Frankreich: Ausgangssperren gegen Drogenbanden

vor etwa 18 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Die Zahl der französischen Städte und Vorstädte, in denen mittlerweile nächtliche Ausgangssperren für Minderjährige gelten, ist kaum noch zu übersehen. Die Liste wird quasi wöchentlich länger, zumal im Sommer: Béziers im Département Hérault am Mittelmeer, dann Triel-sur-Seine, Saint-Ouen und Viry-Châtillon (alle im Pariser Umland), dann Limoges im Westen des Landes, wo es im Juli gemeine Attacken auf Autofahrer und Polizisten gegeben hatte. Das sind aber nur die neuesten Fälle.

Zuletzt folgte das südfranzösische Nîmes mit seinen 150.000 Einwohnern, wo „rivalisierende Drogenbanden mit Sturmgewehren aufeinander“ losgehen (Der Spiegel). Seltsam, und nun soll eine Ausgangssperre für Kinder helfen? Zum Teil ja, es ist eine Schutzmaßnahme, aber auch ein Mittel, um die überbordende Kriminalität in den Griff zu bekommen, die Polizei zu entlasten und die Truppenstärke des Gegners zu senken. Denn Kindersöldner sind keine Seltenheit mehr in Europa, egal ob in Schweden, Dänemark, Deutschland oder eben Frankreich.

Es geht teils um Zwölf- und Dreizehnjährige, die von Drogendealern als Späher, Kuriere oder Handlanger eingesetzt werden. In Nîmes gilt die Ausgangssperre für alle Personen unter 16 Jahren, jeweils von 21 Uhr bis sechs Uhr früh. Und natürlich hüllt man die Maßnahme in wohlwollende Worte. Man wolle auch die Jugendlichen selbst vor Gewalttaten schützen und „Spannungen“ Einhalt gebieten. Sicher ist das so.

„Es geht nicht darum, die jungen Leute am Ausgehen zu hindern“, sagte die stellvertretende Bürgermeisterin des Lyoner Vororts Meyzieu, Odette Garbrecht, schon eher realitätswidrig im Privatsender TF1. Denn genau das geschieht ja. Das Ziel sei der Schutz „gegen eine Form der Kriminalität, die sich mit dem Drogenschmuggel verbindet“ und immer größere Räume ergreift. Es geht um Vandalismus, Schlägereien, eiskalte Abrechnungen, auch Rauschgiftdelikte im engeren Sinne.

In Meyzieu wurde eine Überwachungskamera mutwillig zerstört, Autos brannten, Straßenlampen wurden beschädigt. Bestimmte Kreise dort sind offenbar besonders licht- und kamerascheu. Im Mai wurden die Einwohner der Gemeinde von Schüssen im Morgengrauen geweckt, wie der private Nachrichtenkanal CNews in Erinnerung ruft. Und angeblich geht es gar nicht um ganz Meyzieu, sondern nur um das Viertel Mathiolan, das vielleicht zehn Prozent der Siedlungsfläche ausmacht. Aber das Ausgehverbot betrifft natürlich alle Jugendlichen des Städtchens, auch die, die keine Straftaten begehen. Zu ihrer Meinung befragt, halten auch einzelne Bürger die Maßnahme eher für ein „Pflaster“, das keineswegs das zugrundeliegende Problem lösen könne, eine „Kurzzeitlösung“.

Man muss daneben an Begriffe wie „Jeunistan“ denken, die sozusagen jene Gegenden Frankreichs charakterisiert, in denen junge Männer (jeunes) aus anderen Kulturen (-istan wie Afghanistan) dominieren. In Triel-sur-Seine bei Paris hat die wiederholte Zerstörung öffentlichen und privaten Eigentums bei Nacht zu einem Zapfenstreich für Minderjährige geführt. So ist von einem „nächtlichen Individuum“ die Rede (individu de nuit), das in mehreren Versuchen darauf bestand, die Verglasung einer Bushaltestelle einzuschlagen. Purer Vandalismus also. Gegen so etwas will man sich natürlich schützen. Der Bürgermeister wird deutlich: „Es war notwendig, eine kommunale Antwort zu geben, um diese Jugendlichen zu kontrollieren und sie in ihre Schranken zu verweisen.“ Encadrer ist das französische Verb, und es kann auch wohlwollendes Betrauen meinen, aber immer mit einem Anteil von Einhegung, Grenzen aufzeigen, Einrahmen. „Wenn man die Jugend nicht überwacht, rutscht sie ab“, heißt es im Parisien lakonisch dazu.

Seit dem 4. Juli dürfen daher nur noch Jugendliche, die eine schriftliche Erlaubnis ihrer Eltern haben, in Triel-sur-Seine zwischen 23 und fünf Uhr auf der Straße sein. Es geht offenbar darum, eine Annäherung zwischen Eltern und Kindern wiederherzustellen, was sich in die allgemein angestrebte Wiederbelebung der Autorität in Frankreich fügt. Auch Macron hat so etwas gesagt. Den Eltern wird erneut und eindeutig die Verantwortung für ihre Kinder gegeben. Bei Zuwiderhandlung drohen in Triel 135 Euro Strafe. Ob so etwas allerdings für echte Drogendealer reicht, bleibt die Frage.

Manche Eltern bedanken sich dafür bei ihrem Bürgermeister, so im stark von Muslimen besiedelten Saint-Ouen-sur-Seine, in dem die Jugendkriminalität binnen eines Jahres um acht Prozent zunahm. In Saint-Ouen reichten angeblich 35 Euro Strafe aus, um ein spürbares Ergebnis zu produzieren.

Andere fordern mehr Freizeitangebote für Jugendliche, aber das dürfte auf einer Illusion beruhen. Nicht fehlende Ablenkung ist es, die zu Gewalttaten bei Nacht oder Tage führt, sondern Mangel an gefühlter Autorität, krimineller Mutwille, ein Leben, das allgemein aus den Fugen gerät, weil es nicht durch Arbeit und Urlaub strukturiert wird.

Auch die Polizeigewerkschaft Unité glaubt nicht daran, dass es sich um eine „dauerhafte Lösung“ handelt. Jugendliche Straftäter können ihre Taten natürlich auch am Tage begehen. Das leuchtet unmittelbar ein, zumal Videos von Mordtaten bei Tageslicht existieren, die an das Chicago der 1920er Jahre erinnern. Schwarz vermummte Gestalten entsteigen einem Auto und schießen mit Maschinengewehren auf ihre Opfer, durchsieben sie regelrecht. Und dann fehlt den Ordnungskräften natürlich Personal, so die Polizeigewerkschaft Alliance.

Das Interessante ist nun, dass auch die Großkriminellen zur Säuberung der Straßen aufrufen. In sozialen Netzwerken zirkulieren offenbar Botschaften wie diese: „Wir werden sogar die Fünfjährigen töten, halten Sie Ihre Kinder in Sicherheit. Jeder wird mit Kugeln durchsiebt.“ In bandengeplagten Großstädten wie Marseille herrscht auch ganz ohne Zapfenstreich vielerorts eine gespenstische Ruhe auf den nächtlichen Straßen, wie der Verfasser selbst erfahren konnte.

Tun die Bürgermeister am Ende also nur das, was auch die Drogenbosse wollen? Denn so wissen die Dealer zumindest, dass nur ihre eigenen Leute sich noch auf die Straße trauen und haben gewisse Räume für sich. Alles steht und fällt mit der Polizei, die da ist und Gesetze und Ad-hoc-Maßnahmen durchsetzen kann. Wenn das nicht so ist, wird auch die härteste verkündete Maßnahme nicht greifen, wie sogar der links ausgerichtete Le Monde in seiner Überschrift anmerkt. Quintessenz: Die Polizei ist auf dem Terrain vielerorts nicht mehr Herr der Lage, vor allem an den Brennpunkten.

Einige Medien sind schon damit beschäftigt, die neue Maßnahme zu normalisieren. So heißt es auf der Seite Challenges, so ein Zapfenstreich für Minderjährige sei doch eine „regelmäßig verwendete Lösung“ von den Vereinigten Staaten bis nach Island, auch wenn die Ergebnisse umstritten sind. Und es stimmt, in den USA gab es solche Maßnahmen schon seit den 50er-Jahren, in Europa erst in den letzten zwanzig Jahren. Relativ klar ist, dass sich in der Jugenddelinquenz auch die Missachtung des Staates und des Gemeinwesens insgesamt zeigt. Die Demokratieverachtung soll auch unter auffälligen Kriminellen hierzulande hoch sein.

Die Regierung Bayrou arbeitet derweil mit Leibeskräften daran, die Drogenringe zu brechen, die teils auch in der Haft weiter funktionieren. Ein Hochsicherheitsgefängnis im Mutterland und ein neues Gefängnis in Übersee, in Französisch-Guayana, sollen hier Abhilfe schaffen. Dem Justizminister Gérald Darmanin (Renaissance) scheinen eine Art von Abschiebungen vorzuschweben, die seinem Innen-Kollegen Bruno Retailleau (LR) etwa im Zusammenhang mit dem algerischen Staat immer noch schwer fallen.

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