„Euer Wille geschehe“ – eine politische Exzentrik des Vaterunser?

vor 3 Monaten

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Bildquelle: Tichys Einblick

Der Wiener Theologieprofessor Ulrich Körtner ist entsetzt. „Österreich befindet sich politisch in schweren Gewässern. Alle Versuche, den rechtsextremen Politiker Herbert Kickl und seine FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) von der Macht im Bund fernzuhalten, sind gescheitert.“ Körtner ist nicht nur der Meinung, dass die FPÖ schlechte Lösungen und schlechte Politiker hat. Darüber hinaus stellt er die Christlichkeit dieser Partei in Frage. Die Begründung des Theologieprofessors für diese krasse Einstufung ist erstaunlich:

„Im Wahlkampf ließ Kickl den Slogan plakatieren: ‚Euer Wille geschehe’. Mit der Christlichkeit einer Partei, die so das Vaterunser pervertiert, ist es nicht weit her.“

„Prüfet alles und das Gute behaltet“ (1. Thess 5,21), fordert die ökumenische Jahreslosung 2025 alle Christen auf. Also will ich mal Körtners Vorwurf prüfen. Pervertiert die FPÖ gotteslästerlich das Vaterunser?

„Euer Wille geschehe“, das ist ein Kernsatz jeder Demokratie.

In einer Demokratie geht es nicht um Parteien, die sich den Staat zur Beute gemacht haben. In einer Demokratie geht es nicht um irgendeine vermeintliche Kulturelite, die allen anderen sagt, was diese zu denken und zu tun und zu wählen haben. „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ (GG 20.2). Hier schlägt das Herz der Demokratie. In freien Wahlen, wo der Wille der Wähler geschieht, geht die Macht vom Volke aus. „Euer Wille geschehe“ ist ein pfiffiger Spruch, der nicht „Unseredemokratie“, sondern Demokratie groß macht.

Steht dieser Slogan im Widerspruch zum „Dein Wille geschehe“ des Vaterunser?

Nur wenn man der Meinung ist, dass Demokratie nicht dem Willen Gottes entspricht. Wo der Wille Gottes mit Demokratie zusammengedacht werden kann, ist dieser Wahlslogan ein Spruch, der mit dem christlichen Glauben Hand in Hand einhergeht. Ich finde es immer wieder frappierend, wenn Kirchenfürsten zutiefst besorgt sind um die demokratische Ausrichtung unserer Gesellschaft, dabei anscheinend selber noch gar nicht in der Demokratie angekommen sind.

Als Christ und Demokrat bete ich in meiner Beziehung zu Gott von ganzem Herzen „Dein Wille geschehe“. Als Christ und Demokrat nehme ich in meiner Beziehung zur Gesellschaft von ganzem Herzen in Anspruch „unser Wille geschehe am 23. Februar 2025“. Ich bin froh, dass wir nicht in einer Theokratie leben, in der akademisch-protestantische Mullahs hochnäsig den vermeintlichen Willen Gottes und den vermeintlich korrekten Sprachstil allen anderen Menschen aufoktroyieren können.

Wenn der Wahlslogan inhaltich dem christlichen Glauben nicht zuwider ist, kann man aber der FPÖ vorwerfen, dass es schlechter Stil ist, wenn sie ein heiliges Gebetswort Jesu aufgreift und für den Wahlkampf der eigenen Partei instrumentalisiert?

Über Stilfragen kann man geteilter Meinung sein. Unterschiedliche Milieus pflegen unterschiedliche Stile. Ich respektiere jeden, der den Wahlslogan geschmacklos findet. Aber über diese Stilfrage zu dem harschen Urteil zu kommen, die FPÖ „pervertiere“ das Vaterunser und wäre keine mit dem christlichen Glauben kompatible Partei, finde ich schlechten Stil.

Ich persönlich freue mich, wenn die Worte Jesu nicht im Schrank verstauben oder in einem klerikal-sakralen Bereich gefangengehalten werden. Viele Worte Jesu haben eine Kraft und Lebendigkeit, die den gesellschaftlichen Diskurs bereichern. Wie in jedem Rezeptionsprozess werden dabei die Jesusworte entweder dem Wortlaut nach oder inhaltlich angepasst. Das ist immer so bei Kunst und Religion. Ein Künstler sagte mir einmal: „Meine Bilder sind meine kleinen Kinder, die erst im Rezeptionsprozess erwachsen werden und sich dabei manchmal ganz anders enwickeln, als ich mir das bei meinen Kindern gedacht oder gewünscht habe. Das ist anregend und manchmal auch aufregend. Aber es ist gut so.“ Sprachverbote und Empörung in Richtung einer vermeintlichen religiösen Korrektheit sind umso verstörender, wenn die Rezeption dem christlichen Geist gar nicht widerspricht.

In diesem konkreten Falle regt der Wahlslogan den Diskurs an, wie sich Gottes Wille und Demokratie zueinander verhalten. Das ist ein notwendiger Diskurs, zumal es in Kirche und Kulturelite immer noch Menschen zu geben scheint, die mit der Kompatibilität von „Gottes Willen“ und Demokratie ihre Schwierigkeiten haben.

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