Erdoğan nutzt Europas Aufrüstung für seine eigenen Pläne – und fordert den EU-Beitritt

vor etwa 2 Monaten

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In diesen Tagen kann man folgende Falschmeldung in vielen deutschen Medien lesen: Deutschland sei das größte NATO-Land nach den USA und habe deshalb eine besondere Verantwortung. Es ist nichts weiter als die Wiedergabe von CDU/SPD-Positionen, um die eigenen Projekte zu verteidigen – ob hunderte Milliarden „Sondervermögen“ oder die Wiedereinführung der Wehrpflicht.

Richtig ist: Das zweitgrößte NATO-Land ist die Türkei. Das gilt sowohl für die Gesamtbevölkerung als auch für die Armee. Recep Tayyip Erdoğan hat diese Fakten eher vor Augen als manche Europäer, die eine Abkopplung von den USA mit der Ambition eigener Wehrfähigkeit verwechseln. Ohne die USA hat Ankara nicht nur auf dem Papier die stärkere Militärmacht: Es ist in zahlreichen Konflikten aktiv engagiert – so in Syrien und Libyen – und betreibt eine eigenständige Außenpolitik auf dem Gebiet des ehemaligen Osmanischen Reiches.

Diese Außenpolitik steht zwar häufig im Kontrast zu den europäischen Interessen. Bisher hat aber kein europäisches Land geschafft, sich von dem neo-osmanischen Sultan abzukoppeln. Die Türkei ist weiterhin Mitglied der NATO, und Erdoğan hat in der Vergangenheit europäische Regierungschefs zu Bittstellern degradiert, indem er die Massenmigration geschickt als Erpressungsmittel einsetzte. Das gilt nicht nur für das Nachbarland Griechenland, sondern auch für Deutschland, das sich in der Migrationskrise nur zu helfen wusste, indem es der Hohen Pforte Tribute entrichtete, um die Migration nach Europa zumindest abzuschwächen.

Die Türkei nimmt überdies eine Scharnierstellung in der Ukraine ein. Obwohl sie offiziell auf der Seite des Westens steht, bestehen die Kanäle nach Moskau weiter. Dass die Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine zur Beilegung des Konfliktes im März 2022 in Istanbul stattfanden, ist kein Zufall. Die Türkei bleibt aufgrund ihrer geostrategischen Lage zwischen Schwarzem Meer und Mittelmeer, zwischen Europa und dem Nahen Osten sowie ihrer militärischen und außenpolitischen Aktivitäten daher sowohl ein möglicher Rivale als auch ein möglicher Verbündeter – für alle Akteure in der Region.

Eine Abwertung der USA im NATO-Kräftespiel bedeutet daher eine Aufwertung der Türkei. Das ignorieren Brüssel, Paris, London und Berlin. Ankara weiß es dagegen sehr genau. Erdoğan hat bereits reklamiert, dass die EU auch die Türkei bei der Aufrüstung unterstützen solle. Wenn Erdoğan sagt, dass es „im Interesse beider Seiten liegt, einen strategischen und langfristigen Ansatz in den Beziehungen zwischen der Türkei und der Europäischen Union zu verfolgen“, geht es ihm nicht nur darum, Brüssel zur formellen Öffnung der Türen zu bewegen. Vielmehr entwirft er eine neue Allianzstruktur.

Parallel dazu stärkt Erdoğan langfristige wirtschaftliche Partnerschaften – etwa die Kooperation zwischen der italienischen Leonardo-Gruppe und Baykar, die ein Kompetenzzentrum für Drohnentechnologie auf dem europäischen Markt geschaffen haben. Diese Allianz könnte helfen, einen der historischen technologischen Rückstände Europas in diesem Sektor zu schließen. Gleichzeitig zeigte Erdoğan eine ungewöhnliche Offenheit und Wertschätzung gegenüber der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, was auf eine enge Zusammenarbeit zwischen Ankara und Rom hindeuten könnte.

Da kann es kaum jemanden wundern, wenn der türkische Präsident diese Woche fordert: „Die EU muss jetzt handeln und die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei schnellstmöglich wieder aufnehmen.“ Die Ansage ist auch deswegen klar, weil Ankara damit Europa die – vielleicht letzte – Möglichkeit bietet, doch ins europäische Konzert einzutreten, statt seine eigenen hegemonialen Absichten durchzusetzen. Wie Europa damit umgeht, bleibt unklar. Bekanntlich rekrutiert man in Deutschland bald wieder Wehrpflichtige, während die Türkei Drohnen produziert.

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