Erinnerung an den 17. Juni 1953: Ein Holzkreuz, das niemand mehr kennt

vor etwa 5 Stunden

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Bildquelle: NiUS

Kaum sichtbar ragt auf dem Mittelstreifen eines viel befahrenen Autobahnkreuzes in Berlin-Zehlendorf ein rund zwei Meter hohes Holzkreuz hervor. Zaghaft versteckt es sich hinter einem Dickicht an wild gewachsenen Pflanzen. Pausenlos rasen ringsherum die Autos vorbei, entschwinden über das großflächige Autobahnkreuz in alle Himmelsrichtungen, ohne dass sich die Insassen der Fahrzeuge großartig für das Holzkreuz interessieren würden.

Dabei handelt es sich um eine der wichtigsten Gedenkstätten in Berlin für den großen Volksaufstand vom 17. Juni 1953, errichtet von Aufständischen, die schon eine Woche später im Westteil der Frontstadt an die dramatischen Ereignisse erinnern wollten.

Der Volksaufstand von 1953 markierte kaum vier Jahre nach Gründung der DDR die erste große Erhebung gegen ein kommunistisches Regime nach dem Zweiten Weltkrieg. Immerhin eine Million Menschen beteiligten sich daran. Mit Waffengewalt und Panzern schlugen die sowjetischen Besatzer und die DDR-Staatsführung den Aufstand brutal nieder. Historiker gehen heute von mindestens 55 Todesopfern aus, die durch Volkspolizisten und sowjetische Soldaten erschossen, später in Haft hingerichtet wurden oder an den Bedingungen im Gefängnis zu Grunde gingen. Das jüngste Opfer war nur 14 Jahre alt.

Brennende Barrikaden auf dem Potsdamer Platz am 17. Juni 1953.

Die Erinnerung an diesen Tag hatte in Deutschland einstmals große Bedeutung. Sie verblasst jedoch, wie der Anblick des Holzkreuzes am südwestlichen Standrand von Berlin nachdrücklich beweist, hier in unmittelbarer Nähe zum einstmaligen Grenzkontrollpunkt „Checkpoint Bravo“. Der Zahn der Zeit nagt an der Gedenkstätte. Gepflegt wird das Areal rundherum nur unzureichend. Damit steht das morsche Kreuz in Berlin-Zehlendorf auch symbolisch für eine geschichtspolitische Abkehr, die sich durchs ganze Land zieht.

Die Ereignisse des 17. Juni 1953 sind für viele junge Menschen kaum mehr greifbar, bedauern auch Tatjana Sterneberg und Carl-Wolfgang Holzapfel, die NIUS an der Gedenkstätte in Berlin-Nikolassee trifft. Hier legen sie am späten Montagnachmittag wie jedes Jahr einen Gedenkkranz für die Opfer des Aufstands nieder. Sterneberg war in der DDR im Frauengefängnis Hoheneck inhaftiert. Holzapfel wurde als West-Berliner vor allem durch seine Protestaktionen gegen die Berliner Mauer bekannt. Nach einer solchen wurde er 1965 von ostdeutschen Grenzern am Checkpoint Charlie verhaftet. Holzapfel landete für acht Jahre in den berüchtigten Haftanstalten Hohenschönhausen und Bautzen II. Beide sind noch heute aktiv in der „Vereinigung 17. Juni 1953“, die versucht, das Andenken an den Aufstand gegen das sozialistische Regime wachzuhalten.

Tatjana Sterneberg und Carl-Wolfgang Holzapfel pflegen die Gedenkstätte in Berlin-Zehlendorf.

Den Zustand des Denkmals für die „unerschrockenen Kämpfer“ beschreiben sie kopfschüttelnd als „unwürdig“. Holzapfel erzählt, wie sich die Anlage im Grunde nur durch die Eigeninitiative einiger weniger Personen erhalte. Er selbst schaue des Öfteren mit einer Heckenschere vorbei, um gegen das wuchernde Grün vorzugehen. Schnell wird einem deutlich: Sterneberg und Holzapfel haben sich hier der Pflege einer Herzensangelegenheit verschrieben, auch wenn mit 73 und 81 Jahren alles nicht mehr ganz so einfach ist. Vom Bezirk oder der Stadt gebe es keine große Unterstützung, bedauern sie. Am Montag, einen Tag vor dem offiziellen Gedenken, ist wenigstens das ansonsten hier wuchernde Unkraut gejätet worden. Die angrenzenden Hecken sind gestutzt.

Dabei gibt es in Berlin nicht sonderlich viele Gedenkstätten, die an die Ereignisse von 1953 erinnern. Es existieren beispielsweise noch zwei bekannte Gedenktafeln, eine in Berlin-Mitte am Detlev-Rohwedder-Haus, in der DDR als Haus der Ministerien bekannt, und eine am Rosengarten in der Karl-Marx-Allee. Weiße Kreuze erinnern neben dem Bundestag an zahlreiche DDR-Opfer. Zudem gibt es ein Mahnmal für die Toten des Volksaufstandes auf dem Friedhof Seestraße in Berlin-Wedding. Hier wollen am Dienstag auch Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und die Wirtschaftsministerin Katharina Reiche (CDU) einen Kranz niederlegen.

Auf der Leipziger Straße bewerfen am 17. Juni 1953 zwei Ostberliner einen Sowjetpanzer mit Steinen.

Die Gedenkstätte in Zehlendorf hat jedoch einen besonderen Charakter, denn sie war die erste Gedenkstätte, die nach dem Aufstand in der Hauptstadt errichtet wurde. Noch im Juni 1953 trugen Ostberliner Flüchtlinge, die am Aufstand beteiligt waren, das Holzkreuz quer durch die Stadt. Sie setzten es vor einen sowjetischen Panzer, der nach dem Sieg der Roten Armee 1945 auf dem Mittelstreifen der Potsdamer Chaussee in Berlin-Zehlendorf aufgestellt worden war. Das Kreuz wurde später erneuert und durch einen Gedenkstein ergänzt.

Der sowjetische Panzer auf dem Mittelstreifen in Berlin-Zehlendorf.

Inzwischen verfällt das Areal zusehends. Eine gesonderte Pflege erfährt es nicht, denn es ist nicht denkmalgeschützt. Das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf teilt auf Anfrage von NIUS mit: „Bei diesem Gedenkort handelt es sich nicht um ein in der Denkmalliste des Landes Berlin verzeichnetes Denkmal. Dieser Erinnerungsort an der Potsdamer Chaussee liegt im gewidmeten Straßenland. Für Pflegemaßnahmen stehen letztlich nur finanzielle Mittel im Rahmen der Pflege von Straßenbegleitgrün zur Verfügung. Der Fachbereich Grünflächen ist aufgrund der Bedeutung dieses Ortes bemüht, weitergehende Pflegemaßnahmen auszuführen.“

Der Zustand des Areals im Mai 2025

Eine letzte größere Sanierung der Grünfläche gab es 2016. Seitdem passiert hier nicht mehr viel. Für DDR-Widerständler Carl-Wolfgang Holzapfel ist das bezeichnend. Mittlerweile habe der 17. Juni sogar in Ungarn, Polen oder Tschechien eine größere Bedeutung als im eigenen Land, kritisiert er. Denn dort werde das Gedenken im europäischen Kontext richtig verstanden. Der 17. Juni 1953 war der erste große Aufstand gegen das totalitäre Sowjetsystem.

Seit dem 17. Juni 2003 befindet sich neben dem Bundestag eine Installation aus sieben weißen Kreuzen am Ufer der Spree, um an alle Menschen zu erinnern, die beim Versuch, aus der DDR zu fliehen, ums Leben gekommen sind.

Doch auch aus der deutschen Bundespolitik finden sich noch immer Vertreter, die das Gedenken an den 17. Juni hochhalten wollen. Er verneige sich „in Demut vor den Opfern des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 und allen anderen, die unter der Unmenschlichkeit der SED-Diktatur gelitten haben“, erklärte Kulturstaatsminister Wolfram Weimer am Montag. „Die konsequente Aufarbeitung des SED-Unrechts und die wissenschaftlich-fundierte Vermittlung dieses Wissens bleiben für die deutsche Erinnerungskultur und unser Selbstverständnis zentral“, versprach er.

Doch ist dieses Vorhaben schwer genug. Von 1954 bis 1990 hatte der Gedenktag des 17. Juni eine deutlich größere Breitenwirkung. Der Bundestag erklärte ihn per Gesetz am 4. August 1953 zum gesetzlichen Feiertag. Zehn Jahre später, am 11. Juni 1963, erhob der damalige Bundespräsident Heinrich Lübke den Tag zum „nationalen Gedenktag“. Auch in Berlin-Zehlendorf schauten immer wieder hohe Amtsträger der Bundesrepublik vorbei, dazu auch bekannte Exil-Russen.

Doch mit der Übernahme des 3. Oktober 1990 als neuem „Tag der Deutschen Einheit“ begann auch die Erinnerung an den 17. Juni 1953 zu verblassen. Zeitzeugen gibt es kaum noch. Das macht den Zugang zur Geschichte schwerer, besonders für junge Menschen. Laut einer 2023 veröffentlichten Umfrage durch die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur wissen sechs von sieben Befragten im Alter zwischen 14 und 29 Jahren nichts mehr mit dem Datum 17. Juni 1953 anzufangen.

Am Dienstag will hier auch die Bezirksbürgermeisterin vorbeischauen.

In Berlin-Zehlendorf sind an der Gedenkstätte am Montagnachmittag die Deutschland- und die Berlin-Flagge gehisst. Für Dienstag hat sich die Bezirksbürgermeisterin angekündigt. Noch findet ein kurzes Gedenken vor Ort statt – während die Autos gleichgültig vorbeirauschen werden.

Lesen Sie auch:Kissler Kompakt: Der 17. Juni muss wieder ein Feiertag werden

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