
Während sich im Westen, im Zentrum der alten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Karlspreis an die Brust heften ließ, formulierte einer im Osten, in der neuen EU, fundamentale Kritik:
„Der europäische Traum wurde uns gestohlen“, erklärte Orbán. Die ursprüngliche Vision eines friedlichen, wohlhabenden und selbstbestimmten Europas sei einer zentralistischen Agenda geopfert worden, die nationale Interessen untergrabe und Bürger entrechte. „Statt des europäischen Traums haben wir einen Albtraum“, so Orbán weiter. Das früher liberale Projekt gründe nicht mehr auf kultureller Identität oder demokratischer Vielfalt, sondern auf „neuer Identität, zentralisierter Wirtschaftsführung und permanenter Verschuldung“.
Ursula von der Leyen erhalte den Preis „für ihre Verdienste um die Einheit der Mitgliedstaaten, die Eindämmung der Pandemie, die Geschlossenheit des Verteidigungswillens gegen Russland und die Impulse zum Green Deal einerseits sowie zur Ermutigung gegenüber den anstehenden Aufgaben.“
Im Osten dagegen wird Alice Weidel gefeiert. „Die AfD-Chefin wurde auf der CPAC-Konferenz in Budapest gefeiert wie ein Rockstar. Sie ist endlich angekommen im internationalen konservativen Mainstream,“ formuliert Boris Kálnoky.
Nun kann man fragen: Alice Who? Wer ist schon die Co-Parteivorsitzende einer Partei ohne Regierungsbeteiligung; sogar die vollwertige Ausübung parlamentarischer Rechte wird ihrer Partei durch eine 80-Prozent-Mehrheit im Deutschen Bundestag verweigert. Während Ursula von der Leyen über dreistellige Milliaden-Budgets verfügt und im Alleingang, ohne Kontrolle und willkürlich per SMS weitere Milliarden allein für gefahrvolle Medikamente verschieben kann findet „Alice Who?“ nur mühsam eine Halle für die Abhaltung der vorgeschriebenen Parteitage. Und bejubelt wird sie auf Einladung von Victor Orbán, der seinerseits in der EU geächtet wird wie einst ein Mensch ohne Maske in einem Lokal von Corona-Angsthabern. Die Macht ist ungleich verteilt.
Ganz so einfach ist es nicht. Noch vor zwei Jahren bedauerte Orbán, dass er mit Weidel und der AfD nicht sprechen könnte mit Rücksicht auf CSU und CDU. Diesmal wurde Weidel kurzfristig eingeladen; eine Art politischer Überraschungsgast. Es ist ein Kampf zwischen Alt und Neu. Ursula von der Leyen vertritt die alte EU; selbstgefällig, sich ihrer Macht unerschütterlich bewusst, mit einer Armee von Beamten umgeben und in der Lage, auch noch das kleinste Detail im Leben der Bürger zu bestimmen.
In Deutschland gehen gerade die Autofabriken und Zulieferer über die Wupper, weil Leyens starker Arm es will. Und weil man bei diesen großen Dingen die Kleinen trotzdem nicht übersehen darf, schlürft man jetzt im Reich der vereinten 500 Millionen seinen Cocktail aus einem Metallröhrchen oder einem buchstäblichen Bio-Strohlhalm, der für diesen Zweck in Plastik eingehüllt daher kommt. Ziemlich viel Bürokratie und Gewese für einen simplen Trinkhalm. So ist eben die EU geworden. Groß im Zerstören, kleinlich bei Vorschriften.
Unbestritten riesig ist die EU im Ausnutzen von Krisen. Mit Corona erfuhr die Vertiefung Schubkraft und jedes Döschen Impfstoff ging über Röschens Tisch, möglicherweise auch über ihr Konto. Ihr Vater nannte sie so. Röschen. Diesen schändlichen Korruptionsverdacht zu äußern, wird nicht mehr lange möglich sein. Die Kontrolle der öffentlichen Meinung soll verschärft werden, möglichst nach deutschem Vorbild. Kriminalpolizei, Staatsanwälte und staatlich finanzierte Hilfsdenunzianten diverser „Meldestellen“ sollen Ursula vor Kritik schützen und ihr Reich mit einem engen Netz der Überwachung zusammenhalten.
Nach den jüngsten Plänen sollen alle Social-Media-Plattformen, Chat-Dienste und Websites überwacht werden, aber auch Messenger-Apps wie Threema, Signal oder WhatsApp. Egal wie hoch die Reichweite ist – die EU will mithören, mitlesen, mitschauen. Der EU-Abgeordnete Patrick Breyer von der Piratenpartei kommentiert: „Wir stehen am Rande eines so extremen Überwachungsregimes, wie es nirgendwo sonst in der freien Welt existiert. Nicht einmal Russland und China haben es geschafft, Wanzen in unsere Smartphones einbauen zu lassen, wie es die EU beabsichtigt.“
Während der Aachener Jubeltage verkündete von der Leyen, dass weitere Milliarden für den Aufbau von Wahrheitskontrolleuren ausgegeben werden, die im Sinne der EU richtige von falschen Informationen zu trennen haben – aktive Zensur also. Und so geht es immer weiter. Teil der kompletten Bürgerüberwachung ist die schrittweise Zurückdrängen des Bargeldes und die Einführung eines digitalen Euros – seine Nutzer können jederzeit verfolgt werden: wo sie kaufen, was sie kaufen, wieviel sie kaufen – und das abschaltbar per Fernbedienung einer neuen Superbehörde mit Sitz in Frankfurt, die ab Juni schon mal übungsweise sämtliche Transaktionen ab 10.000 Euro kontrolliert – und schon bei Verdacht einfrieren kann.
Man spielt sich die Bälle zu, grenzüberschreitend. Während Ursula von der Leyen für ihre Politik gefeiert wird, erklärt die neue deutsche „Gesellschaftsministerin“ Karin Prien, dass man um die Kontrolle der digitalen Kommunikation nicht mehr herumkommen werde, um den liberalen Staat zu schützen, und zwar mit möglichst illiberalen Methoden. Logik ist zwecklos. Sprache verräterisch, die auf innere Widersprüche glaubt, keine Rücksicht mehr nehmen zu müssen. Wer die Macht hat, setzt sie ein.
Am Rande des von ihr souverän beherrschten Kontinents löcken einige gegen den Stachel. Ursprünglich waren es nur eine Handvoll Osteuropäer, die ihre Freiheit erkämpft hatten, die EU bejubelten – und sich dort plötzlich wieder der Unfreiheit ausgesetzt sahen. Sie kennen den Wert der Freiheit, weil sie lange in Unfreiheit leben mussten. In der vom Westen dominierten EU geht es jetzt auch um die Auflösung des bisherigen Zwangs in der EU zur Einstimmigkeit, mit der sich vor allem kleinere Staaten gegen die Übermacht der Achse Berlin-Brüssel-Paris wehren können. Der sozialdemokratische Ministerpräsident der Slowakei, Robert Fico wagt es, Friedrich Merz zu widersprechen, der kürzlich der Slowakei und Ungarn mit „Konfrontation” gedroht hatte, weil diese Länder nicht das Recht haben sollten, EU-Entscheidungen zu blockieren. Eine Abschaffung des Veto-Rechts, sagte Fico, bedeutete „das Ende der Europäischen Union”.
Auch in Tschechien wachsen die Zweifel an den zentralen Beglückungen aus Brüssel. In Rumänien sowieso, wo nur durch massive Eingriffe mit Brüsseler Segen verhindert werden konnte, dass EU-Kritiker zum Präsidenten gewählt wurden. Unklar ist die Lage in Polen. Zwar regiert dort der aus Brüssel entsandte frühere EU-Kommissar Donald Tusk mit Rückendeckung aus dem Westen. Aber sicher kann er sich seines Sessels noch nicht sein im Warschauer Regierungssitz – seine Koalition aus der Bürgerplattform (Civic Coalition), Polska 2050, der Polnischen Volkspartei (PSL) und der Neuen Linken (Lewica) ist ein wild zusammengewürfelter Haufen, in dem auch radikale Kleinst-Parteien ihr Spiel treiben. Österreich ist ein Wackelkandidat an der west-östlichen Naht. Dort hält eine ähnlich wilde Koalitionsregierung nur zusammen aus Furcht vor der FPÖ, die man üblicherweise in Deutschland nicht ohne den halbamtlichen Zusatz „rechtspopulistisch“ zitiert.
In den Niederlanden hat Geert Wilders eine Regierungskrise ausgelöst, weil er einen sofortigen Stopp der Migration fordert und zwar wirklich komplett, ganz ohne Merz-Wackler von Ja zu Nein. In Frankreich wurde die europakritische Marine LePen buchstäblich an die Kette einer Fußfessel gelegt für den Einsatz von Parlamentsmitarbeitern für die Partei; eine Methode, die beispielsweise bei deutschen Grünen an der Tagesordnung war, wie TE den Missstand aufgedeckt hat.
In Dänemark nennt Ministerpräsidentin Mette Frederiksen „Migration als die größte Bedrohung“ und entzieht damit der bisher auf Massenmigration erpichten EU-Politik den Boden. In Italien regiert die konservative Meloni, die zwar bisher den offenen Konflikt mit Ursula von der Leyen sorgfältig in schwesterlicher Umarmung vermieden hat. Aber Italien wächst, während Deutschland schrumpft, wie die Zinsdifferenz zwischen deutschen und Italienischen Staatsanleihen. Italien gewinnt an Dynamik und Stabilität, in Deutschland wachsen nur die Staatsschulden. Geld und Wirtschaftsmacht aber verschiebt die Gewichte in der EU hin zum Lager der konservativen Reformer.
Ungarn, Slowakei, Rumänien, Polen, Frankreich – die Frage ist, wie lange die EU den Widerspruch zu ihrer zentralistischen Politik durchstehen kann. Plötzlich wirkt die Aachener Preisverleihung wie aus der Zeit gefallen. Kann man den Ungeist noch einmal bannen, der diese Politik herausfordert? Die Frage geht an Deutschland. „Elon Musk hat Dich auf die Weltbühne gehoben, (US-Vizepräsident) J.D. Vance hat Dich empfangen und unterstützt – niemand wird es wagen, Euch zu verbieten” – bejubelte ein FPÖ-Vertreter Alice Weidel. Während Brüssel und Berlin an den Zensurgittern für Nutzer sozialer Medien schmieden, droht Donald Trump den damit befassten Beamten und Politikern mit einem schmerzhaften Einreiseverbot, wenn sie sich an den aus den USA stammenden Plattformen wegen ihrer Meinungsfreiheit vergreifen sollten.
Die EU ist längst kein dynamischer Staatenbund mehr, sondern ein Club der Gestrigen. Aber das muss ja nicht so bleiben. „Nichts dokumentiert den Verfall der europäischen Idee besser“ als die Aachener Preisverleihung, schreibt Frank Lübberding. Und Alice Weidel ist im Mainstream der EU-Reformer und Herausforderer angekommen, so Boris Kalnoky aus Budapest.