
Unter halbwegs ehrenwerten Politikern gilt (galt?) der Grundsatz: „Erst das Land! Dann die Partei! Dann ich!“ Das hat sich in vielen Fällen – und immer häufiger – pervertiert: „Erst ich! Dann die Partei! Dann vielleicht das mir eigentlich verhasste Land!“ Es würden uns aus der Geschichte der Bundesrepublik viele solche Fälle von Egomanie und Selbstüberschätzung einfallen. Gleichwohl: Die Fälle nehmen zu. Es gab zuletzt so manch männliches Exemplar dieser frommen Denkart. Vom Gesundheitsminister bis hin zum Kanzler.
Aber, pardon, liebe Leserinnen, zuletzt waren es vor allem Frauen, die mit ihrer Ellenbogenstrategie und Karrieresucht dem Feminismus, der Gleichberechtigung, ihrer Partei, dem ganzen Land einen Bärendienst erwiesen. Bei manchen währte der Platz an der Sonne denn auch nur wenige Monate (Anne Spiegel; Grüne) oder kaum mehr als ein Jahr (Christine Lambrecht; SPD). Bei einer Baerbock (Grüne) war der Teppich dreieinhalb Jahre ausgelegt, bei Svenja Schulze nun schon siebeneinhalb Jahre.
Nun ahnt Esken, dass der Zug ohne sie abfährt. Nicht einmal ihr eigener Landesverband Baden-Württemberg hat sie für den Bundesvorstand der SPD vorgeschlagen. Klar, die Genossen vor Ort wissen, dass mit Esken kein Blumentopf zu gewinnen ist. Am 23. Februar erreichte sie als Direktkandidatin im Wahlkreis Calw gerade eben 12,9 Prozent. Die „Ländle“-SPD blieb trotz ihrer „promienten“ Bundesvorsitzenden bei 14,2 Prozent auf Platz 3 hängen und ließ die Grünen (13,6 Prozent) gerade eben noch hinter sich. Und dass die SPD bei der vorgezogenen Bundestagswahl vom 23. Februar bundesweit mit 16,4 Prozent und einem Minus von 9,3 abstürzte, hat gewiss mit „Spitzenkandidat“ Scholz, aber auch mit der Co-Parteivorsitzenden Esken zu tun.
Weil – oder obwohl – Esken das klar ist, nimmt sie ihr Schicksal nun selbst in die Hand. Ganz offenbar will sie SPD-Partei- und Geschlechtsgenossin Svenja Schulze hinausboxen. Es gab offenbar ein Telefonat zwischen beiden Damen. Das wird von beiden Lagern bestätigt. Laut der Schulze-Version, die sie selbst in der Partei herumerzählt haben soll, soll sich Esken bei ihr gemeldet und mitgeteilt haben, dass sie, Esken, selbst in der neuen schwarz-roten Regierung das Entwicklungshilfeministerium übernehmen werde. Die Version von Saskia Esken sei anders, so die „Bild“. Zwar habe es das Gespräch zwischen ihr und Schulze gegeben. Aber es sei nicht um die Zukunft von Esken gegangen, sondern nur um die Karrierepläne von Schulze. Sie, Esken, habe als Parteichefin erfahren wollen, ob Schulze Ministerin in der neuen Regierung bleiben wolle und ob sie sich einen Wechsel zurück ins Umweltministerium vorstellen könne.
Zurück zu Klingbeils „Erneuerung“: Dass diese mit Esken gelinge, das glaubt er wohl selbst nicht. Mit Schulze aber wohl auch nicht. Also am besten ohne die zwei? Dann muss man wohl den Staat auf andere (gewohnte) Weise zur Beute der SPD machen. Man hat damit ja Erfahrung. Also bleibt nur die Möglichkeit, die beiden auf gut bezahlte Positionen an der Spitze von wichtigen Behörden zu setzen.
Der Job einer Parlamentarischen Staatssekretärin würde beiden, Esken und Schulze, nicht reichen; sie würden das als Degradierung empfinden. Also drängt sich die Riesenbehörde der Arbeitsagentur auf, wenn Gewerkschaften und Arbeitgeber denn mitmachen. An deren Spitze sitzt aktuell eine Frau: Andrea Nahles, Ex-Vorsitzende und Ex-Ministerin der SPD. Die Arbeitsagentur aber untersteht dem Arbeits- und Sozialministerium, das wiederum der SPD zugesagt ist.
Alles in allem: Die glorreichen Zeiten des Verhandlers Klingbeil neigen sich dem Ende zu. CDU-Chef Merz konnte er mit den 16,4 SPD-Prozenten nach Belieben über den Tisch ziehen. Nun könnte Klingbeil Zoff in der eigenen Partei bekommen. Mehrere Ministerpräsidenten haben laut BILD-Informationen Klingbeil gewarnt, bei einer Berufung von Esken würde es eine Wutwelle von der Basis geben. Allerdings ist auch Schulze nicht unumstritten. Ihr wird vorgeworfen, sowohl im Umwelt- als auch im Entwicklungsressort erschreckend blass geblieben zu sein. Ein Genosse: „Eine dritte Amtszeit als Ministerin hat sie nicht verdient, zumal Klingbeil eine Erneuerung der SPD versprochen hat. Wir brauchen neue Gesichter in der Regierung.“