EU führt Ein- und Ausreisesystem ein: Werden EU-Bürger bald wie Drittstaatler behandelt?

vor etwa 10 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Die EU plant mal wieder Neues. Weiß es jemand? Kaum. Man kann nun zwar auf mehr als ein Jahrzehnt von offiziellen Ankündigungen auf irgendwelchen EU-Webseiten zurückblicken, aber kurz vor dem Inkrafttreten der Regelung fehlt noch immer jede Öffentlichkeit für das Projekt, das bald gelebte Wirklichkeit sein wird. Die wird heimlich eingeführt, ohne dass eine demokratische Beteiligung möglich gewesen wäre.

Am 12. Oktober will die Kommission das neue „Entry/Exit System“ (EES) in Betrieb nehmen, und zwar „fortschreitend“ über eine Periode von sechs Monaten, also nach und nach an verschiedenen Grenzen wie auch Flughäfen. Das neue Ein- und Ausreisesystem ist Teil des Vorhabens „Smart Borders“, das die damalige Innenkommissarin Cecilia Malmström schon 2011 vorgestellt hat. Nun soll es umgesetzt werden, und das könnte Fingerabdrücke und Gesichtsscans für ausgewanderte EU-Bürger bedeuten – aber auch Ausnahmen davon für manchen EU-Ausländer.

14 Jahre von der ersten Vorstellung bis zur Einführung, das ist ein durchaus beachtlicher Vorlauf, der aber die Sache zugleich unbeachtet, still und leise, geradezu verstohlen vor sich gehen ließ. Und natürlich konnte niemand die EU-Kommissarin Malmström für den Plan abwählen, ebenso wenig ihre Nachfolgerin Ylva Johansson oder den jetzigen Amtsinhaber Magnus Brunner.

Bei den „‚intelligenten‘ Grenzen“ geht es laut EU-Eigenwerbung um „ein moderneres und effizienteres System zur Bewältigung der Reiseströme“ an den Außengrenzen. Man fragt sich noch, was eigentlich das Problem war, da wird die Neuerung schon mit der schieren Masse an Ein- und Ausreisen begründet. 2011 gab es angeblich 700 Millionen Grenzübertritte von EU-Bürgern und Drittstaatlern an den EU-Außengrenzen. Sind damit nur die legalen Einreisen gemeint? Oder auch illegale Grenzübertritte? Das wird nicht gesagt. Bis zum Jahr 2030 rechnet die Kommission mit einem Zuwachs von bis zu 80 Prozent, etwa an Flughäfen.

Im EES geht es nur um die legalen Einreisen. Sie sollen in sehr naher Zukunft lückenlos überwacht werden. Und genau das kritisieren die womöglich davon Betroffenen. Das sind angeblich nur Nicht-EU-Bürger, etwa US-Amerikaner. Aber auch EU-Auswanderer mit gewöhnlichem Wohnsitz außerhalb der EU befürchten, dass sie bald selbst in einer heiklen Kategorie landen könnten, etwa am Check-in-Schalter in einem Flughafen. Darunter sind Deutsche, die in der Schweiz, Großbritannien, Panama oder auch Dubai leben.

Und die ‚Lösung‘ für das inexistente Problem lautet: Statt Passstempeln soll es ab dem 1. Oktober eine biometrische Erfassung von Nicht-EU-Ausländern geben. Zeitpunkt und Ort der Einreise, Art der Reisedokumente, vier Fingerabdrücke und sogar ein Gesichtsscan (!) sollen von jedem Einreisenden erfasst und in einer zentralen elektronischen Datenbank gespeichert werden. Diese Daten sollen dann „Grenzkontroll- und Einwanderungsbehörden zur Verfügung gestellt“ werden.

Diese Vorschläge galten Experten wie dem Ex-Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar noch vor Jahren als wenig realistisch, vor allem aber als Geldverschwendung und sogar als Gefahr für die Grundrechte. Die angekündigte zentrale Datenbank übersetzte Schaar als „lückenlose Vorratsdatenspeicherung“. Und das impliziert einen Generalverdacht gegen jeden Reisenden. Schaar hielt das auch juristisch nicht für haltbar. Zudem sah er laut Zeit online Sicherheitsgefahren für den einzelnen wie für die Gesamtheit: „Wenn etwas schiefgeht, bei irgendeinem Grenzkontrollpunkt, in irgendeinem Zug, auf irgendeinem Flughafen oder einem Seehafen – dann ist das ganze System im Grunde genommen kompromittiert und die dort gespeicherten Daten sind nicht zuverlässig.“

Schon bislang lockte die EU mit „leichterem Zugang“, wenn Reisende bereit waren, mehr Daten noch schneller und noch bequemer für die Kontrolleure preiszugeben – per „Vorab-Screening“. Nun geht es darum, das System, das als Nudging begann, umfassend zu machen. Es scheint dabei zuletzt um zwei Sachen zu gehen, von denen eine legitim erscheint: Personen, deren Visa abgelaufen sind, sollten nicht in der EU bleiben dürfen. Sozusagen der Grenzschutzaspekt der Sache, aber braucht es dazu eine allgemeine Überwachung?

Daneben will man die Ein- und Ausreisen aber wohl auch aus wirtschaftlichen oder noch besser steuerlichen Gründen kontrollieren. Das betrifft etwa Auswanderer, die keinen gewöhnlichen Wohnsitz mehr in der EU haben. Ihnen könnte das neue EU-Außengrenzregime für legale Einreisen Probleme bereiten, auch wenn sie einen deutschen, schwedischen oder italienischen Pass haben.

Denn die Freizügigkeit in der EU gelte nicht „abstrakt“ für jeden Staatsbürger eines EU-Mitglieds. Man muss sie auch „in Anspruch nehmen“, wissen Auswandererseiten im Netz (etwa Perspektive Ausland). Das heißt, man müsste zumindest einer Beschäftigung (Arbeit, Studium) in der EU nachgehen, um auch ohne festen EU-Wohnsitz als EU-Bürger zu zählen. Fehlt es an einem dieser „Anknüpfungspunkte“, dann könnte es eng werden, und der deutsche Auswanderer gilt auf einmal als EU-Ausländer, würde ebenso behandelt und dürfte sich folglich nur 90 Tage am Stück in der EU aufhalten. Danach müsste er die EU wieder für 90 Tage meiden. Das besagt die 90/180-Regel in der zugehörigen Verordnung. Laut Experten werden sogenannte „Overstays“ dann automatisch markiert und führen erst zu freundlichen „Hinweisen im System“, zu Nachbefragungen oder sogar Einreiseverweigerungen.

Unerfreulicher als dieses Problem, das vielleicht lösbar wäre, ist der generelle Trend zur Durchleuchtung unbescholtener Staatsbürger, der erkennbar wird. Nahe liegt, dass man es damit auch auf Steuereinnahmen abgesehen hat. Die Behörden bekommen so jedenfalls die Möglichkeit, „Aufenthaltsmuster“ zu kontrollieren und wahrzunehmen. Um überhaupt einreisen zu können, könnte es notwendig werden, umfangreiche Nachweise und Informationen vorzulegen: Krankenversicherung, finanzielle Mittel, Zweck und Dauer des Aufenthalts, Rückreise- oder Weiterreisetickets, Wohnadresse während des Aufenthalts. EU-Auswanderer, die nur ihren Pass behalten haben, würden diskriminiert. In vielen EU-Ländern müssten sie sich innerhalb von drei oder acht Tagen bei den Behörden melden.

Übrigens hört man, dass Zypern und Irland sich vorerst Ausnahmeregelungen ausbedungen haben. Doch das ist ein schwacher Trost für EU-Bürger mit Interessen anderswo. Wieder einmal befasst sich die EU mit der Gängelung rechtstreuer Bürger, anstatt endlich massiv gegen die illegalen Einreisen vorzugehen, die wirklich für Unsicherheit in den EU-Ländern sorgen. Sie sollten in Wahrheit das Thema von „Smart Borders“ sein, aber dagegen haben sich Grüne und Linkspresse bei Zeiten gewehrt. Nun kommt der Backlash gegen die Bürger.

Und tatsächlich sind noch einige Gruppen von der Pflicht zur Registrierung im EES ausgenommen, wie man lesen kann. Und dazu gehören auch „Nicht-EU-Bürger, die eine Aufenthaltskarte besitzen und mit einem EU-Bürger unmittelbar verwandt sind“, oder auch „Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis und eines Visums für den längerfristigen Aufenthalt“. Hier hätten dann also wirklich EU-Ausländer mehr Rechte als EU-Staatsbürger. Tatsächlich resultiert aus diesen Elementen ein neues Berechtigungswesen, das nicht mehr mit den klassischen Nationalitäten übereinstimmt, sondern ganz neu und rein bürokratisch begründet wird.

Es verwundert freilich nicht, dass die EU-Kommission mit der Möglichkeit des „Nomadismus“ der Bürger fremdelt, denn wohl wollte man den EU-Raum vereinheitlichen und so Ansiedlungsmöglichkeiten für Spanier in Finnland oder für Iren in Italien schaffen, aber an das Nicht-EU-Ausland sollten die Steuerzahler nun auch nicht verloren gehen. Insofern ist auch noch nicht klar, wie die Grenzbeamten letztlich vorgehen werden und ob die EU-Pässe am Ende noch etwas wert sein werden.

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