
Neben Brunner, der seit kurzem das Ressort für Inneres und Migration in der EU-Kommission verantwortet, gehörten auch der griechische Migrationsminister Thanos Plevris und der maltesische Innenminister Byron Camilleri zur Delegation. Nach Gesprächen mit der international anerkannten Einheitsregierung (GNU) in Tripolis waren weitere Treffen mit der rivalisierenden Regierung im Osten Libyens geplant – unter Premier Osama Hamad, der mit dem Warlord Khalifa Haftar verbündet ist. Doch der Besuch endete abrupt: Die ostlibysche Verwaltung erklärte, die EU-Delegation habe „die nationale Souveränität Libyens missachtet“. Offenbar fehlte eine im Vorfeld erforderliche Genehmigung. Die Gruppe musste den Flughafen ohne diplomatische Gespräche wieder verlassen.
Für Magnus Brunner ist das eine peinliche Niederlage, auch vor dem Hintergrund anhaltender Kritik in Österreich: Der ehemalige Finanzminister der ÖVP war in den vergangenen Monaten aufgrund des extremen Budget-Chaos, das von der Ex-Bundesregierung aus ÖVP und Grünen hinterlassen wurde, in die Kritik geraten. Brunner hätte – so die Vorwürfe – trotz eines sich abzeichnenden Milliarden-Defizits nicht gegengesteuert und sogar warnende Institutionen wie Österreichs Fiskalrat noch kritisiert.
Seit dem Sturz von Machthaber Muammar al-Gaddafi 2011 ist Libyen politisch zersplittert. Zwei rivalisierende Regierungen beanspruchen derzeit die Macht: die GNU in Tripolis, die von den Vereinten Nationen anerkannt wird, und die Regierung der Nationalen Stabilität (GNS) mit Sitz in Benghazi, unterstützt von General Haftar. Beide Seiten bestehen auf diplomatischer Eigenständigkeit, Ausländer dürfen sich nur mit ausdrücklicher Genehmigung im Land bewegen.
Hintergrund der Reise war ein EU-internes Krisentreffen angesichts der steigenden Zahl von irregulären Migranten, die von Libyen aus nach Europa übersetzen. Libyen gilt als zentrales Transitland, in dem Schlepperbanden ungehindert operieren. Die EU hofft, durch Gespräche mit beiden Machtzentren in Libyen eine gemeinsame Kontrolle der Migrationsrouten zu erreichen. Der Vorfall in Benghazi zeigt jedoch, wie fragil und schwer kalkulierbar diplomatische Missionen in dem nordafrikanischen Land derzeit sind.
Der italienische Außenminister Antonio Tajani bestätigte den Vorfall und kündigte Gespräche mit Innenminister Matteo Piantedosi an. Italien ist neben Griechenland und Malta besonders stark von der irregulären Migration aus Libyen betroffen. Tajani sprach von einer „besorgniserregenden Eskalation“, die die Handlungsfähigkeit Europas im Umgang mit den nordafrikanischen Herkunfts- und Transitstaaten gefährde.
Magnus Brunner, erst seit Kurzem im Amt als EU-Kommissar, muss sich nun nicht nur mit einer diplomatischen Blamage auseinandersetzen, sondern auch mit den anhaltenden Vorwürfen in der Heimat. Der Zwischenfall wirft ein Schlaglicht auf die zunehmenden Schwierigkeiten der EU, in den Herkunftsländern Migrationsabkommen zu schließen, besonders dann, wenn diese Länder selbst von Instabilität, Machtkämpfen und geopolitischen Rivalitäten geprägt sind.
Übrigens: Magnus Brunner und seine Delegation verflogen für den Ausflug nach Libyen Jet-Treibstoff für 4800 Kilometer. Der Liter Kerosin kostet zwischen 70 und 80 Euro-Cent. Eine Boeing 747 oder ein ähnlicher Jet-Typ verbraucht etwa 3,8 Liter Kerosin pro Sekunde, 228 Liter pro Minute, 13680 Liter pro Stunde. Für 6 Stunden (hin und zurück) verbrauchte das Delegations-Flugzeug etwa 82.080 Liter Kerosin im Gegenwert von 57.400 Euro …