Wenn deutsche Antikernkraft-Propagandisten überhitzen

vor etwa 11 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Die sommerliche Hitzewelle rollte in Deutschland schon vor einigen Tagen aus. Die Katastrophenpropaganda kühlt nicht ganz so schnell ab, zumal twitternde Grünenpolitiker und einige ihnen zugetane Journalisten die wenigen Hochtemperaturtage für eine ganz spezielle Behauptung nutzten. Laut Stern, dem grünen Fraktionsvize Andreas Audretsch und anderen beweist der warme Juni nämlich erstens die Unzuverlässigkeit ausgerechnet der Kernenergie im Nachbarland Frankreich – in der Schweiz übrigens auch –, und zweitens, wie richtig die Ampelregierung daran tat, als sie 2023 die drei letzten deutschen Meiler abschaltete. Deshalb, so der Stern, dürfte jetzt über den Wiedereinstieg in die Kernkraft gar nicht erst diskutiert werden.

„AKW-Hitzeflaute: Schluss jetzt mit dem Gefasel vom Wiedereinstieg“, donnerte der Autor der illustrierten, Rolf-Herbert Peters, am 1. Juli. „In Frankreich stehen wieder Atomkraftwerke still“, klagte der Grünenabgeordnete Audretsch und schob den seltsamen Satz nach: „‘Wir‘ rechnen mit sehr vielen künftigen Hitzewellen’, sagt eine Sprecherin. In Zukunft könnte z.B. das Kraftwerk Chooz 100 Tage/Jahr ausfallen.“ Um welche Sprecherin es sich handelt und für wen sie spricht, teilte er nicht mit. Genauso wenig, wie viele der 57 Nuklearkraftwerke in Frankreich ihre Leistung drosseln: nämlich zwei.

Die üblichen grünen Nachredner meldeten sich praktisch inhaltsgleich.

Nur herrscht in Frankreich wegen der minimalen Leistungsreduzierung weder eine Stromnot oder gar eine „AKW-Hitzeflaute“, noch ergibt sich daraus auch nur das geringste Argument, Deutschland sollte nicht wieder zur Kernkraft zurückzukehren. Denn die Kernkraftwerke hierzulande mussten aus bautechnischen Gründen, um die es gleich gehen soll, selbst in heißen Sommern sehr viel weniger Rücksicht auf Kühlgewässer nehmen als die französischen. Vor allem aber: Kernkraft, das zeigen alle Daten sehr deutlich, bleibt auch an den heißesten Tagen des Jahres die zuverlässigste Art der Stromerzeugung überhaupt.

Zunächst einmal: Die Betreiber fahren die Kraftwerke nicht herunter, weil das „Kühlwasser zu heiß“ wäre. Mit dieser Formulierung suggerierte Spiegel Online am 2. Juli seinen Lesern in einem Text über die kurzzeitig gedrosselten Atommeiler Beznau in der Schweiz, die Kernkraftwerke bekämen ein Problem, wenn das Flusswasser eine bestimmte Temperatur erreicht. Noch plumper und falscher versucht es die schon mehrfach wegen Faktenverdrehungen aufgefallene Annika Joeres in der Zeit: „Frankreichs Atomkraftwerke überhitzen“.

Screenprint: zeit.de

(Joeres nannte 2023 bei Zeit Online die völlig frei erfundene Zahl von „400 bis 600 Milliarden Euro“ angeblicher Subventionen pro Jahr für Atomkraft in Frankreich. Wie Zeit Online dann einräumen musste, lautet die korrekte Zahl: 2 Milliarden.)

Screenprint: zeit.de

Die Leistungsreduktion der Atomkraftwerke in der Schweiz und Frankreich geschieht in Wirklichkeit, um Tierwelt und Fauna in den Flüssen zu schonen, im Fall von Beznau die der Aare, deren Temperatur 25 Grad nicht überschreiten sollte. Das Kraftwerk käme technisch auch mit wärmerem Flusswasser zurecht, genauso wie die Anlagen in Frankreich, von denen keine einzige „überhitzt“. Ganz nebenbei bringt der Spiegel in seinem Text noch eine Extra-Desinformation für seine Leser unter: „Die Schweiz“, heißt es da, „möchte längerfristig aus der Kernenergie aussteigen.“ Genau das Gegenteil trifft zu. Für einen Kernkraft-Ausstieg existiert weder in der Politik noch in der Bevölkerung eine Mehrheit, es gibt auch keinerlei relevante Diskussion im Land darüber. Im Gegenteil: Ende 2024 kündigte Energieminister Albert Rösti an, durch eine Überarbeitung des entsprechenden Gesetzes sollte das bisher noch herrschende Neubauverbot für Kernkraftwerke demnächst fallen.

Dieses Verbot kam 2017 durch eine Volksabstimmung zustande. Die Laufzeit des 1969 in Betrieb gegangenen Kraftwerks Beznau verlängerten die Behörden bereits bis 2032, die deutlich jüngeren Meiler in Leibstadt und Gösgen dürften bis weit in die Jahrhundertmitte Strom liefern. Auch die Volksmeinung unterscheidet sich in dieser Frage deutlich von der von 2017: Eine Mehrheit stellt sich mittlerweile gegen das Neubauverbot.

Zurück zu Frankreich: In seinem „Gefasel“-Text räumt der Stern-Autor zwar ein, dass die kurzzeitige Drosselung von wenigen Reaktoren in Frankreich sich so gut wie gar nicht auf die Stromerzeugung im Nachbarland auswirkt: Die Leistungsreduzierungen, die es fast in jedem Sommer gibt, verringern die theoretisch mögliche Ausbeute des Kernkraftwerkparks im Jahr um durchschnittlich 0,3 Prozent.

Die Energieeinspeisung der einzelnen französischen Anlagen in den angeblich so hochkritischen Tagen Ende Juni bis zum 1. Juli sieht übrigens so aus:

„Doch die sehr lang gestreckte Statistik täuscht“, kommentiert der Stern-Schreiber das sommerbedingte Minus von 0,3 Prozent im Jahresverlauf. Natürlich „täuscht“ an der Zahl überhaupt nichts. Sie passt ihm schlicht nicht, weil sich daraus auch mit allem rhetorischen Gefuchtel keine „AKW-Hitzeflaute“ herbeischreiben lässt. Der haltungsstarke Autor versucht es trotzdem, indem er für zwei Jahre die Leistungsreduktion in „Milliarden Kilowattstunden“ darstellt, damit es schön viel klingt: „In den wirklich heißen Jahren fehlten den Franzosen 2003 5,5 Milliarden Kilowattstunden, 2018 1,7 Milliarden.“ Natürlich „fehlte“ den Franzosen keine einzige Kilowattstunde, denn erstens verfügt das Land auch über Gaskraftwerke, die sich kurzzeitig hochfahren lassen, und zweitens bildet Frankreich keine energetische Insel, sondern gehört zum europäischen Stromverbund. Der Hamburger Experte versucht sein Narrativ mit einem Sonderfall zu retten, nämlich dem Jahr 2022: „Weil […] teils mehr als die Hälfte der Reaktoren defekt oder in Revision war, war Frankreich auf die Hilfe der Nachbarn angewiesen. Deutschland lieferte jede Menge Grünstrom.“ Dieses angebliche Versagen der Nuklearkraftwerke links des Rheins schlachteten etablierte Medien und Grünenpolitiker seinerzeit in großem Stil aus.

Damals standen tatsächlich zeitweise 29 von damals 56 Reaktoren still, die meisten, weil Korrosionsschäden beseitigt werden mussten, einige auch wegen turnusmäßiger Wartungsarbeiten. Das gehäufte Problem mit korrodierten Rohren ergab sich, weil der Betreiber EDF die Arbeiten vorher lange aufgeschoben hatte. Sommerwärme beziehungsweise Klima spielten für diesen temporären Ausfall also keine Rolle.

In diesem problematischen Jahr 2022 drosselten außerdem fünf Atomkraftwerke ihre Leistung, um die Gewässer zu schonen, nämlich Golfech, Saint-Alban, Bugey, Blayais und Tricastin. Sie liefen allerdings weiter. Aber selbst in dieser Ausnahmephase kam es in Frankreich nicht zu Stromengpässen. Und das nicht, weil Deutschland mit seinem Grünstrom die Lücke gestopft hätte, wie es mehrere Medien behaupteten.

Wie immer hilft der Blick auf die Zahlen weiter: Frankreichs Atomkraftwerke erzeugten 2022 trotz der schwierigen Bedingungen gut 275 Terawattstunden Strom, die Gaskraftwerke etwa 45 Terawattstunden. Der Stromimport belief sich gerade auf 16,2 Terawattstunden – alle Lieferländer zusammengenommen. Gleichzeitig exportierte Frankreich aber auch Elektroenergie nach Italien und in die Schweiz. Allein die Exporte nach Italien überstiegen 2022 die Strommenge, die Deutschland ins französische Netz schickte. Bei der angeblichen Rettung des Nachbarn durch deutsche Windräder handelt es sich um eine Legende.

Das absolut singuläre Jahr 2022 bewies alles in allem das glatte Gegenteil dessen, was Deutschlands Antiatompropagandisten der Öffentlichkeit weismachen wollen: Selbst der halbe französische Kernkraftwerkspark reichte zusammen mit den Gaskraftwerken aus, um das Land stabil zu versorgen – und sogar noch Nachbarn zu beliefern. Mit Zahlen verschont der Stern-Autor seine Leserschaft allerdings weitgehend, überhaupt mit konkreten Angaben.

„Solche Hitzeflauten für AKW werden zunehmen, da sind sich die Klimaforscher einig“, heißt es in dem Text aus Hamburg. Da es sich bei den „AKW-Hitzeflauten“ genauso wie bei den Führertagebüchern um eine exklusive Schöpfung des Stern handelt, gibt es weit und breit keinen seriösen Wissenschaftler, der sich dazu äußert. Folglich nennt der Text auch keinen Namen. „Die Klimaforscher“ bilden hier – wieder einmal – eine Untergruppe der berühmten Größe „die Wissenschaft“. Allerdings braucht Autor Peters auch gar keine Autoritäten als argumentative Stütze – er betreibt nämlich selbst eine Art Klimasonderwissenschaft, wenn er schreibt:

„Das sollten alle bedenken, die immer wieder das Hohelied der Kernkraft singen und den deutschen Wiedereinstieg fordern. Der Klimawandel schreitet voran, man kann ihn nicht mehr wegreden. Die Flüsse sind auch so warm, weil die Meere nicht mehr richtig abkühlen und damit die Luft weniger kühlen, die über das Festland streicht.“

Die Flüsse sind warm, weil die Meere warm sind, und der Wind – in Deutschland übrigens in der Regel aus der Richtung West und Südwest – dient als großer Temperaturregler: Mit diesen Erkenntnissen steht Stern-Peters als stolzer Solitär da. Kleiner Hinweis: Die warmen Junitage verdankte Deutschland dem Vordringen von Saharaluft in unsere Breiten – ein zwar seltener, aber keinesfalls singulärer Vorgang. Die Vorstellung, ein solcher Warmluftstrom in beträchtlicher Höhe würde heruntergekühlt, wenn das Mittelmeer ein paar Grad kälter wäre, wirkt fast schon originell. Der Stern-Text schließt mit dem Appell, es bloß nicht dem Nachbarn auf der anderen Seite des erhitzten Rheins gleichzutun:

„Die Hitzeflaute der AKW liefert ein weiteres dringendes Warnsignal, den Kampf gegen die Erderwärmung zu beschleunigen – mit wirklich erneuerbarer Energie bei Strom, Wärme und Verkehr. Atomkraftwerke sind längst Teil unseres Klimaproblems – und nicht seine Lösung.“

An den Ausgangspunkt – dass Atomkraftwerke ihre Leistung ja gerade drosseln, damit sie Gewässer nicht weiter erwärmen – scheint sich der Autor gar nicht mehr zu erinnern. Für die Aussage „Atomkraftwerke sind Teil des Klimaproblems, folgt also dem deutschen Weg“ werfen wir wieder kurz einen Blick auf zwei Zahlen, nämlich den Kohlendioxidausstoß pro Kilowattstunde in Frankreich und in Deutschland am 1. Juli 2025. Der beträgt im vorbildlichen Windrad-, Solar- und Kohlekraftwerksland, in dem Stern, Zeit und Spiegel erscheinen, 224 Gramm, in Frankreich mit seinem Atomholzweg dagegen 37 Gramm je Kilowattstunde.

Quelle: hier und hier

Zwei kleine Punkte kommen noch dazu. Erstens: Der Stern leitet aus seiner erfundenen „AKW-Hitzeflaute“ in Frankreich schon in der Überschrift die Behauptung ab, deshalb müsse das „Gefasel“ über einen deutschen Atom-Wiedereinstieg aufhören. Er schließt also von Frankreich auf die Bundesrepublik und beweist damit wieder einmal seine harte Faktenresistenz. Denn etliche, wenn auch längst nicht alle linksrheinischen Atomkraftwerke benötigen in der Tat größere Mengen an Flusswasser zur Kühlung ihres Kondensators. Die meisten deutschen Anlagen kühlten nach einem anderen System – entweder per Naturzug-Nasskühlturm oder mit einem Kreislaufsystem.

Das gilt insbesondere für die letzten drei Meiler, die 2023 vom Netz gingen. Die Blöcke von Isar 2, betrieben von PreussenElektra, verfügten über einen Naturzug-Kühlturm beziehungsweise einen Kühlwasserkreislauf, sie benötigten deshalb nur eine geringe Wasserentnahme aus der Isar. Das wieder zurückgeleitete Wasser erwärmte den Fluss gerade um 2,5 Grad, was bei dem kühlen Fluss aus dem Gebirge nie ein Problem darstellte. Selbst in den heißesten Sommertagen musste Isar 2 nie den Betrieb drosseln. 
Das Gleiche galt auch für Neckarwestheim. Das dritte der letzten Kraftwerke, Emsland, verfügte über einen eigenen künstlich angelegten Kühlwasser-See, es musste folglich auch nie seine Leistung herunterfahren, um ein Gewässer zu schützen. Alle drei Anlagen liefen völlig wärmerobust. Würde Deutschland diese Kraftwerke wieder anfahren, wären die Sommertemperaturen auch weiter ohne jeden Einfluss auf den Betrieb. Und neue Atomkraftwerke würde man ohnehin nicht mit dem wasserbedürftigen System wie teils in Frankreich und dem helvetischen Beznau errichten.

Ganz nebenbei: Nuklearkraftwerke brauchen eine Wärmesenke, aber nicht zwingend ein Gewässer zur Kühlung. Die Anlage Palo Verde in Arizona befindet sich in der Wüste, weit entfernt von jedem Nass.

Und dann drängt sich noch die Frage auf, die man sich von Stern bis Zeit gar nicht erst stellt: Wie sieht es eigentlich mit der Lieferzuverlässigkeit von Solar und Wind aus? Zum ersten: Bei jedem Grad über 25 Grad Celsius büßen Solaranlagen drei bis vier Prozent ihrer Leistung ein.

In den heißen Junitagen reduzierten sie also hitzebedingt ihre Leistung zwangsweise mindestens so stark oder sogar stärker, als es die Kernkraftwerke in Frankreich und Beznau in der Schweiz freiwillig taten. Lange stationäre Hochs mit entsprechend wenig Luftbewegung lassen auch die Windkraftproduktion regelmäßig zusammenschnurren. Und: Erdrotationsbedingt drosseln Solaranlagen ihre Produktion jeden Abend um exakt 100 Prozent.

Da die Grünen und ihre Begleitmedien Kernkraft gegen eine Bevölkerungsmehrheit ausschließen und Speicher eben nicht „noch und nöcher“ (Claudia Kemfert) zur Verfügung stehen, müssen gerade in heißen Tagen, aber auch in der winterlichen Dunkelflaute Kohle- und Gaskraftwerke einspringen. Oder eben Stromimporte aus Frankreich. Seit der Abschaltung seiner Kernkraftwerke führt Deutschland deutlich mehr Strom ein als aus. Der Saldo von Ex- und Import betrug 2024 minus 28,3 Terawattstunden.

Auf X wiesen einige Nutzer den grünen Abgeordneten Andreas Audretsch darauf hin, wie ridikül er wirkt, wenn er eine Leistungsdrosselung von französischen Kernkraftwerken um 0,3 Prozent zur besorgniserregenden Krise erklärt, den Ausbau einer Energieerzeugungsmethode, die täglich um einhundert Prozent herunterfährt, dagegen als ideale Lösung.

Der Fraktionsvize folgte hier dem üblichen Drehbuch für diese Fälle: Er zieht den völlig berechtigten Einwand ins Lächerliche, ohne in der Sache darauf überhaupt nur einzugehen. Für den eigenen 10-Prozent-Anhang genügt das vermutlich.

Wer sich über die Stromerzeugung im Nachbarland informieren möchte, findet hier übrigens aufgeschlüsselt nach den jeweiligen Quellen Daten fast in Echtzeit.

Die oben genannten Medien können vermutlich nicht anders: Nahezu jeder Text zu Energieerzeugung, der deutschen Energiewende und Klima enthält grobe Verzerrungen, Auslassungen und Falschbehauptungen. Besonders wild geht es regelmäßig beim Thema Kernkraft zu: Hier gibt es in den wohlmeinenden deutschen Redaktionen generell weder Rücksicht auf Logik noch auf Statistiken.

Es bleibt dabei: Die beiden größten Feinde des deutschen Haltungsjournalismus heißen: Zahlen und Fakten.

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