
Das Europäische Parlament fordert von der inzwischen aufgelösten Fraktion Identität und Demokratie (ID) mindestens 4,3 Millionen Euro zurück. Eine interne Untersuchung wirft der Gruppe, die politisch die Heimat von Marine Le Pens Rassemblement National und der deutschen AfD war, Verstöße gegen Vergaberegeln und Finanzvorschriften vor.
Laut dem Bericht des Finanzdienstes des Parlaments sollen zwischen 2019 und 2024 öffentliche Aufträge in Millionenhöhe ohne korrekte Ausschreibung vergeben worden sein. Betroffen seien laut Politico Verträge für Werbung, Druckleistungen und Social-Media-Betreuung in Österreich, Frankreich und Deutschland – im Wert von 3,6 Millionen Euro. Oft sei die Ausschreibung nur als Alibi-Aktion durchgeführt worden, ohne echten Wettbewerb. In einem besonders brisanten Fall soll ein Werbeauftrag direkt an ein Unternehmen gegangen sein, das von einem ehemaligen FPÖ-Abgeordneten geleitet wird – heute Mitglied der neuen Fraktion Patriots for Europe.
Zusätzlich wird den ID-Verantwortlichen vorgeworfen, eigenmächtig ein System von Spenden an Vereine und Organisationen aufgebaut zu haben. Zwischen 2019 und 2024 sollen so mehr als 700.000 Euro an NGOs geflossen sein.
Die Brisanz der Affäre liegt auch darin, dass die ID-Gruppe nach der Europawahl 2024 aufgelöst wurde. Viele ihrer Abgeordneten und Mitarbeiter wechselten nahtlos in die neue Fraktion Patriots for Europe. Nun prüft das Haushaltskontrollkomitee des Parlaments, ob die Nachfolgeorganisation rechtlich haftbar gemacht werden kann. „Ein bloßes Umbenennen oder Auflösen darf nicht dazu führen, dass Schulden und Missbrauch folgenlos bleiben“, betonte der CDU-Europapolitiker Niclas Herbst, Vorsitzender des Gremiums.
Die „Patrioten“ weisen alle Vorwürfe scharf zurück und sprechen von einer „politisch motivierten Hexenjagd“. Man sei nicht Rechtsnachfolger der ID und habe „exzellente Anwälte“, heißt es in einer Stellungnahme. Sollte das Parlament versuchen, die Gelder einzutreiben, werde man vor Gericht ziehen.
Parallel ermittelt auch die Europäische Staatsanwaltschaft (EPPO) wegen des Verdachts der Veruntreuung von EU-Mitteln. Eine endgültige Entscheidung über das weitere Vorgehen soll das Präsidium des Parlaments treffen, dem 14 Vizepräsidenten angehören.