
Für den deutschen Steuerzahler waren die zurückliegenden 18 Monate ein teures Vergnügen. Neben höheren Abgabenlasten durch den Anstieg der Grundsteuer, den höheren Spitzensteuersatz, die Anpassung der Mehrwertsteuer im Gastgewerbe, der Sondersteuer auf CO2, griff auch die EU dem Bürger und der Wirtschaft ordentlich in die Taschen. Da waren unter anderem höhere Verbrauchsteuern auf Tabak und Energie, eine Anhebung des EU-Anteils am CO2-Verbrauch (das effektivste Vehikel, das ihnen bislang eingefallen ist) sowie eine Handvoll zusätzlicher Regulierungspflichten in den Bereichen der Chemikalien- und Nachhaltigkeitsdokumentation.
Diese Auflistung erhebt nicht den Anspruch der Vollständigkeit. Sie soll lediglich einen Hinweis auf das hohe Arbeitspensum geben, das deutsche und Brüsseler Bürokraten leisten, wenn es um die moralische Domestikation der offenkundig noch immer zu frivolen Bürger geht.
Folgt man den hochtrabenden EU-Prospekten und den von Zeit zu Zeit im Internet fingierten Bürgerbefragungen, geht es den Eurokraten um eine bessere Welt. Saubere Meere, klare Luft und faire, am besten inklusive – was auch immer das bedeuten soll – Arbeitsbedingungen in jedem Winkel der Welt. Mit dem entsprechenden Ablass, der von Brüssel ausgetüftelten, passgenauen Abgabe, lässt sich Maliziöses aus der Welt schaffen. Vielleicht sollten wir Ursula von der Leyens Truppe als eine Art pastoralen Euro-Evangelisten-Verein verstehen. Dann ergibt das alles vielleicht doch noch eines Tages einen Sinn.
Dass Brüssel ausschließlich für das Gute kämpft, werden wir möglicherweise in Kürze aufs Neue an der Ladenkasse erleben. Ab dem kommenden Jahr soll die EUDR-Verordnung wirksam werden.
Diese steht für: European Union Deforestation Regulation, oder lakonisch auf Deutsch: EU-Entwaldungsverordnung. Im Kern sollen in Zukunft Rindfleisch, Soja, Palmöl, Holz, Kaffee, Kakao und Naturkautschuk sowie daraus gefertigte Produkte nur noch aus Regionen importiert werden, die nicht zu Produktionszwecken entwaldet oder Waldschäden festgestellt wurden.
Die Verantwortung für Kontrolle, Nachweis und Dokumentation dieses nicht banalen und äußerst kostspieligen Prüfverfahrens wird dann natürlich die heimische Wirtschaft übernehmen, und zwar auf allen Ebenen des Handels. Diese mag zwar bis zum Hals in Problemen stecken und vor lauter Bürokratie schon aus dem letzten Loch pfeifen (jährlich 146 Milliarden Bürokratiekosten), aber aus Sicht der Eurokraten ist noch ausreichend Spielraum für weitere Sozialexperimente vorhanden.
Dies rief dann auch die Spitzenverbände auf den Plan, die sich dem Vorschlag des Vorsitzenden der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, Daniel Caspary, anschlossen und eine Begrenzung der Berichtspflichten auf den Erstimporteur der entsprechenden Waren forderten. Doch der Hilferuf aus der Wirtschaft verhallte, wie so oft, ungehört.
Das Verfahren indes ist uns vom sogenannten Lieferkettengesetz bekannt: Brüssel oder Berlin, möglicherweise auch beide unabhängig voneinander, definieren einen Katalog sozialer Wunschvorstellungen, grundsätzlicher Arbeitsbedingungen oder Umweltstandards und verpflichten im Anschluss die private Wirtschaft dazu, diesen Katalog entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu exekutieren. Ein besonderer Spaß für die Reorganisation interner Abläufe und eine sprudelnde neue Kostenstelle im Unternehmen.
Die Leistung der Bürokraten hingegen beschränkt sich im Anschluss darauf, stichprobenartig oder mithilfe von Whistleblowern widerspenstige Dissidenten von dieser Regel zu identifizieren und mit hohen Strafen zu drangsalieren. Ordnung muss sein.
Während das Lieferkettengesetz derzeit nur für Großunternehmen mit einer Belegschaft von wenigstens 3.000 Mitarbeitern Geltung besitzt (in Kürze dann ab 1.000), wird die EUDR nach ihrem Start im Januar ab Jahresmitte für alle Betriebe und Händler gelten, die ihren Sitz in der EU haben oder am EU-Binnenmarkt mit einem Angebot der genannten Produktgruppen partizipieren wollen.
Dann müssen sämtliche Betriebe umfangreiche Nachweise über die Nachhaltigkeit und Legalität ihrer Lieferketten vorlegen. Damit entstehen erhebliche zusätzliche Anforderungen an Transparenz, Rückverfolgbarkeit und das betriebsinterne Reporting. Die Verordnung ist ein wesentlicher Bestandteil der europäischen Nachhaltigkeitsstrategie und des Green Deals.
Versucht die EU im Sinne der eigenen Agrarlobby auch mit diesem Richtlinienkatalog außereuropäische Konkurrenz aus dem Feld zu räumen? Der Green Deal hat sich in der Vergangenheit als große nichttarifäre Handelsbarriere erwiesen, die selbst US-Präsident Donald Trump in seinen Verhandlungen mit der EU-Kommission nicht aus dem Weg räumen konnte.
Es hat sich über die Jahre in der EU ein brandgefährlicher Geist neuartigen Korporatismus entwickelt. Eine kaum messbare Sonderökonomie ist entstanden, sei es im Bereich der europäischen Landwirtschaft oder der zunehmend staatlich dirigierten Energiewirtschaft, die auf dem Regulierungskatalog Brüssels aufsetzt. Diese Unternehmen nutzen die massive Regulierungstätigkeit und Subventionen, um sich sowohl die lästige Konkurrenz am Heimatmarkt als auch außereuropäische Wettbewerber im Zusammenspiel mit den Regulatoren vom Hals zu halten.
Leidtragende sind dabei nicht nur die verdrängten Betriebe und deren Belegschaften, sondern immer auch die Verbraucher, die letzten Endes die Zeche für fehlenden Wettbewerb in Form höherer Preise zahlen.
Der Kosteneffekt, den die EUDR initiieren wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht einzuschätzen. Aber es ist verdächtig, dass sich Produkte wie Rindfleisch auf der Liste befinden, da die Reduktion des Fleischkonsums zur ideologischen Kampagne Brüssels zählt. Es wird teuer, das ist sicher.
Ginge es der EU tatsächlich ausschließlich um Umweltschutz, müsste sie ihre Bemühungen auf diejenigen Regionen beschränken, die tatsächlich von Entwaldung betroffen sind. Das sind im Wesentlichen Krisenregionen wie der Kongo oder von der Regierung in Brasilien nicht ernsthaft bekämpfte Brandrodungen des Amazonas-Regenwaldes.
Das Ausmaß der Absurdität dieser Verordnung wird besonders deutlich, bedenkt man, dass künftig auch Deutschland in die Dokumentationspflicht als Ursprungsland der Rohstoffe aufgenommen werden muss. Deutschland weist seit Jahren einen stabilen Waldzuwachs auf. Wir stehen vor einer weiteren gezielt betriebenen Preistreiberei und das nach Jahren hoher Inflation. Die EU als kostspieliger Erzieher und moralischer Dompteur – das war so nicht vereinbart.
Mit der EUDR beweist die EU-Kommission vor allen Dingen eines: Sie versucht, das umfangreiche Regelwerk des Green Deal unter Hochdruck in den nationalen Gesetzgebungen ihrer Mitgliedstaaten zu verankern, um ihre Machtbasis zu sichern. Die Verordnung ist der nächste größere Baustein im inzwischen gigantischen Mauerwerk der Brüsseler Eurokratie. Und sie fügt sich ein in die Regelungen Brüssels zur Verhaltenssteuerung der Menschen und zur paternalistischen Gängelung.
Und wie schon im Falle der Deindustrialisierung und der Energiekrise in Deutschland, stellt sich auch in diesem Falle die Elite der Wirtschaft nicht schützend vor die Verbraucher und gegen den regulatorischen Wahnsinn des Green Deal.