Franziskus: Pastoraler Papst der Macht

vor 6 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

Die letzte Begegnung von Papst Franziskus ist symbolisch. Ausgerechnet US-Vizepräsident JD Vance ist der letzte Politiker, den der Pontifex an Ostern empfängt. In der ersten Amtszeit von Donald Trump gerierte sich Franziskus als Gegner. Der 88-Jährige trifft auf einen Politiker, der in vielerlei Hinsicht das Gegenbild des Pontifex darstellt: jung, nordamerikanisch, migrationskritisch, klimawandelskeptisch, rechts.

Und vor allem: Vance ist traditioneller Katholik.

Beim kurzen Empfang dürfte es nicht für Animositäten gereicht haben. Das Bild steht jedoch für einen Epochenwechsel. Vance ist ein Mosaikstein eines katholischen Aufbruchs, den man im deutschen Staatsklerus kaum mitbekommt. Dazu gehört nicht nur der Umstand, dass der Stellvertreter des mächtigsten Mannes der Welt die Messe auf Latein besucht. Zu diesen Bildern gehört nicht nur der Stellvertreter des mächtigsten Mannes der Welt, der die Messe auf Latein besucht. Dazu gehören auch Szenen aus Frankreich, Großbritannien und anderen Teilen der Welt, wo der Glaube als tot galt, aber insbesondere in seiner traditionellen Gestalt Anhänger findet. Es war Papst Benedikt XVI., der mit dem Motu Proprio Summorum Pontificium der „alten Messe“ wieder ihre klassische Stellung zuwies, und es war Franziskus, der mit seinem Motu Proprio Traditionis Custodis diese Stellung wieder aberkannte – noch zu Lebzeiten Ratzingers.

Die Millennials – die Generation, zu der auch Vance zählt – hat nicht zuletzt den Namen „Generation Benedikt“, weil sie stark von dem Pontifikat des bayerischen Papstes geprägt ist und mehr als die Eltern der Boomer-Generation in der „Messe aller Zeiten“ die eigentliche katholische Identität erblickt. Auch unter diesem Aspekt ist der Generationenkonflikt in der Una Sancta zu verstehen: Die Absage an die „Neue Messe“, wird vielfach von Vertretern der früheren Generation – die heute die höchsten Kirchenämter innehat – als Angriff auf ihr Lebenswerk gesehen, zu der das 2. Vatikanische Konzil gehört.

Das ist übrigens ein Generationenkonflikt, der sich nicht nur auf spirituelle Aspekte bezieht. Auch in Deutschland sind die höchsten AfD-Anteile in der Altersgruppe der 35- bis 44-Jährigen zu suchen (durchschnittlich 26 Prozent); ähnliches zeigt sich bei der Generation X (22 Prozent), während die AfD am schlechtesten bei den über 60-Jährigen abschneidet. JD Vance, Giorgia Meloni, Elon Musk und Javier Milei sind Aushängeschilder des Generationenwechsels, der im Westen eine deutliche ideologische Verschiebung darstellt.

Auch deswegen ist der Tod von Papst Franziskus eine Zäsur. Das Vorgehen gegen die Alte Messe ist nur ein Teil des Pontifikats, steht aber stellvertretend für eine vatikanische Kultur der Spaltung und Konfrontation, wie sie unter Benedikt XVI. und Johannes Paul II. nicht existierte. Die berüchtigten „Flugzeugkonferenzen“ des Papstes, bei dem er nonchalant seine Privatmeinung kundtat, zählen dazu gleichermaßen wie manche Schreiben oder Passagen in Enzykliken, die bei Gläubigen, Theologen und Journalisten fragende Gesichter zurückließen.

In diesem Sinne hat Jorge Mario Bergoglio, der am 13. März 2013 von den Kardinälen zum Papst erkoren wurde, sein Versprechen gehalten: er hat „frischen Wind“ in die Kurie und die gesamte katholische Welt (und darüber hinaus) getragen. Dabei sorgte er zu Beginn nicht nur mit seiner Begrüßung („Buona sera“) und mit seinem schlichten Auftreten für Aufsehen, sondern bereits mit seinem Namen. Üblicherweise erfinden Päpste keinen neuen Namen, sondern stellen sich in die Tradition eines Vorgängers. Die Wahl von „Franziskus“ konnte daher als Programm, als demütige Geste – oder Anmaßung interpretiert werden

Vom ersten Moment war allerdings klar: Dieser Papst würde seinen Namen als Mission verstehen. Das hat ihm den Ruf der Zeitgeistigkeit und des Politischen eingetragen. Das wäre jedoch zu kurz gesprungen. Umweltschutz und Klimaschutz, die „Bewahrung der Schöpfung“ war einerseits ein strategisch günstiges PR-Feld um zum Shooting-Star der Medien zu avancieren. Der Jesuit Bergoglio dürfte das berechnet haben. Nicht mehr die Sexualmoral und der Missbrauch standen im Fokus. Franziskus wusch muslimischen Migranten die Füße und die Medien vergaßen ihre angriffsbereite Feindseligkeit auf die katholische Kirche.

Insbesondere den linksliberalen Medien streute Franziskus gezielt Sand in die Augen, da er genau wusste, wie diese funktionierten: mit seiner demonstrativen Schlichtheit und dem Umzug nach Santa Marta evozierte der Argentinier das Bild, wie man es in der Popkultur der 68er-Jahre utopisch zeichnete; da war ein Papst, der (augenscheinlich) seinen Reichtum und den Vatikan für den Weltfrieden verkauft, wie es im Film „In den Schuhen des Fischers“ mit Anthony Quinn passiert. Das Kulturgedächtnis griff, die Medien waren entzückt, Franziskus in den ersten Jahren seiner Amtszeit ein Popstar.

Bergoglio ist in einem Land aufgewachsen, das von der Amtszeit des Diktators Perón bestimmt wurde – die Nachfolgeparteien der Peronisten haben de facto bis zum Wahlsieg von Javier Milei regiert. Dabei ist Peronismus keine Weltanschauung im engeren Sinne. Sie verspricht dem Zuhörer, was er hören will, blinkt rechts und biegt links ab. Franziskus besaß Machtinstinkt und war darin manchem Renaissancepapst so ähnlich wie der Bundeskanzlerin Angela Merkel; das alles in Verbindung mit jesuitisch geschärftem Geist.

Nur so ist zu erklären, weshalb Franziskus bei der Amazonas-Synode eine Lockerung des Zölibats andeutete. Stattdessen gab es den Skandal um eine hölzerne Götzenfigur, aber keine Reform. Amoris Laetitia weckte die Hoffnung der Liberalen auf Lockerungen bei Ehe und Sexualmoral, konservative Kritiker sahen schwammige Formulierungen. Theologisch und politisch blieb davon kaum etwas bestehen. Ähnliches lässt sich über die Segnung homosexueller Verbindungen sagen, ja selbst über Traditionis Custodes, dass die Verfechter der Alten Messe an die Leinen legen sollte: vieles lief unter diesem Pontifikat weiter nach einem großen Knalleffekt. Historisch bleibt vor allem die Ächtung der Todesstrafe.

Franziskus hat in seiner Amtszeit daher nicht nur die Gläubigen irritiert, ob mit vagen Lehrmeinungen, Anklagen und Vorhaltungen bei öffentlichen Audienzen oder fragwürdigen Entscheidungen. Zu letzteren gehört der rigide Kirchenlockdown und das Vorgehen gegen Priester, die gegen die COVID-19-Auflagen verstießen. Der einsame Papst auf dem Petersplatz ist womöglich das prägende Bild dieses Pontifikats; der Petersplatz leer, die Schwärze der Nacht, der Frühlingsregen. Manche Beobachter erblickten da bereits ein römisches Menetekel. Insbesondere deswegen bleibt eines der Hauptthemen des Pontifex, die Barmherzigkeit, in einem merkwürdigen Zwielicht. Während das pastorale Werk des argentinischen Papstes nicht infrage steht, so bleibt offen, warum jene Barmherzigkeit nicht für die Kritiker in den eigenen Reihen galt. Das trifft auf Priester in Corona-Zeiten, Anhänger der alten Messe wie Kritiker in den eigenen Reihen zu – angefangen bei den Kardinälen, die Zweifel am theologischen Unterbau mancher Schreiben hatten, wie auch bei Finanzskandalen, in die die Kardinäle Becciu und Maradiaga verwickelt waren. Ebenfalls ungeklärt ist, wie lange der Pontifex wirklich von manchen Missbrauchstätern wie McCarrick oder Rupnik wussten, und warum er nicht einschritt, obwohl offenbar vorab informiert.

Festzustellen bleibt: Die Krisen, die dieses Pontifikat erschütterten, waren nicht grundsätzlich Franziskus‘ Werk. Die Kardinäle hatten einen Papst vom Ende der Welt gewählt, damit dieser in der Kurie aufräumen sollte. In der Endphase des Pontifikats von Johannes Paul II. und im Pontifikat von Benedikt XVI. hatte es innerkirchliche Probleme gegeben, die weit über Verwaltung und Bürokratie hinausreichten. Die Hoffnung lautete: Ein Papst, der nicht zu sehr in die internen Mechanismen eingebunden war, konnte freier walten. Franziskus hat das getan, indem er die Verwaltung auf sich ausrichtete, was ihm nicht zuletzt den Vorwurf eines „Diktator-Papstes“ eintrug. Inwiefern die Kurienreformen Früchte tragen, muss die Zeit zeigen.

Überdies bewahrte Franziskus, trotz des Vorwurfs ein „NGO-Papst“ zu sein, eine bemerkenswerte außenpolitische Unabhängigkeit, die angesichts der Finanzprobleme und politischen Zwänge bemerkenswert ist. Der Heilige Stuhl handelte ein Abkommen mit der Volksrepublik China aus (gegen den Rat eines Regimekritikers wie Kardinal Zen), versuchte im Nahostkonflikt, in Syrien und der Ukraine zu vermitteln. Dass der Papst nicht eindeutige Position beim Angriffskrieg Moskaus auf Kiew zog, legten ihm Kritiker als moralische Schwäche aus.

Dass der Pontifex im ersten Kriegsjahr die Ukraine und Russland dem Unbefleckten Herzen Mariens weihte, zeigt jedoch ebenso eine eigenständige Position wie das Treffen mit dem Moskauer Patriarchen Kyrill im Jahr 2016 auf Kuba. In Myanmar stärkte er der Friedensnobelpreisträgerin Aung Sang Suu Kyi gegen die Militärdiktatur den Rücken, bei der Abspaltung des (christlichen) Südsudan vom (muslimischen) Sudan half die Kurie mit verschwiegener Diplomatie.

Ganz gemein, wie ihm seine Kritiker vorwarfen, machte sich der Pontifex mit der Welt nämlich nicht. Genderideologie, Transkult und Abtreibung erteilte er immer wieder eine deutliche Abfuhr. Mit seiner unversöhnlichen Art verprellte er auch anfängliche Verbündete. Mehrere Jahre vor seinem Tod gab es daher immer wieder Denkschreiben und interne Überlegungen, was auf dieses Pontifikat folgen würde. Ein großer Teil der Kardinäle, auch der „Reformer“ sehnt sich offenbar nach den Jahren des „frischen Windes“ nach Ruhe.

Franziskus‘ Einsatz für Flüchtlinge, für mehr Menschlichkeit und Hingabe an den Nächsten darf dabei nicht als bloßes Mittel zum Zweck eines jesuitischen Papstes verstanden werden. Sie dürfen auch für kommende Generationen als Inspiration dienen. Für viele blieb er der Papst, der hinabstieg – in Gefängnisse und Armenviertel. Dort, wo andere ihre Stimme hoben, kniete Franziskus. An dieser Bildgewalt können sich auch seine Nachfolger orientieren – und müssen sich daran messen lassen. Ostentative Schlichtheit reicht da nicht.

Wie so häufig in der katholischen Welt obliegt es der Einordnung späterer Generationen, das Gute zu behalten und das Politische vom Theologischen zu trennen. Johannes Paul II. machte den Kampf gegen den Kommunismus zur Vita, Benedikt brachte seine theologische Expertise mit. Franziskus musste einen Gegenentwurf erfinden. Wie in der sozialen Frage war es für die katholische Kirche auch bei der ökologischen Frage unumgänglich, eine Gratwanderung zwischen den Ideologien zu finden. Franziskus hat das versucht.

Nicht anzuzweifeln ist die Tatsache, dass Franziskus sich bis zuletzt als Nachfolger Petri identifizierte, der seine Kirche vor den Übeln der Welt schützen musste – gleich, wie richtig oder falsch er damit lag. Sein autoritärer Stil spricht dafür ebenso wie seine Geißelung der Missstände, die er als solche erkannte. An Rückzug dachte der Pontifex nicht. Er starb, wie es die Päpste vor Ratzinger getan hatten – obwohl er aus dem Präzedenzfall eines Papstrücktritts eine Tradition hätte machen können.

Dafür war Franziskus zu sehr Patriarch. Nicht in den politischen Ansichten, denn seiner persönlichen Lebensführung war er reaktionärer, als es oftmals den Anschein hatte; ein ruppiger Gaucho, der rücksichtslos nicht nur mit anderen, sondern auch mit sich selbst umging, wenn er es für nötig hielt. In seinen letzten Tagen kämpfte er sich aus einer doppelten Lungenentzündung ins Leben zurück und spendete am Sonntag den Ostersegen. Es ist eine Entschlossenheit, die man sich auch für den nächsten Papst nur wünschen kann.

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