„Absoluter Horror”: Wie ein französischer Streamer tagelang gequält wurde – bis er verstarb

vor etwa 3 Stunden

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Bildquelle: NiUS

In der Nacht zum 18. August starb der französische Streamer Raphaël Graven, besser bekannt unter seinem Pseudonym Jean Pormanove, während einer Live-Übertragung auf der Plattform Kick. Der 46-Jährige, der monatelang Opfer von Demütigungen und Gewalt geworden war, verstarb im Schlaf, umgeben von seinen Mitstreamern. Darüber berichten mehrere französische Medien.

Den Berichten nach dauerte es mehrere Minuten, bis die Streamer sein Sterben bemerkten. Zu dem Zeitpunkt atmete der Streamer nicht mehr – der Stream lief jedoch weiter, bis er irgendwann abrupt beendet wurde. Die Staatsanwaltschaft in Nizza hat eine Untersuchung eingeleitet, um die genauen Umstände zu klären. Aktuell würden „Vernehmungen“ stattfinden und eine „Autopsie durchgeführt“. Auf sozialen Medien kursieren Videos kurz vor seinem Tod.

Der 46-jährige Graven, der aus einfachen Verhältnissen stammte und zunächst allein von zu Hause streamte – also Live-Videoinhalte in Echtzeit über das Internet übertrug –, hatte sich vor Jahren einer Gruppe junger Content-Ersteller angeschlossen, um seine finanziellen Nöte zu lindern. Der Mann litt unter chronischen Geldsorgen und lebte bei seiner Mutter. Unter seinen neuen Mitstreitern fanden sich die bekannten Content-Ersteller Owen Cenazandotti, alias „Naruto“, und sein Freund „Safine“, die den Kanal „Le Lokal“ leiteten.

Doch für sein Engagement bei den Streamern zahlte Graven, dem fast 150.000 Menschen auf Instagram folgten, einen hohen Preis: Was als harmlose Zusammenarbeit begann, entwickelte sich zu einem Geflecht systematischer Misshandlungen. In den Streams, die teils von Zuschauern mit Spenden finanziert wurden, wurde Graven physisch attackiert: geschlagen, gewürgt, mit Beleidigungen überhäuft, mit Paintball-Kugeln beschossen. Videos zeigen, wie er als „Behinderter“ verspottet und regelrecht malträtiert wird. Die Erniedrigungspraxis gipfelte in einem zehntägigen Dauer-Stream, bei dem „extreme Challenges“ im Mittelpunkt standen – die im Tod endeten.

Der Vorfall schockiert aktuell vor allem im französischen Internet – und stößt eine Debatte über die Verantwortung von Content-Erstellern und Plattformen an. Bereits vor Monaten hatte dabei das investigative Portal Mediapart Missstände aufgedeckt: „Demütigungen und Gewalt live für Rekordzuschauerzahlen“, hieß es in einer Recherche, die zu einer vorläufigen Untersuchung und der vorübergehenden Festnahme von „Naruto“ und „Safine“ führte. Beide wurden freigelassen, doch der Druck nahm zu.

Der Streamer kam aus einfachen Verhältnissen – und wurde gerade einmal 46 Jahre alt.

In einem Clip diskutierten die Beteiligten offen die Möglichkeit eines Todesfalls: „Stell dir vor, er krepiert mitten im Livestream … wir sind erledigt“, sagte einer, während ein anderer Graven drängte, vor der Kamera zu erklären, dass ein etwaiger Tod allein auf seine Gesundheit – der 46-Jährige war starker Raucher – zurückzuführen sei. Graven selbst schien gefangen: In einer Nachricht an seine Mutter schrieb er: „Das geht zu weit. Ich habe das Gefühl, mit ihrem beschissenen Konzept eingesperrt zu sein.“ Gleichzeitig konnte er sich von seinen Peinigern nie lossagen.

Die französische Ministerin für Künstliche Intelligenz und Digitales, Clara Chappaz, reagierte scharf: „Der Tod von Jean Pormanove und die Gewalt, die er erlitten hat, sind ein absoluter Horror. Ich spreche seiner Familie und seinen Angehörigen mein Beileid aus. Jean Pormanove wurde monatelang live auf der Plattform Kick gedemütigt und misshandelt. Eine gerichtliche Untersuchung ist im Gange. Ich habe die Arcom [unabhängige Aufsichtsbehörde Frankreichs für die Regulierung der audiovisuellen und digitalen Kommunikation, Anm. d. Red.] eingeschaltet und den Vorfall gemeldet. Ich habe auch die Verantwortlichen der Plattform kontaktiert, um Erklärungen zu erhalten. Die Verantwortung der Online-Plattformen für die Verbreitung illegaler Inhalte ist keine Option.“

Die Streaming-Plattform Kick, die mit lukrativen Verträgen entsprechende Inhalte fördert und finanziell belohnt, kündigte eine Prüfung an, ohne bislang Konsequenzen zu ziehen. Nutzer im Internet kritisieren, dass Plattformen wie Kick von Extrem-Content profitieren, während vulnerable Personen wie Graven ausgenutzt werden.

Der Vorfall befördert allerdings auch eine Debatte über Gewalt gegen Weiße. In zahlreichen Streams wird Graven, der ethnischer Franzose war, von migrantischen Mitstreamern terrorisiert. User auf der Plattform X argumentieren auch deshalb, dass der Fall für ein innergesellschaftliches Problem stehe – und dass ein solcher Tod eine weitaus größere Debatte ausgelöst hätte, wenn der Verstorbene Migrant und der Peiniger ein weißer Franzose gewesen wäre.

Owen Cenazandotti alias „Naruto“ teilte auf Instagram mit: „Ich habe immer den Tag gefürchtet, an dem ich diese Worte schreiben muss. Leider hat uns JP (Raphaël Graven) in dieser Nacht verlassen. Mein Bruder, mein Kumpel, mein Partner, sechs Jahre Seite an Seite, ohne uns je loszulassen, ich liebe dich, mein Bruder, und du wirst uns furchtbar fehlen. Ich bitte euch alle, seine Erinnerung zu respektieren und das Video seines letzten Atemzugs im Schlaf nicht zu teilen. Für seine Familie und für uns, seine zweite Familie Le Lokal. Ruhe in Frieden, mein Bruder.“ Er ergänzte: „Niemand weiß etwas, aber alle reden. Wir haben uns geliebt. Das ist alles, was zählt.“

Auch bei NIUS: Nahel (17) und Thomas (16): Der Umgang Frankreichs mit getöteten Jugendlichen zeigt die Doppelmoral der herrschenden Eliten

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