dass die politische Kultur eben nicht im Mindesten gesund ist, und dass mittlerweile eine Schieflage herrscht, die eine solche Forderung in zweifacher Hinsicht bigott erscheinen lässt.
Da wäre zum einen, dass der AfD und ihren Abgeordneten und Mitgliedern mit großer Regelmäßigkeit genau jene Achtung, die jedem zukommen sollte, vorenthalten wird. Ebner-Steiner versuchte, den Inhalt ihrer Rede mit Verweis auf Katharina Schulze (Grüne) zu rechtfertigen. Sie habe deren Reden als Oppositionsführerin in der vergangenen Legislaturperiode angeschaut. Die Implikation: Da diese hingenommen worden waren, nehme sie dies auch für ihre Rede in Anspruch. Schulze war insbesondere während der Corona-Krise mit hetzerischen Redebeiträgen aufgefallen, war dafür aber offenbar nicht gerügt worden. Damit deutet Ebner-Steiner auf ein Missverhältnis in der Bewertung je nach Parteizugehörigkeit: AfD-Beiträge werden schnell der Grenzüberschreitung beschuldigt, während andere selbst offen menschenfeindliche Kommentare ungestört verbreiten dürfen.
Ohne diese Presseerklärung könnte man mit Fug und Recht Ebner-Steiners „Traditionsbruch“ als unverhältnismäßig kritisieren. Schließlich hat die Opposition genügend Zeit, um zu kritisieren, was ihr kritikwürdig erscheint. Mit der haltlosen Anschuldigung aber lässt Aigner selbst Zweifel an der Unparteilichkeit ihrer Amtsführung als Landtagspräsidentin aufkommen. Es entsteht der Eindruck, dass eine vergleichbare Abrechnung von anderer politischer Seite toleriert worden wäre. Den Anderen zu diskreditieren und ihm Unversöhnlichkeit anzukreiden, während man sich selbst unversöhnlich zeigt, ist einigermaßen heuchlerisch.
Hinzu kommt, dass alles, was Ebner-Steiner aufzählte, wahr ist: die Erosion der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit, die Instrumentalisierung des Verfassungsschutzes, die Einschränkung der Meinungsfreiheit; die unrechtmäßige und undemokratische Brandmauerpolitik, die zunehmend unverfroren dazu übergeht, die Opposition auf allen Ebenen auszuschalten. Zunehmende Christenverfolgung auch in Deutschland, der Anstieg sexueller Gewalt, die politisch gewollte Islamisierung, Ghettobildung und Bildung von Parallelgesellschaften. Die AfD-Politikerin zeichnet ein umfassendes Bild der Zerstörung der politischen und gesellschaftlichen Ordnung.
Können sich die Politiker unseres Landes leisten, angesichts der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Probleme fröhlich in die Sommerpause zu gehen, um sich „abzukühlen“, wie Klaus Holetschek (CSU) und Aigner am Schluss der Sitzung leutselig vorschlugen?
Aigners Anliegen war es, mit Leichtigkeit in die sitzungsfreie Zeit zu gehen. „Ich kann mich noch an Ansprachen erinnern, in denen Buchtipps verteilt und sonstige Empfehlungen abgegeben worden sind, was man über die Sommerpause machen könnte. So war das ursprünglich gedacht“, bedauerte Aigner.
Das mag stimmen. Aber da war eben das Land auch nicht auf so gut wie jeder Ebene in seinen Grundfesten erschüttert und in seinen Grundlagen bedroht. Könnte, ja müsste man nicht einem Politiker, dem gerade nichts Besseres einfiele, als Lesetipps zu verteilen, Verantwortungslosigkeit vorhalten?
Dementsprechend kompromisslos fällt Ebner-Steiners Rat an die Abgeordneten aus: „In der anstehenden sitzungsfreien Zeit sollten Sie gelegentlich einmal an die Frauen und Männer jeden Alters und jeden sozialen Hintergrundes denken, die Ihnen ihre Stimme gegeben haben, die Ihnen vertraut haben und von Ihnen eine Wende erwartet haben.“
Eine unbequeme Aufforderung, wenn doch Sommerfrische und Urlaub winken. Doch Politiker, die das ganze Jahr über die Realität im Land ignorieren, haben keinen Anspruch darauf, auch noch mit nichtssagenden Beschönigungen in die Sommerpause geschickt zu werden.