
Glaubt man Meinungsforschern, dann erreicht die Union auch deshalb keine 30 Prozent mehr, weil Friedrich Merz keine klare Kante zeigt. Man weiß nicht, was er will. Mal redet er so, dann so, mal spricht er von „kleinen Paschas“, dann macht er sofort einen Rückzieher. Mal stimmt er zusammen mit der AfD ab, dann entschuldigt er sich im nächsten Moment dafür. Mal will er Taurus-Raketen in die Ukraine liefern, dann nicht, dann wieder doch. Mal stellt er Putin ein Ultimatum, dann will er das nie getan haben.
Der Wähler ist verwirrt. Zu recht, wie sich nach der Wahl zeigt. In der Elefantenrunde im ZDF macht Merz eine denkbar schlechte Figur. Minutenlang sitzt er da und „lächelt“ ins Nirwana. Jan van Aken, Sprachrohr der SED-Nachfolgepartei „Die Linke“ mit Großem Proletinum, droht offen und unverblümt mit Antifa-Terror auf der Straße – Merz lächelt. Alice Weidel von der AfD macht ihm schöne Koalitionsaugen – Merz lächelt.
Doch es ist eigentlich kein Lächeln, auch kein Schmunzeln – es hat überhaupt nichts Natürliches. Es ist ein versteinertes Grinsen. Und schlimmer noch: Hinter dieser fratzenhaft verkrampften Mimik spürt der Betrachter Anspannung und eine große Unsicherheit. Dieses Grinsen entstellt die Misere des Merz bis zur Kenntlichkeit. Er hat sich mit seiner Brandmauer gegenüber der AfD ins Aus manövriert, obwohl er mittendrin ist. Und Merz weiß genau, dass Alice Weidel vermutlich Recht hat, wenn sie sagt: Keine seiner Ankündigungen, die er im übrigen bei der AfD abgeschrieben habe, werde er in Koalitionen mit der SPD und den Grünen jemals durchsetzen können. Merz will auch diese Prophezeiung weggrinsen. Doch niemand kauft ihm das noch ab. Und genau das ist sein Problem.
In seltener Eintracht haben sich fast alle Parteivorderen zu dieser Elefantenrunde eingefunden. Fast alle. Sahra Wagenknecht vom BSW kneift, ihre Vertreterin Amira Mohammed Ali mag nicht erklären, warum.
Alice Weidel gibt sich ruhig und unaufgeregt. Ob bei Ingo Zamperoni in den Tagesthemen oder in der Elefantenrunde vor einem bisweilen bissigen und recht übergriffig-aggressiven Moderatoren-Duo (Bettina Schausten/ZDF und Oliver Köhr/ARD) – auf allen Kanälen muss sich Weidel fragen lassen, welche Zugeständnisse sie jetzt machen müsse, damit endlich mal jemand mit ihrer AfD koalieren will. Sie dreht den Spieß um und wieder zurück in seine logische Position. Die anderen, vor allem die CDU, müssten sich bewegen, und zwar schnell. Die AfD spiele nicht auf Zeit. In Deutschland müsse sich endlich etwas ändern. Vor allem in Sachen Migrations- und Energiepolitik.
Und dann sagt sie bemerkenswert klar und gleich auf mehreren Kanälen: Es werde der Tag kommen, an dem die AfD an der CDU vorbeizieht und stärkste Kraft im Parlament wird. Auch Merz knallt sie diesen Satz unmissverständlich ins Gesicht. Und der? Schaut ins Nirwana. Grinst. Versteinert.
Während der abgekanzelte Kanzler Olaf Scholz in der Elefantenrunde seinen lang erwarteten Abgang ankündigt („Ich wollte Kanzler werden. Ich habe mich um kein anderes Amt in der Regierung beworben“), gibt es bei Robert Habeck nichts Neues. Immer noch die alte, zerknitterte Mokassin-Mimik mit schräggestelltem Kopf und trübem Wortsalat. Die Amerikaner würden jetzt gegen Europa arbeiten, sagt er. Weidel würde immer nur lügen, sagt er. Sie sei das Sprachrohr Putins. Er stottert und stammelt, ganz bewusst. Alles wie immer.
Bei Miosga wenig später wird seine Parteivorsitzende Franziska Brantner ihn über den grünen Klee loben. Habeck habe „’nen klasse Job gemacht“. Das greift Jens Spahn (CDU) nur zu gern auf. Das könne „doch wohl nicht Ihr Ernst sein“, nach zwei Jahren Rezession und überbordenden Migrationszahlen, die Habeck und die Ampel zu verantworten hätten.
Bei Caren Miosga sitzt auch der Ministerpräsident aus Rheinland-Pfalz mit am Plaudertisch. Für Alexander Schweitzer (SPD) hat sie eine besonders hübsche Frage parat, die ihre journalistische Kompetenz auf den Punkt bringt. Just zeitgleich zu ihrer Sendung, so Miosga, würde ja auch eine Sitzung der SPD-Spitzen stattfinden: „Was wird da besprochen?“ Schweitzer lässt sie genüsslich auflaufen: „Weil ich bei Ihnen bin, kann ich Ihnen darüber keine Auskunft geben. Sie können nicht beides von mir bekommen, Anwesenheit und Auskunft über Sitzungen, die zeitgleich stattfinden.“ Allgemeines Gelächter.
Schweitzer fasst in knappe Worte, was Deutschland unter einem Kanzler Merz erwartet: „Da weiß man nicht, ob er von morgens bis abends dieselbe Strategie durchhält.“ Miosga will von Spahn wissen, wie „kanzlerabel“ Merz sei. Und Journalistin Dagmar Rosenfeld („The Pioneer“) fragt, warum die CDU eigentlich nur mit der zweiten Wahl an den Start gegangen sei. CSU-Chef Markus Söder sei doch ein viel beliebterer Kanzlerkandidat gewesen. Spahn weicht aus. Das alles ist mit seinem Parolen-Paragliding nicht kompatibel, da fehlt ihm einfach der Aufwind. Am Ende liefert er nur verbale Turbulenzen wie diese: „Wenn ich frage, welche Frage Sie stellen. Wenn es darum geht, wer schaut Sie am liebevollst-wuscheligen aus dem Fernsehen an, dann ist es nicht Friedrich Merz, das ist so.“ Ah, ja.
Grünen-Chefin Brantner lässt keinen Zweifel daran, dass sich mit den Grünen in einer künftigen Koalition nichts ändern werde: „Unser Ziel ist es, ein Land zu bleiben, in dem Menschen willkommen sind.“ Also Migration wie immer? Oder schlimmer?
Interessante Zahlen kommen aufs Tapet, als Miosga zu Jörg Schönenborn schaltet, dem gescheiterten WDR-Intendanzanwärter und Fachmann für Hochrechnungen und Meinungsumfragen. Schönenborn zufolge hat allein die AfD 1,86 Millionen Nichtwähler für sich mobilisiert. 910.000 holte die Partei von der CDU, 800.000 von der FDP. Von der SPD wechselten 680.000 zur AfD.
Ein einsamer Zuschauer wechselt an diesem ernüchternden Wahlabend in seiner Not von Weißwein zu Whisky. Und schreibt schmerzbetäubt diesen Text.