
Erst sollte es Grenzschließungen geben, dann „Zurückweisungen an deutschen Grenzen“, notfalls per Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers – und nun sind es „Zurückweisungen in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn“. Das ist das offizielle Wording des Sondierungspapiers, welches Merz am Samstag bei der Vorstellung der Übereinkunft zwischen CDU/CSU und SPD gebrauchte. Doch nun zeigt sich: Die deutschen Nachbarländer wollen Asylbewerber, die nach Deutschland eingereist sind und womöglich zurückgewiesen werden, gar nicht annehmen.
NIUS wollte von den Asyl-, Migrations- oder Innenbehörden von Dänemark, Niederlande, Belgien, Luxemburg, Schweiz, Österreich, Tschechien und Polen wissen, wie sie dem Vorschlag des designierten Bundeskanzlers gegenüberstehen. Am Samstag hatte Bild bereits berichtet, dass Österreich zwar generell eine restriktivere Asylpolitik begrüße, jedoch Asylbewerber, die Deutschland nicht möchte, auch nicht bei sich will.
Zeigte sich im Wahlkampf mehr als kämpferisch: CDU-Chef Friedrich Merz.
Dies wiederholte das Innenministerium auf Anfrage von NIUS. „Österreich nimmt keine aus Deutschland zurückgewiesenen Personen entgegen“, hieß es von dort. „Sollten die in Österreich sinkenden Asylzahlen wieder steigen, werden wir die Asylnotfallklausel aktivieren, mit der das Asylrecht ausgesetzt werden kann.“ Die mehr als 800 Kilometer lange Grenze im Süden der Bundesrepublik dürfte die entscheidende für eine Migrationswende werden: Auf diesem Wege kommen sowohl Migranten aus Italien als auch von der Balkanroute nach Deutschland. Doch ausgerechnet hier hat Merz' Plan keine Erfolgsaussichten.
Der Kleinstaat Luxemburg im Südwesten von Deutschland schloss sich auf Anfrage von NIUS dem Vorgehen Österreichs an. „Luxemburg vertritt in dieser Frage die gleiche Position wie Österreich“, hieß es von der Innenbehörde. „Bei Asylbewerbern besteht ein etablierter europäischer Rechtsrahmen samt Prozeduren, an die sich die Mitgliedsländer zu halten haben. Diese schließen Rückweisungen von Asylbewerbern an den Binnengrenzen aus.“
Grenzkontrollen an der Grenze zwischen Deutschland und Österreich.
Der „europäische Rechtsrahmen“, der hier zitiert wird, ist ohnehin die wiederkehrende Referenz, auf den sich andere Staaten beziehen. Tschechien etwa teilte mit, man „wird weiterhin standardmäßig im Rahmen des nationalen und europäischen rechtlichen Rahmens vorgehen.“ Und weiter: Sollte Deutschland an der Grenze zu Tschechien Ausländern die Einreise auf sein Gebiet verweigern, „wird entsprechend den geltenden Rechtsvorschriften je nach rechtlichem Status der betroffenen Person verfahren.“
Der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala.
Was harmlos klingt, bedeutet nichts anderes als die Tatsache, dass man sich nicht verpflichtet fühlt und keine Asylbewerber aufnehmen möchte, schließlich regelt das Dublin-Abkommen eigentlich die Zuständigkeit für Asylverfahren. Die Grundregel des Dublin-Systems lautet: Jener EU-Staat, in dem ein Migrant die EU erstmals betritt, ist auch für ihn verantwortlich. Das bedeutet: Tschechien wird darauf verweisen, dass die zurückgewiesenen Migranten über andere Staaten (Polen, Griechenland, Italien) in die EU einreisten – und Deutschland sie dorthin überstellen müsse. Dies wiederum ist arbeitsaufwendig und scheitert in nicht wenigen Fällen – etwa bei Issa Al Hasan, den Messerangreifer von Solingen, der eigentlich nach Bulgarien überführt werden sollte, für die Sicherheitsbehörden jedoch nicht anzutreffen war.
Und: Auch Dänemark (jährlich 2300 Asylanträge, von denen 860 bewilligt wurden), Polen (jährlich 12.000 Asylanträge, von denen der Großteil auf Ukrainer, Weißrussen und Russen entfällt) und die Schweiz verweisen auf den europäischen Rechtsrahmen gegenüber NIUS. Dänemarks Migrations- und Integrationsministerium teilte mit, dass Dänemarks Politik vorsieht, „sich an die Dublin-Verordnung und andere relevante Abkommen in diesem Politikbereich zu halten“. Die Schweiz hingegen verwies auf geltende Rechtsnormen und etwaige Anpassungen. „Die Schweiz erwartet, dass deutsche Maßnahmen an den Grenzen wie angekündigt weiterhin nur in Abstimmung mit der Schweiz und unter Einhaltung des europäischen Rechts erfolgen“, teilte ein Sprecher des Justiz- und Polizeidepartements mit. „Zum geltenden Rechtsrahmen gehören insbesondere das bilaterale Rückübernahmeabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz, das Dublin-Recht sowie die Genfer Flüchtlingskonvention.“
Auch an der deutsch-polnischen Grenze wird kontrolliert.
Frankreich, die Niederlande und Belgien antworteten auf die Anfrage von NIUS bis zum Ablauf der Frist nicht. Die Länder sind aufgrund ihrer geographischen Lage auch nicht die Staaten, aus denen die meisten Einreisen ins Bundesgebiet getätigt werden. Dennoch bemerkenswert: In den Niederlanden und Belgien sind zuletzt Rechtsregierungen an die Macht gekommen. Weder das Kabinett von Dick Schoof (Niederlande) noch das von Bart De Wever (Belgien) dürften ein Interesse haben, Migranten aufzunehmen, die Deutschland nicht aufnehmen will – zumal in beiden Staaten Rechtsparteien zur stärksten Kraft bei den letzten Wahlen standen. Und: Frankreich hat selbst mit Verwerfungen im Rahmen der Migrationspolitik zu kämpfen und eine immer stärker werdende Rechtspartei in Form des Rassemblement National (Marine Le Pen, Jordan Bardella). Kaum vorstellbar, dass das Land Zurückweisungen akzeptiert.
Der belgische Ministerpräsident Bart de Wever nennt sich selbst „konservativ“ und „Nationalist“.
All das bedeutet, dass die europäischen Nachbarländer keine Anpassungen vorsehen, sondern weiter europäisches Recht umsetzen wollen. Dies aber ist Teil des Problems, schließlich lässt es Menschen nach Deutschland kommen, weil diese nach Deutschland wollen – egal, ob ein anderes Land für ihren Asylantrag verantwortlich ist. De facto gibt es kaum Einreisen ins Bundesgebiet von Asylbewerbern, die zuvor nicht EU-Land in einem anderen Land erstmals betreten haben.
Indes hat sich ein neuer Spin durchgesetzt, wie die Bild unter Berufung auf CDU-Insider berichtet. So will Merz nach den Koalitionsverhandlungen und vor der Kanzlerwahl mit EU-Nachbarn sprechen. Sein Ziel: ein Domino-Effekt. Andere Länder sollen, weil Deutschland dies nun durchsetzt, ebenfalls Migranten abweisen. Migranten sollen nur noch an EU-Außengrenze Asyl beantragen. Das Problem: Genau solch ein Vorhaben ist das Ziel aller erklärter Regierungen seit Jahren – und scheitert an der Realität, in der Migranten die Außengrenze überqueren, um sich dann ins Innere des Kontinents (Deutschland, Österreich, Schweden, Frankreich, Großbritannien) zu begeben. Sollte die Zusammenarbeit mit deutschen Nachbarländern nicht klappen, wäre Merz Plan B laut Bild: ein deutscher „Alleingang“.
Wie dieser im Hinblick auf die europäische Rechtslage aussehen soll, ist indes mehr als unklar. Fest steht derweil, dass das ursprüngliche Versprechen des CDU-Chefs angesichts der Reaktionen aus dem europäischen Ausland die ernste Gefahr läuft, nicht umgesetzt werden zu können …
Auch bei NIUS: Diese fünf Dinge können wir von der dänischen Migrationspolitik lernen