Europa in der Sackgasse – Warum die EU sich neu erfinden muss

vor 21 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

Jedes Jahr am 9. Mai feiert EU-Europa sich selbst – als Gemeinschaft des Friedens, der Einheit und der Zusammenarbeit. Der Europatag erinnert an jenen Moment im Jahr 1950, als der französische Außenminister Robert Schuman mit einem kühnen Vorschlag die Grundlage für die europäische Einigung legte. Aus der „Schuman-Erklärung“ wurde ein historisches Projekt: Staaten, die jahrhundertelang gegeneinander Krieg führten, sollten durch gemeinsame Institutionen untrennbar verbunden werden. Es war die Geburtsstunde einer Idee, die wir heute Europäische Union nennen – und die mehr denn je auf den Prüfstand gehört.

Die Europäische Union war einst eine historische Vision. Nach den Schrecken zweier Weltkriege entstand ein Bündnis, das Frieden durch wirtschaftliche und politische Verflechtung sichern sollte. Der Gedanke war ebenso klug wie pragmatisch: Wer gemeinsam Stahl produziert und Handel treibt, führt keine Kriege gegeneinander. Europa war ein Friedensprojekt – und genau das bleibt sein größter Verdienst. Doch 68 Jahre nach den Römischen Verträgen wirkt die EU müde, technokratisch und entfremdet. Was einst als mutiger Schritt zur Überwindung von Nationalismus und Gewalt gedacht war, erscheint heute vielen als kalte Bürokratie – übermächtig in der Regulierung, schwach in der Demokratie.

Die zentralen Institutionen der EU – Rat, Kommission, Parlament – stehen in einem fragilen Machtgefüge, das nicht zu Ende gedacht wurde. Während das Parlament als einzig direkt gewählte Instanz oft nur – wenn überhaupt – mitreden darf, trifft die Kommission – als nicht von den Bürgern gewählte Exekutive mit legislativer Machtfülle – weitreichende Entscheidungen. Das ist ein strukturelles Demokratiedefizit, das längst in eine politische Krise geführt hat. Mittlerweile stammt die EU-Kommissionspräsidentin und somit mächtigste politische Person in der EU nicht einmal mehr aus den Reihen des EU-Parlaments. Die Legitimationskette zum europäischen Wähler, der seine Vertreter in das EU-Parlament wählt, besteht somit nicht fort. Selbst vor der zweiten Amtszeiten trat Frau von der Leyen nicht als Kandidatin zur EU-Wahl an. Das Legitimationsdefizit wurde weiter in Kauf genommen.

Gleichzeitig hat die wirtschaftliche Integration – allen Binnenmarkt-Parolen zum Trotz – viele Risse offenbart. Die Eurokrise hat gezeigt, wie sehr die gemeinsame Währung Länder spalten kann. Staaten wie Griechenland oder Italien wurden in die Sparpolitik gezwungen, während exportstarke Länder wie Deutschland profitierten.

Es ist ein offenes Geheimnis: Die EU hat sich von ihren eigenen Zielen entfernt. Frieden innerhalb der Mitgliedsstaaten herrscht zum Glück weiterhin. Die politische Teilhabe der Bürger, die soziale Gerechtigkeit und die Transparenz haben jedoch massiv gelitten. Das Misstrauen wächst – nicht nur in Brüssel, sondern überall dort, wo freie Bürger den Eindruck haben, dass über sie statt mit ihnen und in ihrem Sinne entschieden wird.

Daran tragen nicht die sog. Populisten Schuld. Die EU selbst hat es versäumt, sich als demokratische Gemeinschaft weiterzuentwickeln. Das Prinzip der Subsidiarität – also Entscheidungen möglichst bürgernah im Mitgliedstaat zu treffen – wurde oft ignoriert. Stattdessen wucherte die Regelungsdichte aus der Mitte Europas, während viele Bürgerinnen und Bürger sich abgehängt fühlten.

Wenn Europa eine Zukunft haben soll, braucht es einen demokratischen Neuanfang. Das EU-Parlament muss zum echten Gesetzgeber werden – mit Initiativrecht und voller Haushaltskontrolle. Die Kommission darf nicht länger Regierung und Gesetzgeber in einem sein. Sie sollte auf ihre eigentliche Rolle als Hüterin der Verträge und politisch neutrale Verwaltung beschränkt werden. Ebenso zentral ist mehr Transparenz. Ratssitzungen müssen öffentlich werden, Lobbyismus braucht klare Schranken. Bürgernähe ist kein PR-Projekt, sondern die Bedingung politischer Legitimität. Wer Integration will, muss Vertrauen schaffen – nicht durch mehr Bürokratie, sondern durch mehr Demokratie.

Die EU ist nicht verloren – aber sie ist in der Sackgasse. Nur wenn sie sich wieder auf ihre Kernversprechen besinnt – Frieden, Demokratie, Gerechtigkeit – kann sie wieder Vertrauen zurückgewinnen. „Einheit in Vielfalt“ darf keine Formel mehr sein, sondern muss politisch spürbar werden. In den EU-Institutionen ist der Einfluss von Macht und Geld auf die Träger von Ämtern und Mandaten deutlich spürbar. Es verändert die Menschen. Ideale werden für die eigene Karriere vernachlässigt. Auch deshalb gilt es, kritisch hinzuschauen und die EU nicht als unfehlbar darzustellen. Europa ist eine gute Idee. Aber gute Ideen müssen gepflegt werden. Sonst verlieren sie ihre Kraft.

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