Paukenschlag aus Luxemburg: EU-Gerichtshof verbietet Ausweitung sicherer Herkunftsländer bis 2026

vor etwa 2 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Es ist ein hochpolitisches Urteil. Und wieder einmal eines, das frei in der Luft zu schweben scheint, als gäbe es gar keine korrespondierende Realität dazu und nicht verschiedene Güter, die es abzuwägen gälte. Im Urteil heißt es apodiktisch: „Ein Mitgliedstaat darf … einen Staat nicht in die Liste sicherer Herkunftsstaaten aufnehmen, wenn dieser Staat nicht seiner gesamten Bevölkerung einen ausreichenden Schutz bietet.“ Das ist der zentrale Satz. Und „seiner gesamten Bevölkerung“ wird dann noch ausbuchstabiert als „in Bezug auf bestimmte Personengruppen“. Es soll demnach reichen, wenn eine „bestimmte“, wenn auch stark in der Minderheit befindliche, Gruppe in einem Staat als gefährdet gilt. Ist das der Fall, dann darf kein Mitgliedsstaat den betreffenden Staat zum sicheren Herkunftsstaat erklären – jedenfalls nicht, bevor eine neue Verordnung der EU zum integrierten Asylrecht (GEAS) in Kraft tritt. Das ist aber erst für den Juni 2026 geplant. Süffisant heißt es dann noch: „aber es steht dem Unionsgesetzgeber frei, diesen Zeitpunkt vorzuverlegen“.

Es geht also wieder einmal um ein Urteil zugunsten von weitgehend abstrakt gedachten Gruppen, denen auf diesem Wege ein Asylschutz beinah schon garantiert wird, ganz gleich ob die einzelnen Gruppenmitglieder konkret verfolgt sind. Und in diesem Fall breitet das EU-Gericht den Schutz auch noch auf alle Bürger des betreffenden Staates aus, mindestens vorübergehend, bis GEAS kommt.

Polizeigewerkschafts-Vize Heiko Teggatz (DPolG) sieht laut Bild gar das Gelingen von GEAS schlechthin auf der Kippe: „Das sind ganz schlechte Vorzeichen für das Gelingen der Umsetzung eines gemeinsamen europäischen Asylsystems (GEAS).“ Für alle EU-Mitglieder, die eine Liste von sicheren Herkunftsländern führen, bedeutet das Urteil des EU-Gerichtshofs ein neues Hindernis auf dem Weg zu mehr Sicherheit an den Grenzen und im Inland.

Konkret sollte der EU-Gerichtshof über die Sicherheit von Bangladesch entscheiden, das von Italien im Zuge der letzten Migrantenzustrom-Krise an seinen Seegrenzen zum sicheren Herkunftsland erklärt worden war. Das Gericht entschied, dass Asylanträge von Personen aus Bangladesch nicht generell abgelehnt werden dürfen, weil bestimmte Personengruppen in dem Land nicht sicher vor Verfolgung seien. Das gelte etwa für Homosexuelle, heißt es nun, vielleicht auch für andere Gruppen, etwa Hinduisten. In der Tat haben aber Bengalen, die es nach Lampedusa schaffen, schon zahlreiche sichere Länder durchwandert. Hindus könnten ins benachbarte Indien fliehen. Müsste man dieses Argument nicht abwägen?

Und was ist auf der anderen Seite eigentlich mit deutschen Landesgegenden wie Berlin-Neukölln oder Köln-Chorweiler oder Duisburg-Marxloh passiert, von deren Betreten Juden und homosexuellen Paaren heute ganz explizit von Polizeipräsidenten abgeraten wird? Kann der homosexuelle Neuköllner dann in Berlin-Mitte, Potsdam oder Lichtenberg Asyl bekommen? Mittlerweile sind auch selbst „Schutzsuchende“ wie syrische Kurden oder Drusen in Deutschland nicht mehr sicher. Sie werden auf offener Straße von sunnitischen Syrern attackiert, als reichte „Präsident“ al-Scharaas starker Arm bis nach Düsseldorf (TE berichtete).

Das Witzige ist nun, dass auch die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen kürzlich eine Liste mit sicheren Herkunftsstaaten vorgeschlagen hat, die noch nicht von Parlament und Rat abgesegnet wurde. Darauf findet sich neben Ägypten, Indien, Kolumbien, das Kosovo, Marokko und Tunesien eben auch Bangladesch. Giorgia Meloni kritisierte das Urteil scharf, das sie „überraschend“ nannte: „Das ist ein Schritt, der alle beunruhigen sollte.“ Innenminister Piantedosi erklärte laut Il Giornale, dass das Albanien-Modell bis auf „ein oder zwei Länder“ in der EU „sehr positiv gesehen wird, sogar von Ländern, die eine andere politische Führung haben als unsere Regierung“. So denke etwa die sozialdemokratische Regierung Dänemarks in diesen Fragen sogar noch strenger als Rom.

Meloni ist indes Kummer auch von der italienischen Justiz gewohnt, die ihr Albanien-Modell für Asylanten mit geringen Anerkennungschancen permanent attackierte. Dabei bedeutet die Einstufung als sicheres Herkunftsland gar nicht, dass alle Asylanträge ohne Prüfung abgelehnt werden. Sogar der Meloni-Plan sah vor, dass in den italienischen Lagern in Albanien beschleunigte Asylverfahren durchzuführen sind. Jeder, der etwas anderes behauptet, malt einen Teufel an die Wand, der nur in seinem Kopf existiert.

Tatsächlich werden hier wiederum den Migranten möglichst viele, den europäischen Staaten möglichst wenige Rechte gegeben. Es scheint erneut darum zu gehen, den Kampf gegen die illegale, widerrechtliche Zuwanderung in die EU und damit auf den europäischen Kontinent zu hintertreiben, ihn mit Rechtsmitteln zu bombardieren und unmöglich zu machen. Die Richter fordern zudem, dass jede Erklärung zum sicheren Herkunftsland für Gerichte in Zukunft nachvollziehbar und überprüfbar bleibe. Auch damit mischen sie sich deutlich in das Geschäft der Exekutive ein und beanspruchen in allen Detailfragen das letzte Wort.

Die deutsche Union scheint derweil noch nicht ganz bereit, die Tragweite des Urteils anzuerkennen. Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) ließ gegenüber Bild verlauten, Deutschland stufe Staaten „bereits heute … nur dann als sichere Herkunftsstaaten ein, wenn dort die Bevölkerung als sicher gilt“. Außerdem würden auch die Gründe der Einstufung „im Rahmen der jeweiligen Einstufung als sicherer Herkunftsstaat offengelegt“. Das ist die zweite Bedingung des EU-Gerichtshofs. So könnte man sagen: Dann ist ja alles gut. Dobrindt, der sich die Fähigkeit zur Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten kürzlich ins eigene Ministerium geholt und damit der Legislative – vor allem dem Bundesrat – entrissen hat, muss also nur im schriftlichen Aufsatz erklären, warum wirklich alle „Bevölkerungsgruppen“ in Algerien oder Tunesien sicher sind. Dann läuft das schon.

Der hessische Innenminister Roman Poseck (CDU) gibt immerhin zu, dass das Urteil „für Staaten ein Problem sein“ könnte, in denen „große Teile der Bevölkerung sicher sind, aber möglicherweise Randgruppen nicht in gleicher Weise“. Namentlich bei Marokko, Algerien und Tunesien ist sich auch Poseck plötzlich nicht mehr sicher, ob Minister Dobrindt sie bald zu sicheren Herkunftsstaaten erklären darf. Kommt der lange geforderte, aber bisher von den Grünen verhinderte Schritt nicht, wäre das nicht nur eine Blamage für den CSU-Minister, sondern auch ein weiteres eindrückliches Zeichen dafür, dass die EU-Institutionen Deutschland und seiner Handlungsfähigkeit nicht gut tun.

Ganz richtig ordnet Hillgruber den Prozess vor dem EU-Gerichtshof in die Kategorie der „strategischen Prozessführung“ ein, bei der oft Einzelne (in diesem Fall bengalische Migranten) sich vor den Karren großer „NGOs“ mit oft eigenen Rechtsabteilungen spannen lassen, weil beide Gruppen dasselbe Interesse haben: die Ausweitung des EU-Asylkomplexes, keineswegs seine Schrumpfung auf ein normales und gesundes Maß, das man sicher nicht vor dem Jahr 1990 situieren dürfte, vermutlich eher um das Jahr 1960, als die Bedeutung und Intention der verschiedenen Rechtskonventionen noch am frischsten im Gedächtnis war.

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