
„Europa ist seit Jahrhunderten führende Industriemacht, weil wir mit der Zeit gegangen sind‟, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vergangene Woche beim EU-Industriegipfel in Antwerpen. Entgegen der Aussagen der Kommissionspräsidentin sieht die Situation aktuell jedoch alles andere als rosig aus. Der europäische Wirtschaftsstandort droht an hohen Energiepreisen und Bürokratieflut zu zerbersten.
Die EU-Kommission unter von der Leyen muss nun handeln. Ein Maßnahmenpaket soll helfen, Energiekosten zu senken und gleichzeitig „grüne‟ Technologien voranzubringen. Doch wie das in der Praxis funktionieren soll, ist fraglich.
Ein wichtiges Ziel der EU ist es, die klassische Industrie in Europa zu stärken und gleichzeitig den CO2-Ausstoß von emissionsintensiven Stahl- und Zementwerken drastisch zu senken. Doch die Dekarbonisierung dieser Schlüsselbranchen ist mit großen Herausforderungen verbunden. Die Umstellung auf grüne Technologien bringt erhebliche Zusatzkosten für Unternehmen mit sich. Steigende Produktionskosten und technische Umrüstungen setzen die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie unter Druck.
Die EU fordert von der Stahlindustrie eine Umstellung der Produktion auf Wasserstoffbasis: Grüner Wasserstoff ist in der EU jedoch – insbesondere in Deutschland – nicht ausreichend verfügbar, was vor allem an fehlenden Produktionskapazitäten liegt. Es mangelt unter anderem an Elektrolyseuren, die Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff spalten. Der Wasserstoffanteil am Energiemix der EU liegt derzeit bei weniger als zwei Prozent.
Die Bundesregierung geht daher davon aus, dass bis 2030 bis zu 70 Prozent des benötigten Wasserstoffs importiert werden müssen, um den steigenden Bedarf zu decken. Für große Stahlproduzenten wie Thyssenkrupp, Salzgitter und ArcelorMittal stellt das ein Problem dar.
Der Mangel an Wasserstoff lässt die Produktionskosten für „klimaneutralen“ Stahl explodieren, während die Umstellung auf wasserstoffbasierte Verfahren hohe Investitionen in neue Produktionsanlagen erfordert. Die sogenannten Direktreduktionsanlagen (DRI-Anlage), die für die Wasserstoff-Stahlproduktion notwendig sind, verursachen immense Kosten – allein die geplante Anlage von Thyssenkrupp in Duisburg soll rund drei Milliarden Euro kosten. Außerdem mangelt es in Europa an einer Pipeline-Infrastruktur für den Transport von Wasserstoff.
Auch in der Baubranche zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. Erstmals wurden im November letzten Jahres verbindliche Standards für klima- und umweltfreundlichen Zement und Beton in der EU festgelegt. Als Schlüsselstrategie für die grüne Transformation wird die Carbon Capture and Storage (CCS)-Technologie angeführt – ein Verfahren, bei dem CO2 abgeschieden und unterirdisch gespeichert werden soll. Doch die Umstellung der Branche auf CCS bringt hohe finanzielle Belastungen mit sich.
Ein Greenpeace-Bericht prognostiziert, dass allein in Deutschland in den nächsten 20 Jahren bis zu 81,5 Milliarden Euro nötig wären, um CCS flächendeckend zu implementieren. Auf europäischer Ebene sind die Kostenprognosen folglich noch höher: Laut Schätzungen des Institute for Energy Economics and Financial Analysis (IEEFA) werden sich die Gesamtkosten der geplanten CCS-Projekte auf rund 520 Milliarden Euro belaufen. Besonders brisant: Bis zu 140 Milliarden Euro dieser Summe werden wohl von den Steuerzahlern getragen werden müssen.
Ein vielversprechender Ansatz, den die EU im Rahmen ihres neuen Maßnahmenpakets verfolgt, ist die Senkung der Strompreise sowie die Beschleunigung des Netzausbaus. Doch wie genau diese Vorhaben simultan umgesetzt werden sollen, bleibt unklar.
Was viele übersehen: Der Stromnetzausbau im Kontext der grünen Transformation erfordert enorme Investitionen. Schätzungen zufolge könnten die Gesamtkosten bis 2045 zwischen 651 und 732 Milliarden Euro betragen – und das allein in Deutschland.
Die Kosten für den Netzausbau werden über die Netzentgelte direkt auf die Strompreise umgelegt, was sowohl Privathaushalte als auch die Industrie finanziell belastet. Die Netzentgelte, die bereits 20 bis 25 Prozent des gesamten Strompreises ausmachen, dienen als Finanzierungsinstrument für den Netzausbau. Doch ein verstärkter und beschleunigter Ausbau der Netze könnte die Netzentgelte weiter in die Höhe treiben – was letztlich einer indirekten Strompreiserhöhung für Verbraucher gleichkäme.
Wie also die Netze für erneuerbare Energien konsequent ausgebaut und gleichzeitig die Abgaben für Verbraucher niedrig gehalten werden sollen, bleibt ein ungelöstes Rätsel.
Um die Strompreise zu senken, plant die EU-Kommission außerdem, den sogenannten „Clean-Tech-Sektor‟ gezielt zu fördern. Unternehmen, die Windturbinen und Solarmodule entwickeln, sollen in öffentlichen Ausschreibungen bevorzugt werden – insbesondere gegenüber chinesischen Anbietern.
Das erklärte Ziel: 40 Prozent der Schlüsselkomponenten für „erneuerbare Energien“ sollen künftig in Europa produziert werden. Aktuell dominieren chinesische Unternehmen den Markt nahezu vollständig. 95 Prozent der in der EU verwendeten Solarmodule stammen aus China, ebenso expandieren chinesische Hersteller im Offshore-Windsektor zunehmend nach Europa.
Das Vorhaben könnte sich jedoch als teurer Fehlschlag erweisen. Noch mehr Subventionen für „erneuerbare Energien“ werden die europäische Industrie kaum wettbewerbsfähiger machen. Wind- und Solarkraft sind wetterabhängig – gerade in Deutschland, wo insbesondere in den Wintermonaten oft zu wenig Sonne und Wind zur Verfügung stehen, sind Solar- und Windkraft keine sinnvolle Lösung. Das führt unweigerlich zu Energieengpässen und daraus resultierend zu steigenden Strompreisen.
Um eine zuverlässige und kosteneffiziente Energieversorgung zu gewährleisten, braucht es eine robuste Grundlastfähigkeit, die Wind- und Solarenergie nicht bieten können. Die einzige realistische Alternative bleibt die Kernkraft, die konstant, unabhängig von Wetterbedingungen und mit geringen Emissionen, Strom produziert. Brüssel ignoriert diese Option jedoch weitgehend.
Auch die Bürokratie soll in der EU reduziert werden, zumindest auf dem Papier. Ein neuer Vorschlag sieht vor, vier Fünftel der europäischen Unternehmen von Berichtspflichten zu befreien und bestehende Auflagen zu lockern, etwa beim umstrittenen Lieferkettengesetz. Künftig sollen Unternehmen nur noch ihre direkten Geschäftspartner auf die Einhaltung von Umwelt- und Menschenrechtsstandards überprüfen müssen – und nicht mehr die gesamte Lieferkette. Zudem soll die Einführung des Gesetzes um ein Jahr auf Juni 2028 verschoben werden.
Doch ob dieser Bürokratieabbau tatsächlich eine spürbare Entlastung für Unternehmen bringt, bleibt fraglich. Die EU ist bekannt dafür, dass auf jede abgeschaffte Regelung neue Regeln folgen. In der Vergangenheit war es gängige Praxis, dass eine regulatorische Erleichterung durch neue, teils noch kompliziertere Vorgaben ersetzt wurde. Von echtem Bürokratieabbau konnte somit kaum die Rede sein.
So verkündete die EU-Kommission im März 2023: „Die weitere Straffung der Berichtspflichten und die Verringerung des Verwaltungsaufwands sind eine Priorität der Kommission.“ Die Realität sah jedoch anders aus. Kurz darauf wurden weitreichende neue Regeln eingeführt, die Unternehmen noch stärker belasteten – darunter die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, die Lieferketten-Regulierung und die EU-Entgelttransparenz-Richtlinie.
Ob dieses Mal tatsächlich ein spürbarer Bürokratieabbau stattfindet, bleibt abzuwarten. Die bisherigen Erfahrungen lassen Zweifel an der Ernsthaftigkeit dieser Initiative aufkommen.
Die EU und ihre überzogenen „Klimaziele“ stellen Industrie und Wirtschaft vor massive Herausforderungen. Steigende Energiekosten, hohe Investitionen in grüne Technologien und eine überbordende Bürokratie gefährden die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen. Besserung ist keine in Sicht: Der Bürokratieabbau und die Entlastung der Industrie durch niedrige Energiekosten bleiben – zumindest zum jetzigen Zeitpunkt – nichts als vage Versprechen.