
Politisches Beben in Frankreich: Nach nur neun Monaten im Amt ist auch die vierte Regierung unter Präsident Emmanuel Macron gescheitert. Premierminister François Bayrou unterlag am Montagabend in einer Vertrauensabstimmung zu seinem Sparhaushalt mit 364 zu 194 Stimmen. Bayrou kündigte für den Dienstag seinen Rücktritt an.
Bayrou hatte angesichts des Ernsts der Lage der französischen Staatsfinanzen Verantwortung übernommen und versucht, der Republik ein Sparprogramm zu verordnen. Bei einer Staatsverschuldung von 114 Prozent gemessen am BIP und einer Nettoneuverschuldung, die für dieses Jahr bei 5,4 Prozent erwartet wird, sollten Ausgabenkürzungen in Höhe von 44 Milliarden Euro, eingefrorene Renten und die Kürzung zweier Feiertage einen Befreiungsschlag für das wirtschaftlich angeschlagene Land bringen.
Sowohl die Mehrheit der Parlamentarier als auch weite Teile der französischen Gesellschaft standen diesem Reformprogramm in fundamentaler Ablehnung gegenüber. Der nächste Generalstreik steht bereits ins Haus.
Mit Bayrous Rücktritt steht der in seinem Amt wankende Emmanuel Macron vor der Aufgabe, den fünften Premierminister innerhalb von zwei Jahren ernennen zu müssen. Bis zu den bevorstehenden Neuwahlen im April 2027 wird sich jede Regierung, unabhängig von ihrer Zusammensetzung, mit denselben Problemen konfrontiert sehen. Jede Form von Konsolidierungsarbeit wird von den unversöhnlich gegenüberstehenden politischen Lagern torpediert. Das Land steckt in einer politischen Sackgasse fest, eine Konsolidierung der Staatsschulden scheint unmöglich.
Es ist eine bizarre Situation, die offenbart, dass die politische Elite Frankreichs – dies gilt in zunehmendem Maße für nahezu alle EU-Staaten unter Schuldendruck – Sachzwänge nicht mehr über ideologische Gräben stellen kann. Die verlorene Vertrauensabstimmung ist ein weiterer Sargnagel für das Konstrukt der Europäischen Union und dürfte sich schon bald an den Märkten als Problem für die Eurozone bemerkbar machen, wenn den Investoren die politische Ohnmacht Frankreichs deutlicher bewusst wird.
Bayrou hatte in den vergangenen Tagen mehrfach den Lebensstil der Franzosen offen kritisiert, das Wohlfahrtswesen als Kernproblem ausgemacht und muss nun die Erfahrung machen, dass derjenige, der an den zahlreichen Privilegien des überbordenden Wohlfahrtssystem rüttelt, politisch gnadenlos abgestraft wird. Frankreich verteidigt seine Transfergesellschaft wie ein Nationalheiligtum, auch wenn diese Grundhaltung geradewegs in die fiskalische Katastrophe führt.
Für die Finanzmärkte bedeuten die Ereignisse in Paris nichts Gutes. Frankreichs „OATs“ – die Staatsanleihen des Schatzamts – reagierten zwar ohne nennenswerte Bewegung auf das Scheitern der Regierung. Doch gerieten sie in den letzten Wochen der sich anbahnenden Staatskrise zunehmend unter Druck. Die Renditen stiegen, und der Spread zu deutschen Bundesanleihen als europäische Benchmark weitete sich auf bis zu 90 Basispunkte aus – ein Risikosignal leuchtet auf.
Frankreichs Staatsanleihen werden ganz ähnlich wie die Papiere aus Großbritannien bereits heute mit einem signifikanten Risikoaufschlag gehandelt. Hier herrscht Ansteckungsgefahr für die Eurozone, wenn sich die Märkte anderen Schuldenkandidaten wie Spanien, Italien oder Griechenland zuwenden und eine Kettenreaktion wie seinerzeit während der großen Staatsschuldenkrise ausgelöst wird.
Frankreich kommt derweil nicht zur Ruhe. Am Freitag steht bereits die nächste Nagelprobe an: Die Ratingagentur Fitch veröffentlicht dann ihre Einschätzung der französischen Bonität.
Zwar gilt ein unmittelbares Downgrade als unwahrscheinlich, da Frankreich bereits auf „AA-“ mit negativem Ausblick abgestuft wurde. Doch ein Abrutschen in die Single-A-Kategorie ist kein völlig abwegiger Gedanke mehr, sondern ein reales Risiko – mit der Folge, dass institutionelle Investoren gezwungen wären, französische Schuldtitel zu verkaufen, was die Refinanzierung der Schulden weiter verteuern würde. Frankreich würde tiefer in die Schuldenspirale abrutschen. Für den Staatsanleihenmarkt heißt das: Frankreich verliert sukzessive das Privileg des „quasi-risikofreien“ Referenzpapiers im Eurokern.
Ein ähnliches Bild wie an den Märkten für Euro-Staatsanleihen zeichnete sich zunächst auch an den Devisenmärkten ab, wo der Euro gegenüber dem US-Dollar sogar leichte Zugewinne verzeichnen konnte. Möglicherweise kommt das Signal zur bevorstehenden Staatsschuldenkrise jedoch aus einer anderen Richtung, nämlich von den Edelmetallmärkten: Sowohl Gold als auch Silber notierten am Montagabend zwischenzeitlich auf Allzeithochs und bestätigten damit ihren stabilen Aufwärtstrend, der nicht zuletzt durch massive Nachfrage aus den Reihen der weltweiten Zentralbanken gestützt wird.
Gerade dies sollte Privatanleger und Investoren aufmerksam beobachten: Das Bewusstsein für bevorstehende Staatsschuldenkrisen ist in diesen Kreisen nicht zuletzt seit der schweren Markterschütterung vor anderthalb Jahren deutlich geschärft. Und Gold bietet den sicheren Hafen, ohne Ausfallrisiko einer Gegenpartei.
Was die EZB erwartet, ist ein schwieriger Balanceakt: Die Zentralbank muss im Falle erneuter Intervention zwischen Inflationsbekämpfung und der Wahrung von Finanzstabilität abwägen. Steigende Spreads können die Transmission geldpolitischer Entscheidungen verzerren und die EZB zwingen, in gezielten Liquiditätsmaßnahmen zu intervenieren – ohne aber die geldpolitische Straffung komplett aufzugeben. Marktkommentare sprechen von einem „jittery autumn“ für Eurozonen-Spreads.
Die Europäische Zentralbank, letzter Euro-Rettungsanker im Falle panikartiger Abverkäufe von Staatsanleihen in der Eurozone, trat am Montag nicht als sichtbarer Akteur in Erscheinung. Der ruhige Handel nach dem gescheiterten Vertrauensvotum und die stabilen Renditen – sowohl bei französischen Papieren als auch beim Euro – lassen jedoch vermuten, dass die Notenbank im Hintergrund durch gezielte Stützungskäufe für Beruhigung sorgte. Gewissheit darüber wird es erst in einigen Wochen geben, wenn der nächste TCI-Report veröffentlicht wird, der über die jeweiligen Transaktionen der Notenbanken Auskunft geben wird.
Bis dahin bleibt Raum für Spekulationen – es sei denn, die Gerüchteküche bringt vorzeitig Details ans Licht.
Zyniker würden behaupten, die Märkte hätten sich längst an das französische Drama gewöhnt und blickten lediglich dem nächsten Kapitel entgegen, dann möglicherweise mit handfesten Liquiditätsproblemen. Generell bleibt es aber dabei, dass sich der schleichende Abverkauf langfristiger Staatspapiere an den globalen Märkten unvermindert fortsetzt. Und Frankreich bleibt angesichts nicht endender politischer Turbulenzen und ungelöster Fiskalprobleme unter schärfster Beobachtung der Investoren.
Der große Showdown an den Anleihemärkten zieht wie eine dunkle Wolkenwand am Horizont herauf und der hemmungslose Schuldenaufbau der öffentlichen Hand wird sich früher oder später in schweren Gewittern entladen. Die globale Finanzarchitektur wurde in einem Luftgebilde verankert – in einem Fiat-Geld-System, dessen Fundament aus inflationär zirkulierenden Staatsanleihen gegossen wurde.