
Am 19. Mai wurde eine Bericht des französischen Senats veröffentlichte, der der französischen Regierung schwere Versäumnisse vorwirft. Nach einer sechsmonatigen Untersuchung kam der Senat zu dem Schluss, dass die französische Regierung nicht nur darauf verzichtet hat, ihre eigenen Gesetze durchzusetzen, sondern diese Gesetze aktiv zugunsten von Nestlé geändert zu haben. Die Interessen des Unternehmens wurden den der öffentlichen Gesundheit und des Umweltschutzes bevorzugt.
In dem Dokument wird darauf hingewiesen, dass die französische Regierung dem Unternehmen erlaubte, eigentliche verbotene Verfahren bei der Herstellung natürlicher Mineralwässer, unter anderem Perrier, anzuwenden.
„Dem französischen Präsident war seit mindestens 2022 bekannt, dass Nestlé seit Jahren betrügen würde. Er wusste von den verbotenen Praktiken, die Nestlé zur Desinfektion seiner sogenannten natürlichen Mineralwässer anwendet, die regelmäßig mit Fäkalbakterien und Pestiziden kontaminiert sind“, heißt es in dem Bericht.
Alexis Kholer, bis Februar 2025 Berater von Präsident Emmanuel Macron, traf sich Berichten zufolge regelmäßig mit Führungskräften von Nestlé.
Der Bericht dokumentiert auch die Lobbyarbeit von Nestlé auf europäischer Ebene. Der Konzern versuchte, „an beiden Enden der öffentlichen Verwaltung tätig zu werden: auf höchster Ebene, um einen Blankoscheck für seine Mikrofiltration auf nationaler und europäischer Ebene zu erhalten, und auf lokaler Ebene, um sicherzustellen, dass Präfekturdekrete die Verwendung von Mikrofiltration im Grundwasser validieren“, heißt es in dem Bericht.
In einem Gespräch mit Brussels Signal am 21. Mai erklärte ein Nestlé-Sprecher, die Lebensmittelsicherheit sei das „oberste Ziel“ des Unternehmens.
Während der 73 Anhörungen des Senats wurden über 120 Personen befragt. Nach Angaben des Ausschussvorsitzenden Laurent Burgoa wurde während der Untersuchung versucht, etliche Senatoren durch Anwälte einzuschüchtern. Die Arbeit des parlamentarischen Untersuchungsausschusses für die Mineralwasserindustrie hat zu zwei Berichten über Meineide vor der nationalen Legislative geführt.
Beide betreffen Führungskräfte des Konzerns Nestlé Waters, dem betrügerische Praktiken bei der Verarbeitung seiner Mineralwässer vorgeworfen werden. Einzelne Senatoren wiesen darauf hin, dass bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Berichts Nestlé Waters die Vorschriften noch immer nicht eingehalten habe.
Im Anschluss an den Bericht reichte die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch im Februar 2025 eine Klage beim Pariser Gericht ein. Foodwatch beschuldigte die Regierung, die EU-Kommission und weitere EU-Mitgliedstaaten die Verstöße vertuscht zu haben.
„Wir stellen eine totale Laissez-faire-Haltung fest. Es ist leicht zu verstehen, warum die französische Regierung die EU-Kommission und die andere Mitgliedstaaten nicht informiert hat: Jahrelang war sie offensichtlich damit beschäftigt diese massiven Betrügereien zu vertuschen, anstatt die Vorschriften anzuwenden“, sagte die Informationsdirektorin von Foodwatch, Ingrid Kragl.
„So konnte Nestlé unbehelligt diese Produkte verkaufen. Wir freuen uns, dass die Richter diesen Fall nach der Foodwatch-Beschwerde untersuchen, und wir erwarten, dass die Strafgerichte exemplarisch gegen die Verantwortlichen vorgehen, wer auch immer sie sein mögen“, fügte sie hinzu.
Die Öffentlichkeit erfuhr im Januar 2024 zum ersten Mal durch eine Untersuchung von Radio France und Le Monde von diesem Fall. Damals wurden nicht gesetzeskonforme Reinigungsmethoden aufgedeckt. Betroffen waren Perrier, Vittel, Contrex und Hépar von Nestlé sowie die Konkurrenten Cristalline und St-Yorre.
Im Gegensatz zu Leitungswasser sind natürliche Mineral- und Quellwässer gesetzlich verpflichtet, in ihrem reinen Zustand und ohne jegliche Desinfektion abgefüllt zu werden.
Interne Hinweisgeber, darunter ein ehemaliger Mitarbeiter von Sources Alma (Hersteller von Cristalline und St-Yorre), hatten bereits im Jahre 2020 darauf hingewiesen.
Die anschließenden Ermittlungen der französischen Behörde für Verbrauchertäuschung (DGCCRF) deckten eine Reihe verbotener Methoden auf: die Vermischung von Wässern aus verschiedenen Quellen, die Zugabe von industriellem Kohlendioxid, die Behandlung von Verunreinigungen mit Eisensulfat und die Verwendung von Ozon oder UV-Desinfektion. Alles Behandlungsmethoden, die nach den Mineralwasservorschriften verboten sind.
Hinsichtlich der aktuellen Gesetzgebung argumentierte Nestlé, dass eine klarere und einheitlichere Gesetzgebung notwendig sei. „Wir nehmen die Schlussfolgerungen des Untersuchungsausschusses des französischen Senats zu den Praktiken in der Mineralwasserindustrie zur Kenntnis, in denen die allgemeinen Herausforderungen für Mineralwasserabfüller und die Notwendigkeit größerer Klarheit und Kohärenz bei der Anwendung des Rechtsrahmens hervorgehoben werden“, sagte der Sprecher des Unternehmens am 21. Mai.
In seinem Bericht enthüllte der französische Senat, dass eine 2022 durchgeführte Bewertung der Nestlé-Wassertätigkeit unter dem Einfluss des Unternehmens geändert wurde.
„Wir haben festgestellt, dass der Hersteller zum Zensor und sogar zum Mitverfasser eines Berichts einer regionalen Gesundheitsbehörde geworden ist“, sagte Alexandre Ouizille, der für den Untersuchungsausschuss zuständige Berichterstatter. „Der untersuchende Beamte lehnte die Schwärzung ab und zog seine Unterschrift zurück, aber der Bericht wurde dennoch unter dem Diktat von Nestlé geändert. Wir haben es hier mit besonders schwerwiegenden Fakten zu tun, die eine Überprüfung und Bestrafung erfordern“, fügte er hinzu.
Der ehemalige Industrieminister Roland Lescure leugnete auf Nachfrage jegliche Einmischung: „Das Industriekabinett hat keinen Antrag auf Änderung eines CODERST-Berichts (Rat des Departements für Umwelt, Gesundheit und technologische Risiken) gestellt.
Die ehemalige Gesundheitsministerin Agnès Firmin Le Bodo vertrat eine ähnliche Position und bestritt „jegliche Intervention, um im Dezember 2023 etwas zu ändern. Diese Angelegenheit wurde direkt zwischen der ARS und dem Hersteller geklärt“, sagte sie.
Der übersetzte und bearbeitete Beitrag ist zuerst bei Brussels Signal erschienen.