
Seit dem Nationalfeiertag am 14. Juli haben die Unruhen nicht aufgehört. In einem, wie es nun wieder heißt, „sensiblen Viertel“ der zentralfranzösischen Großstadt Limoges lieferten sich migrantische Täter Straßenschlachten mit der Polizei. In der Nacht auf den Samstag wurden die Beamten in einen Hinterhalt gelockt, als ein gestohlenes Auto in Flammen aufging. An Ort und Stelle wurde die Polizei von 50 bis 100 Vermummten mit Eisenstangen, Mörsern, Steinen und Molotowcocktails angegriffen. Zehn Polizisten kamen mit Tinnitus und leichten Verletzungen davon. Die Realität ist, dass die Polizei ihrer Rolle an solchen Orten nicht mehr gerecht werden kann. Stattdessen wird sie in einen Bürgerkrieg verwickelt.
Die Polizeigewerkschaft SCSI spricht von rund 100 „voyous“, also einer Kategorie zwischen Bengel, Gauner und Taugenichts, die die Kollegen angegriffen hätten. Die pathetische Frage zum Schluss des Tweets: „Wie tief wollen wir noch fallen, ohne zu reagieren?“
In einem anderen Tweet schreibt der Ökonom und politische Kommentator Jean Messiha, aufgrund der Hitze des Sommers gebe es Unruhen in zahlreichen Städten Frankreichs – die aber anscheinend unter der Wahrnehmungsschwelle bleiben. Auch Ausgangssperren zur Nacht, bislang für Minderjährige, sind üblich geworden, etwa in den Départements Seine-Saint-Denis und Val-de-Marne, beide an Paris angrenzend und in Wirklichkeit von Zuwanderern bewohnte Vorstädte der Hauptstadt. Aber auch das okzitanische Nîmes unweit der Côte d’Azur hat einen solchen Zapfenstreich gegen die Drogenbanden verhängt, die dort mit tödlichen „Rechnungsbegleichungen“, Vergeltungsaktionen gegen rivalisierende Banden, aufgefallen sind. Viele andere französische Kommunen folgen dem Trend. Das sind keine zeitlich begrenzten Maßnahmen mehr wie vor einem Monat in Los Angeles, sondern dauerhafte Einrichtungen gegen ein dauerhaftes Problem.
Tatsächlich dauerte es nur einen Tag, bis zum Samstagabend nämlich, und es brachen Unruhen in Béziers aus, wo ebenfalls ein Polizist verletzt wurde, wie der Nachrichtenkanal CNews berichtet. Wiederum gab es mehrere Feuer, darunter ein brennendes Auto. Die alarmierte Polizei kam umgehend unter Beschuss durch 50 schwarz gekleidete Vermummte. Es gab keine Festnahmen. Laut der Stadträtin Emmanuelle Ménard sind solche Angriffe bewusst gelegte Hinterhalte, die auf den Kampf gegen den Drogenhandel antworten: „Ich denke, sie schießen zurück, um uns zu beeindrucken.“
In Limoges wurden für das Wochenende Verstärkungen angefordert. Um ein Uhr nachts blockierten Angreifer eine Hauptverkehrsader der Stadt mit Barrikaden und beschädigten Autos, griffen teils fahrende Autos an. Daneben wurden auch Wagen gestohlen, die man später wiederum in Brand setzen konnte. Schließlich wurden die ausgerückten Beamten auch aus Gebäuden mit allerlei Wurfgeschossen ins Visier genommen. 241 Mal schossen die Polizisten zurück, meist mit Gummigeschossen, aber auch mit Tränengas- und anderen Granaten.
Normalerweise sei Limoges mit rund 130.000 Einwohnern eine ruhige Stadt, doch nun spricht der Bürgermeister Émile-Roger Lombertie (Diverse Rechte) von einer „organisierten Stadtguerilla“. Die gesehenen Taten seien „in der Republik inakzeptabel und nicht tolerierbar“. 150 Jugendliche hätten sich außerhalb des Gesetzes organisiert und seien in der Folge zu Gaunern geworden. Gangster würde man in Sprache von Chicago sagen. Lombertie fährt fort: „Wie konnten wir solche Fehlentwicklungen hervorbringen und eine Jugend, die zusehends verloren geht, Gaunern und Ideologen aller Art überlassen?“ Die Grenzen seien überschritten, nun gebe es keine Grenzen mehr, und damit meint Lombertie offenbar, dass nun auch die Antwort des Staates entsprechend ausfallen muss.
Lombertie gibt aber auch zu, dass die Lage schon seit vier bis fünf Jahren „explodiert“ in dem bewussten Viertel (Val de l’Aurence) „mit großer Armut und Jugendlichen mit Migrationshintergrund“. Es bestehe Gefahr, so wagt der Bürgermeister eine enorme Untertreibung. Das Viertel ist auch seiner Meinung nach „zu einer rechtsfreien Zone“ geworden. Dabei wollen die Aufständischen seiner Meinung vor allem „Dinge zerstören und zeigen, dass das Gebiet ihnen gehört“.
Innenminister Bruno Retailleau entsandte für den Samstagabend die Bereitschaftspolizei CRS 82, zuständig für die nordwestlichen Départements. Die zuständige Staatsanwaltschaft eröffnete verschiedene Verfahren wegen Teilnahme an einer Zusammenrottung mit Waffengewalt, Gewalt gegen Polizeibeamte, schwere Erpressung und bandenmäßige Beschädigung von Eigentum anderer, so der Figaro – offenbar aber gegen Unbekannt.
Denn am Ende gab es in dieser Sache keine Festnahmen – null. Zwei andere Festnahmen der Freitagnacht verbinden sich laut der lokalen Polizeigewerkschaft mit dem üblichen Nachtleben in Limoges. Auch diese „üblichen“ Vorfälle sind offenbar nicht sehr zivil, sondern bestehen häufig aus Messerangriffen, die oft tödlich ausgehen. Zum Opfer fallen ihr vor allem junge Männer, wie in derselben Nacht in Clermont-Ferrand, wo ein 31-jähriger Mann getötet, ein 34-jähriger verletzt wurde.
Aber auch die rhythmisch wiederkehrenden Straßenkämpfe in verschiedenen Städten und Regionen des Landes haben Folgen für das Leben der friedlichen Franzosen. In Limoges sind zwar keine Zivilisten zu Schaden gekommen, aber einige Autobesitzer haben Anzeige erstattet. Auf X machte ein Comic die Runde, in dem eine junge Frau sich ihre Schutzkleidung anlegt, um zum Supermarkt zu gehen. Sie fragt: „Soll ich noch was mitbringen?“
Wenn das die Realität in einigen Teilen Frankreichs ist, dann ist es freilich schon sehr spät, und die „Gefahr“, von welcher der Bürgermeister sprach, ist offenbar im Bewusstsein vieler Franzosen lange angekommen. Längst mehren sich die Stimmen, dass man in solchen Fällen im Grunde die Armee schicken müsse. Auf den Drogenhandel werde bald die Übermacht in der Bewaffnung folgen, und dann die Sezession von der vielbeschworenen Republik, grummelt es im Volk.
Für Marine Le Pen sieht die Sache so aus: „Die sich vermehrenden Stadtguerillas, die systematisch die Ordnungskräfte ins Visier nehmen, zeugen von einem immer schnelleren Zusammenbruch der staatlichen Autorität, die nicht in der Lage ist, die Kontrolle wiederzuerlangen. Um die Ordnung wiederherzustellen, die öffentliche Ruhe zu gewährleisten und die Sicherheit derjenigen zu garantieren, die uns tagtäglich beschützen, bedarf es mehr als nur der Absichtserklärungen und der Interviews des Innenministers im Droh-Ton. Jetzt sind Taten gefragt, und zwar schnell.“ Der Du-Du-Finger, wie ihn auch deutsche Innenpolitiker in solchen Fällen gerne schwingen, wird offenbar keines der Probleme lösen, vor allem wenn Festnahmen und schnelle Gerichtsprozesse ausbleiben. Den verletzten Polizisten sprach Le Pen ihre volle Unterstützung aus.