Europa im Umbruch – wenn selbst Sozialdemokraten die rote Linie ziehen

vor 13 Tagen

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Schon im Laufe des Junis könnte sich die Dynamik in der EU deutlich verändern. Ende des Monats findet ein weiterer EU-Gipfel statt, auf dem neben der Ukraine und Nahost auch die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Länder und die Migration auf der Tagesordnung stehen. Das ist nicht zum ersten Mal so der Fall. Inzwischen ist aber das patriotische Lager ziemlich gut aufgestellt. Das ist – neben den eigentlichen Mitgliedern des Lagers – vor allem der dänischen Regierungschefin Mette Frederiksen zu verdanken, die sich gerade unbürokratisch zur „Patriotin“ erklärt hat. Frederiksen hat sich damit und mit ihren anderen Äußerungen schon fast in die Mitte dieses Lagers gestellt. Zuwanderung sei die größte Bedrohung für Dänemark und seine Nachbarn, sagt die Sozialdemokratin. Das gilt aus ihrer Sicht auch genauso für Deutschland.

In ihrem offenen Brief schreiben insgesamt neun EU-Regierungschefs, darunter auch der Belgier Bart de Wever sowie die Regierungen von Estland, Lettland, Litauen, Österreich, Polen und Tschechien: „In aller Bescheidenheit glauben wir, dass wir in unserem Ansatz stark mit der Mehrheit der Bürger in Europa übereinstimmen.“ Dafür gibt es in der Tat Anzeichen, wenn man Wahlergebnissen noch irgendeine Bedeutung schenkt. Die Neun wollen nun ein neues, offenes Gespräch über die Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention beginnen. Über diese Konvention, der nicht nur EU-Mitglieder beigetreten sind, sondern einst auch Großbritannien und Russland, ärgern sich auch Konservative und „Reformisten“ in London immer wieder. Denn sie enthält einige sehr großzügige Regelungen für kriminelle Zuwanderer. So konnte ein verurteilter Vergewaltiger in England die „Störung seines Familienlebens“ durch eine Ausweisung ins Feld führen und wurde nicht abgeschoben. Das Gericht gab ihm Recht.

Die neun Regierungschefs bringen zuerst ihren Unglauben darüber zum Ausdruck, dass Straftaten von Zuwanderern gemäß der richterlichen Auslegung der Konvention etwas Akzeptables sein sollen. „Es ist für uns unbegreiflich, dass Menschen in unsere Länder kommen, an unserer Freiheit und unseren vielfältigen Möglichkeiten teilhaben können und sich dann entschließen, Verbrechen zu begehen.“ Das mag naiv klingen. Aber das eigentlich Gravierende ist, dass es in politischen Gremien – gerade auf der EU-Ebene – erst noch gesagt werden muss.

Viele Migranten seien nach Europa gekommen, ohne jede Absicht sich zu integrieren. Vielmehr hätten sie sich von Anfang an von „unseren Grundwerten der Gleichheit, Demokratie und Freiheit“ distanziert und in Parallelgesellschaften isoliert. Viele von ihnen leisten dabei auch „keinen positiven Beitrag zu den Gesellschaften, die sie aufgenommen haben, und haben sich entschieden, Straftaten zu begehen“. Es ist der Unglaube der Regierungschefs, der in diesem Fall Berge versetzt, nämlich Parteiprogramme, die einst mehr oder minder migrationsfreundlich waren. Im Brief steht der Satz: „Was früher richtig war, ist vielleicht nicht die Antwort von morgen.“

Und wenn ein Straftäter wirklich nicht abgeschoben werden kann, dann möchten die Neun zumindest mehr Freiheit dabei haben, die Kriminellen zu überwachen. Außerdem werden „wirksame Schritte“ gegen „feindselige Staaten“ an den Grenzen der EU gefordert, die Migranten „instrumentalisieren“ und die Grenzen passieren lassen. Mit dieser Formulierung hat man auch Estland, Lettland, Litauen und Polen gewonnen, die zu den Unterzeichnern gehören. Aber die russlandkritische Note ist auch hier nur ein Teil der Botschaft. Der andere Teil dürfte sein, dass auch andere Nachbarn die illegale Migration nicht instrumentalisieren sollten. Und diesen Punkt dürften vor allem Dänemark und Italien, vielleicht auch Österreich in EU-Gremien bearbeiten.

In ihrer gemeinsamen Pressekonferenz sagte Frederiksen: „Wir kommen aus sehr verschiedenen Ländern, und wir haben eine starke Partnerschaft begründet.“ Giorgia Meloni ergänzte: „Wir müssen mutig sein, wir müssen auf eine neue Art denken und die Situation so beschreiben, wie sie ist.“

Der Brief der Neun, mit Frederiksen als skandalöser Mitunterzeichnerin, erregte genügend Unruhe, damit sich auch die deutsche Haltungspresse der Politikerin aus dem Norden zuwandte. Gegenüber dem Spiegel spricht Frederiksen erneut von der „Massenmigration“ nach Europa und deren schädlichem Einfluss auf die europäischen Gesellschaften. Als die Fragesteller Frederiksen fragen, ob ihre Forderung zur Eindämmung der illegalen Migration vielleicht taktischer Natur sei, weil sie so dem US-Vizepräsidenten Vance gefallen wolle, wird die Dänin sehr ernst, lehnt sich „leicht nach vorn über den Tisch“ und sucht nach dem richtigen englischen Wort, das schließlich ihr Berater findet: Sie fühlt sich beleidigt von solchen Unterstellungen, die auch tatsächlich absurd sind.

O-Ton Frederiksen: „Wer so etwas sagt, beleidigt mich. Ich sage seit mehr als zehn Jahren dasselbe über Migration. Man muss sich sicher fühlen, wenn man nachts den Bus nimmt, frühmorgens zur Arbeit geht, in der Schule.“ Beim jetzigen Kriminalitätsniveau in Europa gebe es „Gegenden, in denen sich die Menschen nicht mehr sicher fühlen“.

Die Fragesteller vom Spiegel hatten zuvor „Unmut“ bei europäischen Parteifreunden der Dänin ausgemacht, worauf Frederiksen nur sagt: „Ich bin Sozialdemokratin. Das prägt meine Haltung. Auch zur Migration. Und ich vermute, dass die Mehrheit der Deutschen mir zustimmen würde.“ Massenmigration habe in Deutschland wie in Dänemark „Teile unseres Alltagslebens zerstört“. Aber das verstehen die Hamburger Interviewer nun gar nicht und fragen verdutzt, wie Frederiksen denn darauf kommen könne. Antwort: „Ich lese deutsche Zeitungen und sehe, was auch in Ihrem Land passiert.“ Nur beim Spiegel liest man derlei vielleicht nicht oder ignoriert es nach Kräften.

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