
Es ist die bittere Wahrheit, um die sich die Politik seit langem herumdrückt, und die auch von der neuen Koalition aus Union und SPD nicht angepackt wird: Das deutsche Rentensystem funktioniert nicht mehr.
Bei „Schuler! Fragen, was ist“ erklärt der Freiburger Finanzwissenschaftler Prof. Bernd Raffelhüschen warum die Rentenformel so wie bisher künftig nicht mehr ausreicht. „Wenn wir unsere Eltern betrachten, also die Rentnergeneration der 70er, 80er Jahre, dann haben die eine Lebenserwartung gehabt von vielleicht noch zehn, elf oder zwölf Jahren über den Renteneintritt hinaus. Dafür hatten sie vorher 45 Jahre gearbeitet. Das heißt: für jedes Rentenbezugsjahr etwa vier Jahre. Die Rentner von heute beziehen rund 20 Jahre Rente, arbeiten dafür aber nur noch knapp 40 Jahre. Ist das fair? Ist das gleich? Ist das gerecht?“
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Das harte Fazit des Finanzwissenschaftlers: „Wir müssen die Lebensarbeitszeit verlängern. Und das hätte ich mir auch versprochen von dieser neuen Koalition: Eine schnelle Anpassung des Rentenzugangsalters an die 70 und eine sehr zügige Wiedereinsetzung des Nachhaltigkeitsfaktors, der die Rentenhöhe an die Zahl der einzahlenden Erwerbstätigen anpasst und im Übrigen von der Rürup-Kommission unter Gerhard Schröder in der Agenda 2010 installiert worden ist.“
Prof. Bernd Raffelhüschen im Gespräch mit Ralf Schuler
Dass die geplante GroKo das Rentenniveau einfach für die kommenden fünf Jahre festschreibt, hält Raffelhüschen für Realitätsverweigerung. Die auf Betreiben der Union geplante „Aktivrente“, bei der man 2000 Euro im Monat steuerfrei zur Rente hinzuverdienen kann, ist in den Augen des Experten. „Eine doppelte Absurdität. Um es ganz konkret zu sagen: Für die SPD ist völlig sakrosankt, dass es eine weiterhin abschlagsfreien Rente mit 45 Beitragsjahren geben muss. Das war conditio sine qua non. Für die SPD war ebenfalls sakrosankt, die 0,3 Prozent Abschlag pro Monat zu erhöhen. Jeder, der von Mathematik auch nur ein bisschen Ahnung hat, weiß, dass der Abschlag pro Monat mindestens 0,4 so wie in Schweden oder auch fast 0,5 Prozent pro vorgezogenen Rentenmonat sein muss. Das heißt, wir subventionieren mit Milliarden den vorgezogenen Ruhestand von Millionen Menschen die nächsten zehn Jahre. Doch anstatt diesen abzuschaffen, lassen wir diese Regelung stehen, weil das die SPD will und subventionieren dann auch noch die längere Beschäftigung von Rentnern durch Verzicht auf Besteuerung, weil das die CDU will.“
Diese Steuerfreiheit für Rentner sei im Übrigen steuerrechtlich so gar nicht möglich. Man kann nur alle alte Menschen von der Steuer befreien, aber nicht nur alte Rentner. Das geht gar nicht. Also auf gut Deutsch: „Ich bin gespannt, was da kommt. Aber es ist eine doppelte Absurdität. Vernünftigerweise hätten wir, die den vorgezogenen Ruhestand, die Subventionen dafür unterlassen und abschaffen müssen.“
Auch sonst fällt das Urteil des Finanzwissenschaftlers über die geplanten Maßnahmen des Koalitionsvertrages nicht besonders gut aus. Was den Steuerzahler die neue Koalition kostet, rechnet Raffelhüschen bei „Schuler! Fragen, was ist“ vor.