
Matt Walshs Dokumentarfilm „What is a Woman“ war 2022 eine wahre Sensation in den USA – zumindest unter denjenigen, die es sich trauten, sich einen so „kontroversen“ (sprich: politisch nicht korrekten) Film überhaupt anzuschauen. Mit viel Biss und einem kräftigen Schuss Ironie, nahm sich der amerikanische konservative Filmemacher damals die Menschen vor, die nicht nur behaupteten, es gäbe keine biologischen Geschlechter, sondern diese Ideologie äußerst lukrativ vermarkteten. Er wurde im Zuge des Films so etwas wie ein konservativer Michael Moore, beziehungsweise eine Hassfigur der progressiven Linken.
Alter weißer Mann im Holzfällerhemd – Matt Walsh vor der Verwandlung…
Mit „Am I Racist“, der im September in den US-Kinos startete, hat er sich nun einen anderen, nicht weniger lukrativen und erst recht nicht weniger absurden Wirtschaftszweig vorgenommen: die Welt der Anti-Rassismus-Seminare, in denen sich weiße Menschen von ihrem inhärenten Rassismus befreien können. Und zwar alle weißen Menschen, da die in diesen Kreisen vorherrschende Ideologie diktiert, dass Weiße von Geburt an Rassisten sind, was die Zielgruppe enorm erweitert. Wer behauptet, kein Rassist zu sein, ist laut diesen „Experten“ nämlich erst recht einer.
Für den Preis von 1000 US-Dollar können weiße Frauen beispielsweise an einem Abendessen teilnehmen, um in Gesprächen mit der schwarzen Gastgeberin ihren Rassismus zugeben zu dürfen, was man durchausmit der Selbstbeschuldigung unter Mao vergleichbar wäre, zu der man aber zumindest noch gezwungen wurde. Verkleidet mit einer Covid-Maske (!), schleicht er sich als Kellner in eine solche Veranstaltung, an der natürlich nur Frauen teilnehmen dürfen. Dass er kellnern, aber nicht teilnehmen darf – und dies an die Country-Clubs der USA zu Zeiten der Rassentrennung und noch Dekaden danach erinnert – ist nur eine von vielen oberflächlich köstlichen, aber genaugenommen erschreckenden Ironien des Films.
Ernste Gespräche über Rassismus mit Menschen, die etwas davon verstehen.
Dummerweise ist Walsh seit „What is a Woman“ inzwischen bei seinen Hassern zu bekannt, was sich in einer der ersten Schlüsselszenen des Films auch prompt herausstellt, als er ein Anti-Rassismus-Seminar besucht, um sich seine „Weiß-Heit“ (nein, nicht Weisheit) austreiben zu lassen. Dummerweise wird er während seiner kurzen Abwesenheit enttarnt, was zu einer der schönsten Wendungen des Films führt.
„Vielleicht hätte ich mich besser verkleiden sollen“, sagt er, nach einigen Erklärungsversuchen („War es, weil ich gesagt habe, ich hätte 17 schwarzen Freunde? Es können auch 15 sein, kommt darauf an, wie man sie zählt“) mit gespielter Naivität. Und fragt daraufhin die schwarze Seminarleiterin, ob er sich vielleicht besser habe verkleiden sollen, was sie bejaht.
Walsh entpuppt sich als lernfähig – und setzt diese Einsicht in der nächsten Szene um, die eine Persiflage auf „Pretty Woman“ sein könnte. Allerdings geht es hier nicht darum, eine Prostituierte in eine vornehme Dame zu verwandeln, sondern einen Konservativen im Holzfällerhemd in einen woken Hipster – komplett mit einem “man-bun“, dem bei dieser Klientel so beliebten Männerzöpfchen.
… und danach, als woker Hipster mit Männerzöpfchen
Ein moderner Borat halt, dessen Aussehen und Aussagen so weit über das Klischee herausgaloppieren, dass niemand auch nur auf die Idee kommt, verarscht zu werden.
Nun kann er richtig loslegen – und enttarnt nicht nur die Verlogenheit dieser Anti-Rassismus-Industrie, sondern auch deren Gier, da hier ein moderner Ablasshandel stattfindet. Für den er übrigens selbst blechen musste, da die Granden dieser neuen Religion selbst für Interviews recht heftige Honorare einfordern.
Beispielsweise $15.000 für Robin DiAngelo, die Autorin von „Wir müssen über Rassismus sprechen“ und daher Hohenpriester*in der Anti-Rassismus Religion, die ihn zu Beginn des Interviews nach seinem Namen fragt, was er ehrlich mit „Ich bin Matt“ beantwortet, worauf DiAngelo entschuldigend entgegnet: „Ich musste fragen, man kann ja nie vorsichtig genug sein“. Wobei sie im Ansatz ja nicht falsch liegt, aber das Honorar sie wohl doch davon abhält, den Nachnamen zu erfragen.
Walsh führt auch Gespräche mit Menschen, die Rassismus tatsächlich nachvollziehen können.
Eine andere „Expertin“ spricht er darauf an, dass seine Tochter sich gern als die polynesische Disney-Prinzessin Moana verkleiden würde, was er ja eigentlich gut findet, sich aber Sorgen macht, ob er es ihr erlauben soll, diese fremde Kultur dadurch auszubeuten.
Walsh geht im Laufe des Films sogar noch einen Schritt weiter. Er besorg sich ein DEI-Zertifikat, wobei die drei Buchstaben für Diversität, Gleichheit (Equality) und Inklusion stehen und nicht für das lateinische „von Gott“, obwohl dies bei der Wahl des Akronyms durchaus eine Rolle gespielt haben könnte. Diese kann man entweder durch einen Kurs bei so renommierten Universitäten wie harvard oder Cornell erwerben oder – da dies ja eine erfundene Zertifikation ohne wirkliche Lizensierung darstellt – einfach als Plastikkarte via Internet bestellen.
Es folgen weitere Borat-Momente, da Walsh sogar sein eigenes Anti-Rassismus Seminar aufmacht, um gegen gutes Geld anderen weißen Menschen beizubringen, sich aus ihrem latenten Rassismus „rauszustrecken“, was bildlich in etwa wie Seniorenturnen aussieht.
Allein unter Rednecks
Um das ganze abzurunden, besucht er auch noch einige „Rednecks“, ein hochgradig degradierender Begriff aus den USA, der eigentlich Menschen beschreibt, die hart auf dem Feld arbeiten und sich ständig bücken müssen, was bei Weißen zu einem Sonnenbrand im Nacken führen kann. Auch sie führt er hinters Licht, aber zumindest reagieren diese Leute mit freundlichem Unverständnis und einer Offenheit, die man den „progressiven“ Sektierern aus den küstennahen Großstädten gern ans Herz legen würde.
In den Korridoren der Macht
„Am I Racist“ wurde in den USA von den Kinobesitzern meist in kleinen Sälen versteckt, von vielen renommierten Kritikern so lange gemieden, bis eine Rezension unausweichlich war – schaffte es aber dennoch, einer der größten kommerziell erfolgreichsten Dokumentarfilme der jüngeren Zeit zu sein. Auch wenn die Produzenten noch auf eine internationale Verwertung hoffen, sollten wir hier in Deutschland den Atem nicht allzu sehr anhalten.
Aber spätestens wenn die Produktionsfirma, das politische eher konservative Internet-Medienhaus Daily Wire ihn online stellt, können auch wir auch hier in den Genuss dieses Films kommen. Lacher bzw. Schnappatmung (je nach politischer Couleur) sind garantiert.