
Saskia Esken wackelt – und klebt doch an ihrem Stuhl. Immer mehr Sozialdemokraten wollen die Parteivorsitzende, die zusammen mit Lars Klingbeil die krachende Niederlage bei der jüngsten Bundestagswahl zu verantworten hat, durch ein neues, frischeres Gesicht ersetzen. Es rumort in der ganzen Partei: Berlins Wirtschaftssenatorin Giffey spricht sich öffentlich gegen ein Minister-Amt für die Chefin aus. Eine SPD-Ministerin aus Brandenburg erteilte Esken im Sommer vor den dortigen Landtagswahlen gar ein „Talkshow-Verbot“.
Esken wird nicht zu halten sein – zu schlecht ist das SPD-Ergebnis, das auch sie verantwortet, und zu haarsträubend war ihre jahrelange Performance als Parteivorsitzende. Von freudigen Plaudereien über den „demokratischen Sozialismus“ zu Bekenntnissen zur Antifa, von der Weisheit, dass man aus dem Messerattentat in Solingen „nicht allzu viel lernen“ könnte bis zur Erkenntnis nach den Silvester-Krawallen 2022/2023, dass es kein Problem mit migrantisch geprägter Gewalt, sondern stattdessen „latenten Rassismus“ bei der Polizei gäbe – Esken irritierte die Öffentlichkeit oft mit ihren Äußerungen.
Unvergessen bleibt vielen auch ein Twitter-Beitrag von Esken, die im Februar 2022 die „beeindruckende Krisendiplomatie“ des Bundeskanzlers Scholz lobte – diese habe Russland zum Abzug seiner Truppen an der ukrainischen Grenze bewegt. Tage später überfiel Putin dann seinen Nachbarn. Sie hat einfach kein glückliches Händchen für Kommunikation. Jetzt irritiert sie die eigene Partei mit ihrem stoischen Verweilen an der Spitze – im Grunde will niemand außer Saskia Esken noch Saskia Esken als Parteichefin.
Die Genossen wollen sie, die „wie Pattex“ am Parteivorsitz klebe (so ihr eigener Kreisverbandschef), unbedingt loswerden. Denn sie verkörpere den Niedergang der SPD, mit ihr habe die Partei keine Zukunft. Dazu machen viele auch den maßgeblich von Esken betriebenen Linkskurs der Sozialdemokratie für das desaströse Wahlergebnis verantwortlich.
Bisher konnte Esken nur eine Trumpfkarte dagegen ausspielen, und zwar ihr Frau-Sein. Einer der wenigen Esken-Verbündeten in der Sozialdemokratie ist noch die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen. Dem Stern sagte die Co-Vorsitzende Maria Noichl kurz nach der Bundestagswahl: „Die Doppelspitze, der Kanzler und der Parteivorstand hatten den Auftrag, den Wahlkampf zu planen und zu leiten. Als Team. Deshalb kann ein Misserfolg niemals an einer Frau festgemacht werden.“ Noichl betont auch Eskens Qualitäten: Esken sei eine zielstrebige Frau, die stets klare Kante gegen rechts gezeigt habe. Sie findet: „Wir brauchen Saskia Esken in der ersten Reihe.“
Doch sobald eine Frau mit besserem Standing als Esken daherkommt, fällt wohl auch die Frauen-Karte weg. Und so eine Frau scheint sich jetzt gefunden zu haben. Die ehemalige Bundestagspräsidentin Bärbel Bas wird in der SPD hoch gehandelt – für eigentlich jeden Job.
Arbeits- und Sozialministerin, Gesundheitsministerin, Parteivorsitzende: Immer, wenn es um offene Posten für die und in der SPD geht, fällt ihr Name. Bas hat als ehemalige Bundestagspräsidentin einen Vorteil: Sie hat es sich, als qua Amt neutrale Person, mit niemandem verscherzt. Zumindest nicht bei Union und SPD.
Dazu ist Bas nicht nur wie Esken eine Frau, sie kommt auch wie Esken vom linkeren Flügel der SPD. Darüber hinaus ist sie jedoch gar nicht wie die wackelnde Parteivorsitzende – angefangen damit, dass sie in der eigenen Partei beliebt ist und respektiert wird. Viele beschreiben sie als eine der letzten „echten Sozialdemokraten“. Bas kommt aus der ehemaligen SPD-Hochburg Duisburg und verteidigt dort wacker das Direktmandat. Sie wuchs in sozial schwachen Verhältnissen auf und arbeitete sich hoch. Das ist eine Lebensgeschichte, wie es sie in der SPD in der Tat immer weniger gibt. Genossen beschreiben Bas als sympathisch, aber durchsetzungsstark.
Die Duisburgerin vollbringt ein Kunststück: Sie ist politisch ein weitgehend unbeschriebenes Blatt und zeitgleich eine der bekanntesten SPD-Politikerinnen. Sie ist nicht als Ampel-Vertreterin vorbelastet, wie es Esken und viele andere Spitzenfrauen in der SPD sind. Sie kann dazu als Parteilinke das Gleichgewicht der Flügel halten, wenn sie dem innerhalb der Sozialdemokratie eher als rechts geltenden Klingbeil zur Seite gestellt wird. Es spricht im Grunde genauso viel für Bas, wie gegen Esken spricht.
Für einen Wechsel ins Kabinett hat Bas alle Möglichkeiten – es gilt jedoch als wahrscheinlicher, dass die Sozialdemokratie mit ihr charmant das Esken-Problem aus der Welt schaffen könnte, indem Bas Parteivorsitzende wird. Adjektive wie „unverbraucht“ oder „sympathisch“ kann sie im Gegensatz zu ihrer Konkurrentin durchaus für sich beanspruchen. Lange war das Frau-Sein Eskens letzte Trumpfkarte – jetzt könnte Bas sie ausstechen.