
Wenn das BfV Maaßen vorwirft, sich „an das neurechte Konzept des Ethnopluralismus“ anzulehnen, dient das nur seiner Diffamierung. Der Gedankengang des BfV geht so: Das Konzept des Ethnopluralismus ist nach Auffassung des BfV ein rechtsextremistisches Konzept. Es unterscheidet Ethnien mit kulturell definierten Identitäten. Maaßen unterscheidet ebenfalls kulturell definierte Identitäten. Also haben wir ihn als Rechtsextremisten entlarvt – zumindest gibt es einen Anhaltspunkt dafür, dass er einer ist.
Diese Argumentationsstruktur begegnet uns auch in anderen Zusammenhängen. Beispiel: Maaßen spricht von „Globalisten“. Es gibt anscheinend Rechtsextremisten, die diesen Begriff mit antisemitischer Konnotation verwenden. Deshalb folgert das BfV, auch Maaßen meine diesen Begriff in einem antisemitischen Sinne – obwohl er dies bestreitet und obwohl es sich um einen allgemein – auch in der Sozialwissenschaft – gebräuchlichen Begriff handelt, der im allgemeinen und im wissenschaftlichen Sprachgebrauch keinen antisemitischen Inhalt hat.
Um auf den Ethnopluralismus zurückzukommen: Dass es Ethnien mit kulturell definierten Identitäten gibt, ist entgegen der Annahme des BfV keine Erfindung von „Ethnopluralisten“ oder Rechtsextremisten. Der völkerrechtliche Minderheitenschutz setzt die Existenz von Ethnien mit kulturellen Identitäten voraus und erkennt sie sogar als wertvoll und schützenswert an. Die Ethnologie als Wissenschaft befasst sich mit ethnisch definierten Entitäten. Aber das BfV will die Existenz von Ethnien tabuisieren, um Kritiker der Politik der unbegrenzten Masseneinwanderung aus dem öffentlichen Diskurs zu drängen.
Deshalb darf es nach Ansicht des Verfassungsschutzes auch kein ethnisch-kulturell verstandenes deutsches Volk geben. Das deutsche Volk im Sinne des Grundgesetzes sei durch die Staatsangehörigkeit definiert. Einen ethnisch-kulturellen Volksbegriff kenne das Grundgesetz nicht, behauptet der Verfassungsschutz, und wer dennoch die Meinung äußert, es gebe ein durch Kriterien wie Sprache, Kultur, Geschichte und Abstammung charakterisiertes deutsches Volk, der sei ein Verfassungsfeind; er verletze nämlich die Menschenwürde der deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund, indem er sie zu Staatsbürgern zweiter Klasse degradiere.
Dies ist das zentrale Argument, auf das der Verfassungsschutz seit Jahren seine Behauptung stützt, es lägen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der AfD vor, und einzelne Landesverbände seien gar „gesichert rechtsextremistisch“.
Dieses Argument ist rechtlich unsinnig. Aus der deskriptiven Verwendung des ethnisch-kulturellen Volksbegriffs folgt rechtlich gar nichts. Es gibt Völker im ethnisch-kulturellen Sinne, darunter das deutsche Volk, und selbstverständlich darf man über diese Völker reden, ohne sich der Verfassungsfeindlichkeit verdächtig zu machen. Dies hat neulich das Oberverwaltungsgericht Münster in seinem Urteil über die Beobachtung der AfD ausdrücklich festgestellt.
Verfassungsfeindlich wäre es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Staatsvolk und Volk im ethnisch-kulturellen Sinne gleichzusetzen und alle ethnisch nichtdeutschen Staatsangehörigen aus dem Staatsvolk auszuschließen oder gegenüber ethnisch Deutschen ungleich zu behandeln. Dies ist es, was der Verfassungsschutz beweisen müsste, wenn er unter dem Aspekt, dass vom ethnisch-kulturell verstandenen Volk geredet wird, Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen begründen will. Aber solche Beweise hat er weder im Fall der AfD noch im Fall Maaßen vorgelegt.
Wer die Existenz des ethnisch-kulturell verstandenen deutschen Volkes behauptet oder sogar dafür eintritt, dass es nicht zur Minderheit „im eigenen Land“ wird, der will nach Ansicht des BfV allerdings deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund rechtlich diskriminieren, sie zu Bürgern zweiter Klasse machen oder ihnen gar die Staatsangehörigkeit entziehen. Das sind – was die AfD und was auch Maaßen angeht – unbegründete Unterstellungen. Aus der Verwendung des ethnisch-kulturellen Volksbegriffs folgt dies nicht. Es folgt auch nicht aus dem Ziel, die Identität des deutschen Volkes zu erhalten.
Wer verhindern will, dass die ethnisch Deutschen zur Minderheit in Deutschland werden, muss das nicht durch Diskriminierung oder gar Ausbürgerung ethnisch nichtdeutscher Staatsangehöriger anstreben. Das naheliegendste Mittel zur Erreichung dieses Ziels ist die Einwanderungsbegrenzung. Kein deutscher Staatsangehöriger wird durch Immigrationsbegrenzung diskriminiert. Dem Verfassungsschutz fehlt also ein Begründungselement für seine Diskriminierungsthese. Die Lücke in der Argumentation wird durch eine Unterstellung ersetzt.
Im Falle Maaßen sieht das so aus: Das BfV wirft Maaßen vor, dass er sich dagegen wendet, dass SPD und Grüne „ein nicht-deutsches Deutschland“ wollten und die Regierungskoalition den unbegrenzten Zuzug und damit „eine andere, nicht-deutsche Gesellschaft“ wolle. Indem er kritisiere, dass die Massenzuwanderung aus fremden Kulturen in Verbindung mit der schnellen Einbürgerung dazu führen könne, dass diese Migranten die ethnisch Deutschen hier dominieren könnten, spreche er den Flüchtlingen und Migranten die Menschenwürde ab.
Es verletzt aber niemandes Menschenwürde, wenn ein Politiker sich gegen eine Politik der Massenzuwanderung aus fremden Kulturen ausspricht. Maaßen hat nicht die Forderung erhoben, dass eingebürgerte Migranten in irgendeiner Weise benachteiligt werden sollen, sondern er hat die Forderung erhoben, die Einwanderung zu begrenzen und keine vorschnellen Einbürgerungen vorzunehmen.
Dies wird vom Verfassungsschutz mit der Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall sanktioniert. Wer nicht der migrationspolitischen Agenda der Merkel-Union und der Ampelkoalition folgt, wird auf diese Weise vom Verfassungsschutz stigmatisiert und ausgegrenzt.
Dieser Ausgrenzungswille wirkt mitunter obsessiv. So teilt das BfV mit, Maaßen habe auf Twitter ein Video verlinkt, das Proteste in Berlin zeige, bei denen auf Arabisch antisemitische Parolen gerufen und palästinensische Fahnen geschwenkt wurden. Das habe er so kommentiert: „Ausländer grölen in Berlin antisemitische Parolen ‚Tod den Juden, Tod Israel!‘, und das politisch-mediale Establishment schaut einfach weg und tut nichts.“ Er wendet sich also gegen Antisemitismus und dagegen, dass das Establishment dieses Verhalten dulde.
Das BfV sieht in dem Zitat einen Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen. Warum? Maaßen habe „pauschal die sich dort antisemitisch gebärdenden Personen […] als Ausländer“ bezeichnet, obwohl er doch deren Staatsangehörigkeit nicht kenne. Er ziehe mithin äußere Kennzeichen „wie die Verwendung arabischer Sprache und das Schwenken bestimmter Fahnen“ heran, „um deren etwaige deutsche Staatsangehörigkeit auszuschließen“. Dies könne auf ein biologistisches Verständnis der Staatsangehörigkeit hindeuten.
Dabei liegt auf der Hand, dass jemand, der eine solche Äußerung macht, keine Aussage über die Staatsangehörigkeit der betreffenden Personen, sondern über deren Herkunft abgeben will. Er hat dabei ein Wort gewählt, das unpräzise ist, weil man in der Tat nicht wissen kann, welche arabisch sprechenden und mutmaßlich als Migranten vor nicht langer Zeit nach Deutschland gekommenen Menschen hier bereits eingebürgert sind, wenn sie nicht ihren Personalausweis vorzeigen. Aber für das BfV ist hier schon eine juristisch unpräzise Wortwahl eine Verletzung der Menschenwürde und ein Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen.
Eine Kurzfassung dieses Textes erschien am 8.1.2025 in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ). – Professor Dr. Dietrich Murswiek war bis zu seiner Emeritierung Geschäftsführender Direktor des Instituts für Öffentliches Recht an der Universität Freiburg im Breisgau. Er ist Autor des Buches „Verfassungsschutz und Demokratie“ (2020).
Lesen Sie in den folgenden Tagen die Folgeteile der Anmerkungen zum Fall Hans-Georg Maaßen.