
Im Moment tobt eine heiße Diskussion in den USA um den Film „Wicked“, die Verfilmung eines äußerst erfolgreichen Broadway-Musicals, das 2003 dort reüssierte und uns die Geschichte des Filmklassikers „The Wizard of Oz“ neu erzählte: aus der Perspektive der „bösen“ Hexe.
Diskussionen kamen auf, weil die zwei Hauptdarstellerinnen in ihren Presseauftritten aktiv Wahlkampf gegen Trump betrieben und zum Teil noch betreiben. Zum einen warnen jetzt einige Ultrarechte davor, dass man den Film seinen Kindern zeigt. Zum anderen sieht die Ultralinke in dem kommerziellen Erfolg des Films einen Beweis, dass man mit progressiven Inhalten Geld machen kann.
Um das mal klarzumachen: Beide Seiten haben Unrecht. Es handelt sich um einen wunderbar gemachten Film, großes Kino, tolle Darsteller, perfekte Choreografie der Tanzszenen (ja, es ist ein Musical, nur zur Erinnerung).
Aber wenn man den Film schon politisch lesen will, kann man auch sehr gut zu dem Schluss kommen, dass er deutlich abseits und über beiden Polen liegt. Und sich auch politisch konservativ lesen lässt.
Hier starten wir mal langsam. Ein junges Mädchen wird seit Geburt ausgegrenzt, weil sie eine andere Hautfarbe hat als alle anderen. „Alle anderen“ sind aber, dank multifarbiger Besetzung, Schwarze, Asiaten und durchaus viele Weiße. Sie ist grün und – anders als in der Bundespolitik – es gibt keine weiteren Grünen. Sie ist anders als andere, denkt anders als andere. Will sich nicht anpassen, würde aber gern dazugehören. Und hier beginnt ihr Dilemma. Soll sie sich an allen anderen orientieren (und sie versucht es zwecklos), beispielsweise ihre Haare so gekünstelt zurückzuwerfen, wie es ihre aparte Mitbewohnerin tut? Und dann die Klappe halten, wenn sich niemand anderes traut, die Wahrheit auszusprechen? Nein, das tut sie eben nicht.
Ein im Musical kaum vorkommender Handlungsstrang wird hier hervorgehoben. Ein Geschichtsprofessor, der nicht das lehrt, was im offiziellen Kurrikulum steht, bekommt ein Lehr- und Sprachverbot. Okay, das mag damit zusammenhängen, dass er eine Ziege ist – aber die Message wird spätestens dann eindeutig, als er mit Polizeigewalt aus dem Hörsaal geführt wird. Man hört Jordan Peterson und viele andere geschasste Akademiker hier klopfen. Ja, es gibt einen kurzen Abschnitt, in dem all dies auf eine Rezession hingeführt wird, in der die Menschen Schuldenböcke suchten. Und so fanden sie halt die Tiere – und in diesem Fall wortwörtlich einen Bock. Aber auch dies ist universell, wenig politisch – und hat mehr mit George Orwell, einem Sozialdemokraten der linken Couleur, als mit der heutigen Meinungsmache zu tun.
Cynthia Erivo (l.) und Ariana Grande.
Gegen Ende des Films stellt sich heraus, dass der Regent (der besagte Zauberer von Oz) viel verspricht, aber nichts liefern kann. Also will er Dissidenten (in diesem Fall sprechende Tiere) mit Sprachverbot belegen, sie wegsperren und ihre Kinder so erziehen, dass sie die Sprache der Menschen nicht mehr verstehen und höchstens noch blöken können, aber nicht argumentieren. Auch hier könnte man Parallelen zur heutigen Zeit ziehen, sollte man so geneigt sein. Eine Nullnummer an der Spitze eines Staates, der mit Zaubertricks viel verspricht, aber nichts liefert, muss uns nicht so fern erscheinen. Und der Versuch, Dissens mit Maulkörben zu ersticken, erst recht nicht. Da wird schnell aus dem „Zauberer von Oz“ die verbale Zauberei von Olaf.
Dies alles sei nur gesagt, um mal den üblichen politischen Lesarten zu widersprechen. Denn manchmal ist ein Film einfach nur ein Film. In diesem Fall ein ziemlich guter. Etwas zu lang (160 Minuten! Und es ist nur Teil 1), aber das erfüllende und nicht wirklich belehrende Hollywood-Kino, mit dem die meisten von uns aufgewachsen sind und in das wir uns verliebt haben. Bis zum heutigen Tage.
Mehr NIUS: Wie woke ist „Wicked“??!