Frankreichs Staatsfinanzen unter Druck – Schuldenquote steigt weiter

vor 27 Tagen

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Pierre Moscovici ist seit fünf Jahren Präsident des französischen Rechnungshofs und damit verantwortlich für das regelmäßige Audit der Staatsfinanzen seines Heimatlands. Von 2012 bis 2014 war er französischer Finanzminister, in den darauffolgenden fünf Jahren EU-Kommissar für Wirtschaft, Finanzen, Steuern und Zollpolitik. Der Mann kennt sich also aus mit knappen Kassen.

Am Mittwoch forderte Moscovici den französischen Premierminister François Bayrou auf, Maßnahmen zu ergreifen, die französischen Staatsfinanzen zu konsolidieren. Diese seien vor allen Dingen in den Jahren 2023 und 2024 außer Kontrolle geraten, so Moscovici. Gelinge der Turnaround nicht, drohe der Kapitalmarkt die Konsequenzen zu ziehen. Noch könne man freiwillig handeln, morgen drohe der Markt Austerität zu erzwingen, so Moscovici in seiner Botschaft an die Regierung.

Dann kann es schnell gehen. Investoren stoßen französische Anleihen paketweise ab. Die Kurse rutschen in den Keller und die Zinsen schießen in die Höhe, was den Schuldendienst des Landes bei der Refinanzierung bestehender Schulden weiter verteuern würde. Bereits jetzt beträgt der Anteil der Zinszahlungen am französischen Staatshaushalt 10,6 Prozent, was in etwa den Ausgaben für den Bildungsbereich entspricht. Mit wachsender Verschuldung schrumpt der fiskalische Spielraum immer weiter.

Bei einer Gesamtverschuldung des Staates in Höhe des Bruttoinlandsprodukts von 114 Prozent kann die Schuldenfalle unerwartet zuschnappen. Noch gelingt es der europäischen Politik, auf die hohen Schulden der Vereinigten Staaten zu verweisen, die ähnlich hoch verschuldet sind wie die Franzosen. Wie lange diese Ablenkungstaktik funktionieren wird, kann niemand sagen. Kreditrisiken materialisieren sich an den Märkten blitzartig, in der Regel ohne Vorwarnung.

Was wir aber wissen ist, dass im historischen Kontext eine Schuldenquote von 100 Prozent bereits als kritische Marke gilt. Das bedeutet, dass eine Ökonomie den Staat dann kaum noch, bei aller Reformbemühung, durch dynamisches Wachstum aus dem Schlamassel befreien kann. Ist der betroffene Schuldenstaat nicht zufällig der Emittent der Weltreservewährung, senkt der Kapitalmarkt den Daumen, wie wir es während der Staatsschuldenkrise vor eineinhalb Jahrzehnten bereits gesehen haben. Dann beginnt der Prozess der Intervention der Notenbank, die die Schulden mit der Druckerpresse liquide hält und so dem Bürger die Rechnung für das Schuldendebakel über den Inflationsmechanismus präsentiert.

Frankreich galt nie als fiskalisch besonders konservatives Land. Der politische Patt der vergangenen Jahre mit unterschiedlichen Mehrheiten und instabilen Koalitionen hat dazu geführt, dass das jährliche Haushaltsdefizit den Rahmen der Maastricht-Kriterien von 3 Prozent deutlich überschossen hat. 2024 lag das Defizit bei 5,8 Prozent des BIP. Für das laufende Jahr wird es trotz erster Konsolidierungsbemühungen voraussichtlich erneut bei 5,5 Prozent liegen und die Zielmarke deutlich reißen.

Sollte die französische Politik auf ein Comeback der Ökonomie setzen, so dürften die Hoffnungen enttäuscht werden. Im Mai lagen sowohl die PMIs (Purchasing Manager´s Index) für die Industrie mit 48,1 als auch für den Dienstleistungssektor mit 49,6 Punkten im kontraktiven Bereich. Die PMIs messen die Stimmung in den Chefetagen der Wirtschaft. Werte über 50 signalisieren Wachstum, unter 50 Schrumpfung. Sie gelten als Frühindikatoren für Konjunktur und Industrieentwicklung.

Anders gesagt: Trotz immenser oder gerade wegen hoher Staatsausgaben befindet sich die französische Wirtschaft im Kern in der Rezession.

Frankreichs gärende Haushaltskrise ist dabei mehr als nur ein nationales Schuldendrama. Neben Deutschland und Italien beobachten Analysten und Investoren auf der ganzen Welt mit Argus-Augen, wie sich die politische Lage in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Europäischen Union entwickelt. Wird es Paris gelingen, sich fiskalisch zu konsolidieren? Das Vertrauen, das Paris an den Märkten genießt, steht schon seit Jahren auf wackeligen Beinen. Zuletzt senkte Moody’s als letzte der großen Ratingagenturen 2023 das AAA-Rating Frankreichs um einen Punkt und versah seine Einschätzung des Landes mit einem negativen Ausblick.

Sollte der Kapitalmarkt französische Staatsanleihen in nicht allzu ferner Zukunft negativer bewerten, hat das Konsequenzen für alle Mitglieder der Eurozone. Hier gilt: Mitgehangen, mitgefangen. Der Markt hat die Angewohnheit, von einem Schuldner zum nächsten zu ziehen und im Krisenfalle die Kreditwürdigkeit auf Herz und Nieren zu prüfen. Wer dann ins Stottern gerät, zahlt höhere Zinsen – oder verliert den Zugang zur Kapitalquelle. Das weiß auch Moscovici.

Der Druck auf die nationalen Regierungen wächst, sich entweder zu harten Konsolidierungsmaßnahmen durchzuringen oder die Abgabenlast der Bürger zu erhöhen.

Frankreich ist dabei ein besonderer Fall. Mit einer Staatsquote von 57,3 Prozent rangiert das Land weit oben in der Gruppe der Staaten, die sich einen weit überdehnten Wohlfahrtsstaat leisten. In der Folge ist auch die Abgabenquote inzwischen auf über 45,6 Prozent gestiegen, während der EU-Durchschnitt bei etwa 40 Prozent liegt. Die Bürger werden also beinahe mit der Hälfte ihres Einkommen zur Kasse gebeten, um die Wohlfahrtsillusion der Pariser Politik aufrecht zu erhalten.

Der innere Friede wird mit Geld erkauft, das real nicht mehr vorhanden ist – finanziert auf Pump, getragen von der Illusion fiskalischer Souveränität. Wenn nun selbst der oberste Rechnungsprüfer des Landes auf eine Haushaltskonsolidierung drängt, bleibt nur eine Schlussfolgerung: Es geht ans Eingemachte. Gemeint ist das Sozialbudget – das Fundament des gesellschaftlichen Stillhalteabkommens, das vor allen Dingen Frieden in den Banlieues sicherstellen soll. Die historische Erfahrung lehrt allerdings: Legt die Politik Hand an den Sozialstaat, ist es um den sozialen Frieden geschehen. Dann brennen die Vorstädte von Paris über Marseille bis Lyon.

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