
In vielen Ländern wie Belgien und Frankreich sehen die jüdischen Minderheiten seit geraumer Zeit mit Sorge, die enorm großen Demonstrationen wegen des Krieges gegen die Hamas in Gaza und eine spürbare Zunahme von Ablehnung und Hass. Auch die Furcht vor Anschlägen auf Juden und jüdische Einrichtungen wächst.
Schon vor 13 Jahren hatte der britische Autor und Journalist Douglas Murray den weltweiten Aufschrei vorausgesagt, wenn Israel wegen der nuklearen Aufrüstung gezwungenermaßen gegen Iran militärisch vorgeht. „Alle werden Israel verurteilen, aber zu Hause werden sie alle… die Saudis, die Bahrainis, die Ägypter, die Libyer, die Libanesen, alle werden sagen: ‚Gott sei Dank, sie haben es getan, weil es sonst niemand getan hätte.’“
Auch Bestseller Autor Leon de Winter beschäftigt sich nun, nachdem Israel tatsächlich militärisch zugeschlagen, kritisch mit den Sichtweisen in der Welt über Iran und Israel. Er verknüpft den Krieg gegen Iran mit einer scharfen Kritik an Politik und Gesellschaft im freien Westen.
Alles was die Mullahs in Teheran wollten, sei „Tod und Verderben“, schreibt er in einer Kolumne der „Welt“. Die Tatsache, dass kaum etwas in der Welt so sehr das „Böse“ personifiziere wie die Ayatollahs und Gotteskrieger in Iran, sei von den Eliten des Westens geleugnet worden. „Sie sehen nichts. Vernebelt von postmodernen Illusionen glauben sie, alle Kulturen seien gleichwertig. Weil sie schweigen, sind sie längst Teil des Bösen geworden.“
De Winter schlägt einen großen Bogen von den Tartaren-Feldzügen vor mehr als 600 Jahren über das Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 in Israel bis hin zu den islamistischen Drahtziehern dieser Massenmorde, Folterungen und Geiselnahmen in Teheran. Der Autor erinnert sich an den russischen Filmklassiker „Andrei Rubljow“, in dem der Regisseur Andrei Tarkowski den Überfall auf die Stadt Wladimir schildert, wo sich die Tartaren „ausgelassen, beinahe übermütig… einem barbarischen Rausch aus Mord und Vergewaltigung“ hingeben.
„In ihrem Hass auf das Schöne, das Zerbrechliche, das Sanfte entladen sich ihre Triebe, blind und unreflektiert“, schreibt de Winter. Tarkowski habe „das Böse“, diese „metaphysische Abstraktion“ als etwas „Greifbares“ zeigen wollen, als „die Lust, Menschen zu entmenschlichen“.
Auch die Kämpfer der Hamas und anderer islamistischer Organisationen erwiesen sich demnach als „tatarische Horden“, als „die Vergewaltiger, die Blutgierigen – befreit von moralischen Schranken, losgelöst von kulturellen und religiösen Bindungen, entlastet von der Bürde eines gerechten Gottes“. Die Terroristen filmten stolz ihre Taten, um der Welt zu demonstrieren, dass es kein Tabu mehr gebe, „wenn sich die Gelegenheit bietet, Juden zu entehren, zu verstümmeln, zu töten“.
De Winter erinnert daran, mit welchem Jubel die Bevölkerung die Gotteskrieger in Gaza gefeiert habe. „Islamistische Mörder leiden nicht am Posttraumatischen Stresssyndrom, orgiastische Gewalt wird gefeiert, geglaubt, belohnt.“ Die Barbarei sei eine „sexuelle Entladung, das ekstatische Erleben der Befreiung von westlichen Werten“, wobei, wie immer, „Frauen den höchsten Preis“ zahlten.
Genau mit diesem Blick sähen die Mullahs in Teheran auf den jüdischen Staat, so der niederländische Bestseller-Autor. Schließlich gebe es ja keinen „objektiven Grund“ für ihren Hass, die „Staaten haben keine gemeinsame Grenze, keine wirtschaftliche Konkurrenz, keine geopolitische Rivalität“. Einzig und allein der religiös-ideologische Fanatismus nähre den Hass auf Israel und den Westen. Die Hamas habe am 7. Oktober 2023 „ein Ritual der islamistischen Verachtung westlicher Kultur“ demonstriert. Im Islamismus nehme „das Böse die Form kollektiver Psychose“ an.
„Das Böse existiert. Und wir erkennen es im Gesicht der Herrscher von Gaza – und derjenigen in Teheran“, schreibt de Winter in dem Beitrag der „Welt“, der sich in dieser analytischen und weitsichtigen Klarheit kaum bei einem deutschen Intellektuellen finden lässt. Der Niederländer klagt über die Ignoranz westlicher Eliten gegenüber den „Abgründen des Islamismus… Vernebelt von postmodernen Illusionen glauben sie, alle Kulturen seien gleichwertig, alle Menschen strebten nach denselben Idealen wie der westliche Mensch.“
Allerdings gehören zu diesen Eliten auch zahlreiche jüdische Intellektuelle in Israel selbst und in der weltweiten Diaspora, die die Entscheidung des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu zu einem entscheidenden, risikoreichen Krieg gegen Iran heftig kritisieren.
Pulitzer-Preis-Träger Friedmann warnt in der „New York Times“ schon seit geraumer Zeit vor einer drohenden Eskalation in Nahost. Das Vorgehen der israelischen Streitkräfte im Gaza-Krieg gefährde nicht nur Israels internationales Ansehen, sondern verschärfe auch die weltweite Bedrohungslage für Jüdinnen und Juden, schreibt der linksliberale Starjournalist. „Diese israelische Regierung ist eine Gefahr für Juden überall.“ Israels Politik werde „zu einer Quelle neuen Hasses“.
Friedman kann sich bei seiner Kritik auch auf einige israelische Oppositionelle und Veteranen-Organisationen beziehen, die Netanjahus Vorgehen häufig als Mittel „zur eigenen Machterhaltung“ anprangern. Umfragen in Israel zeigen allerdings, dass eine Mehrheit der Israelis grundsätzlich das militärische Vorgehen unter Netanjahus Kommando unterstützt.
Der Versuch von Experten und Kolumnisten im In- und Ausland „den Kampf ums Überleben, in den Israel verwickelt ist, als „Bibis Krieg“ (Netanjahu)“ zu kennzeichnen, verweise auf ihre „Voreingenommenheit gegenüber Israel“, schreibt die „Jerusalem Post“ am Dienstag.
Schließlich werde der Waffengang gegen Iran auch von Oppositionsführer Yair Lapid unterstützt, der geschrieben hatte: „Das ganze Land ist in diesem Moment vereint; angesichts eines Feindes, der uns die Vernichtung geschworen hat, wird uns nichts trennen.“ Die „Friedmans“ und andere Linke würden, so der Meinungsbeitrag in der Jewish Post, erneut versuchen, den Krieg als Entscheidung einer „extremen“ Regierung darzustellen, die versuche die ganze Region zu beherrschen. Das entspreche kaum der Realität.
„Die Welt wird über die israelische Aggression schreien, genau wie sie es getan hat, bevor wir 1981 den irakischen Reaktor und 2007 den syrischen Reaktor bombardiert haben. Aber mit der Zeit wird die Welt uns wieder danken“, schreibt auch der israelische Film-Produzent und Blogger Avi Abelow und trifft damit die Sichtweise vieler Israelis. Für ihn kennzeichnet der 7. Oktober 2023 die Zeitenwende, nach der sich die Israelis nicht mehr um die internationalen Empörungs-Rituale über Israels Vorgehen gegen den Terrorismus kümmern sollte. „Juden müssen sich nicht mehr zwingen, nett zu sein“, schrieb er.
Im Krieg gegen Hamas und Iran gehe es nicht nur um Selbstverteidigung, sondern „moralische Klarheit für die Welt. Wir stehen an vorderster Front im Kampf um die Zivilisation selbst“. Gegen den ewigen Antisemitismus in aller Welt lasse sich ohnehin nichts ausrichten, aber wenn es um den Respekt der „arabischen Nazis“ gehe, sei „der einzige wirksame Weg, sie in die Steinzeit zurückzubomben“. Die Geschichte werde zeigen, dass Israel den Mut hatte, „sich dem Bösen zu widersetzen, als niemand sonst in der „aufgeklärten“ westlichen Welt dazu bereit war“.
Seit über zwei Jahrzehnten warne Netanjahu vor der Gefahr einer atomar bewaffneten Islamischen Republik Iran. Er sei auf der Weltbühne vor allem auf Ignoranz, Verleugnung und Spott gestoßen. Teheran habe stets an seinen Nuklearplänen festgehalten. „Der 7. Oktober war unser Weckruf. Wir können uns nicht länger auf die Sympathie der Welt, die Moral des Westens oder die Institutionen der globalen Diplomatie verlassen, um unsere Sicherheit zu gewährleisten“. Der israelische Filmemacher repräsentiert die Israelis und Juden weltweit, trotz aller Kritik dem israelischen Regierungschef den Rücken stärken; Netanjahu sieht es wohl selbst als eine historische Mission, die atomare Bedrohung durch Iran zu verhindern. Der Amerikaner Friedman steht für die andere Seite: er reiht sich mit seiner Kritik ein in die große Gilde jüdischer und israelischer Links-Intellektuellen, die schon immer sehr schnell israelische Waffengänge und Präventivschläge als Ursache für Judenhass und Israel-Feindlichkeit ausmachten.
Letztendlich sind sie nicht weit von den Empfehlungen angeblicher „Freunde“ des jüdischen Staates entfernt, die als Reaktion auf den islamistischen Vernichtungswillen und Auslöschungswahn gegenüber dem jüdischen Staat immer wieder Diplomatie, Verhandlungen und eine „Zwei-Staaten-Lösung“ propagieren. Wobei schon sehr lange klar ist, dass maßgebliche Kräfte in der arabischen und islamischen Welt, insbesondere aber palästinensische Organisationen, vehement die Existenz Israels ablehnen und einzig und allein eine „Ein-Staat-Lösung“ anstreben, ein Land, in dem Araber und Islam dominieren. Wie das Leben der Juden in solchen Ländern aussieht, zeigt die brutale Vertreibung fast aller Juden aus der arabischen Welt in den vergangenen Jahrzehnten.
Allerdings scheint auch das Leben der Juden in der westlichen Welt zunehmend in Gefahr. Hundertausende Juden haben in den vergangenen Jahren Frankreich, Belgien, England, Irland und andere europäische Staaten Richtung Israel oder Amerika verlassen.
Denn wie in Deutschland auch hat die Zahl antisemitischer Angriffe und Anfeindungen – häufig unter dem Mantel angeblich anti-israelischer Proteste – fast in ganz Westeuropa in den letzten Jahren massiv zugenommen. Dabei scheint es in Frankreich oder Belgien angesichts der Aggressivität und Gewaltbereitschaft innerhalb der großen islamischen Minderheiten noch einmal deutlich gefährlicher zu sein als in Deutschland.
In den meisten Ländern sind nun die Sicherheitsmaßnahmen für jüdische Einrichtungen verschärft worden. Auch der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, warnte vor einer erhöhten Bedrohungslage für Juden in Deutschland. Israelische Sicherheitsexperten fürchten laut der „Jerusalem Post“, dass die iranische Führung vor allem mit Hilfe der zahlreichen, von Teheran unterstützten Terrororganisationen Anschläge im Westen verübt werden könnten, um den Druck auf Israel zur „Deeskalation“ zu erhöhen.