Warum der Union mit der Personalie Brosius-Gersdorf der Ferda-Ataman-Moment droht

vor etwa 5 Stunden

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Bildquelle: NiUS

Mit Wahlversprechen ist das so eine Sache: Nicht unbedingt muss der Wähler sie glauben, oft haben sie eher wahltaktischen Charakter und gleichen Verlautbarungen, die im Wahlkampf zur Schärfung des eigenen Profils formuliert werden.

Doch Wahlversprechen können den später Regierenden auch auf die Füße fallen: Etwa dann, wenn offensichtlich wird, dass es eine Diskrepanz zwischen den Versprechen und der durchgesetzten Politik gibt. Und damit sind wir bei der Union, deren Kanzlerkandidat Friedrich Merz unmittelbar vor seiner Wahl versprach: „Links ist vorbei“. In seine Kanzlerschaft fällt nun, nach gerade einmal zwei Monaten, die Personalie Frauke Brosius-Gersdorf.

Am 11. Juli 2025 soll der Bundestag drei neue Verfassungsrichter wählen, darunter Frauke Brosius-Gersdorf, die von der SPD nominiert wurde. Die Wahl ist von enormer Tragweite, da das Bundesverfassungsgericht nicht ohne Grund als „Hüter des Grundgesetzes“ gilt. Wer dort sitzt, trifft Entscheidungen – und prägt die Rechtsordnung für Jahrzehnte. Brosius-Gersdorf, die als potenzielle Vorsitzende des zweiten Senats und ab 2030 als Präsidentin des Gerichts gehandelt wird, würde eine Schlüsselposition zukommen – und könnte in dieser Position die Leitplanken deutscher Rechtsprechung definieren.

Um gewählt zu werden, braucht die Professorin, die an der Universität Potsdam lehrt, zwei Drittel der Stimmen im Deutschen Bundestag. Die Verfassungsrichter werden dabei je zur Hälfte von Bundesrat und Bundestag gewählt, dieses Mal ist der Bundestag an der Reihe. Die SPD stellt zwei Kandidaten auf – neben Brosius-Gersdorf nominierte sie Ann-Katrin Kaufhold –, daneben benannte die Union den Richter Günter Spinner. Über das Amt des Vizepräsidenten im Verfassungsgericht selbst entscheidet dann der Bundesrat.

Die 54-jährige Brosius-Gersdorf ist dabei nicht irgendwer: So plädierte die Juristin etwa für ein Verbot der AfD und erklärte in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“: „Wir sind eine wehrhafte Demokratie. Wir haben Schutzvorkehrungen gegen verfassungsfeindliche Parteien.“ Zudem befürwortet sie eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts und erklärte, die Menschenwürde gelte „erst ab Geburt“, was der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts widerspricht.

Ihre Unterstützung für eine Corona-Impfpflicht und die Forderung nach Gendersprache im Grundgesetz unterstreichen die linksideologische Positionierung der Juristin. Der Völkerrechtler Volker Boehme-Nessler nannte Brosius-Gersdorf eine „befangene Kandidatin“ und attestierte: „Vor diesem Anforderungsprofil kann Frauke Brosius-Gersdorf, die Kandidatin, nicht bestehen.“ Sie äußere sich klar und nicht selten „apodiktisch“ zu hochpolitischen und äußerst umstrittenen Fragen. „Ihre Äußerungen zur Impfpflicht, zum Gendern, zum AfD-Verbot, zur Strafbarkeit der Abtreibung, zum Kopftuch-Verbot im Gerichtssaal sind deutlich – und sie entsprechen dem rotgrünen Mainstream“, so Boehme-Nessler in einem Gastbeitrag für die Tageszeitung Welt.

Die Personalie ist dabei gleich aus zwei Gründen wegweisend: Zum einen dürfte die Juristin, sollte sie gewählt werden, die Glaubwürdigkeit der Judikative torpedieren und dem Ansehen des Verfassungsgerichts schaden, weil sie Zweifel an der Neutralität des höchsten Gerichts befeuern würde. Andererseits aber – und dies hat politische Implikationen – könnte sie zum Bumerang für die Union werden, die versprach, linker Politik ein Ende zu setzen – und mit der Personalie Gefahr läuft, zahlreiche Wähler zu vergrämen, die der konservativen Partei nochmal eine Chance gaben.

Für eine Zweidrittelmehrheit im kompletten Bundestag wären 420 Stimmen erforderlich. Die AfD mit 152 Parlamentariern hat bereits signalisiert, die Richterin nicht wählen zu wollen. Linke, Grüne und die SPD, die Brosius-Gersdorf nominiert hat, kommen auf 269 Abgeordnete. In diesem Fall müssten also 151 Politiker der Union Brosius-Gersdorf ihre Stimme geben, um die Personalie zu verabschieden, 57 Politiker können abweichen.

Wie die Union aber letzten Endes abstimmt, ist alles andere als klar. Eigentlich bindet sie eine gewisse Koalitionsdisziplin an den Personalvorschlag der SPD, doch die Wahl ist geheim.

Auch stößt einigen Parlamentariern nach Informationen von NIUS negativ auf, dass die SPD im Vorfeld der Aufstellung selbst zwei von der Union vorgeschlagene Juristen ablehnte. Vergangene Woche berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung bereits über abweichende Stimmen, die der Frau eine ultralinke Haltung attestierten, sie „niemals wählbar“ nannten und die Personalie als „lebenskritisch“ beschrieben.

Die Vokabel „lebenskritisch“ dürfte mit Brosius-Gersdorfs Haltungen in der Abtreibungsdebatte zusammenhängen. Auf einer zweiten Ebene ist sie aber auch in dem Sinne „lebenskritisch“, dass die Union durch sie Gefahr läuft, zum Steigbügelhalter linker Politik zu werden und sich selbst auf lange Sicht zu schaden. In diesem Sinne weist die mögliche Wahl Brosius-Gersdorfs auffällige Parallelen zu Ferda Ataman auf.

Ataman, die als ehemalige Vorsitzende der „Neuen deutschen Medienmacher“ bereits „Goldene Kartoffel“-Preise verlieh und sich mit der „Migrantifa“ solidarisch zeigte, wurde durch die Ampel im Juli 2022 zur Antidiskriminierungsbeauftragten des Bundes gewählt. Obzwar zahlreiche problematische, ideologische und linksidentitäre Äußerungen von Ataman überliefert waren und es im Vorfeld der Wahl eine große Debatte um ihre Aufstellung gab, entschied eine Mehrheit der FDP, die Deutschtürkin ins Amt zu hieven. Zwar äußerten Abgeordnete wie Linda Teuteberg und Frank Müller-Rosentritt Kritik, doch Ataman erhielt 376 Stimmen und damit die nötige „Kanzlermehrheit“. Mehr als die Hälfte der 92 FDP-Abgeordneten gaben ihr ihre Zustimmung.

Der FDP-Abgeordnete Konstantin Kuhle verteidigte damals die Wahl Atamans.

Drei Jahre später ist die FDP aus dem Parlament geflogen, bei der Bundestagswahl im Februar holten die Liberalen gerade einmal 4,3 Prozent der Stimmen. Und wenngleich die Ampel-Koalition für überzeugte liberale Wähler aus gleich mehreren Gründen problematisch gewesen sein dürfte, dürfte die Personalie Ferda Ataman – nebst Verabschiedung des Selbstbestimmungsgesetzes – massiv dazu beigetragen haben, dass sich liberale Wähler von der Partei abwendeten.

Denn Ataman setzte um, was Linksidentitäre in solchen Ämtern nun mal umsetzen: Sie kämpfte gegen „antimuslimischen Rassismus“, reformierte das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz im Sinne von Transpersonen, untergrub individuelle Freiheiten, definierte Diskriminierung als Einbahnstraße gegen Migranten, blieb bei antideutschen oder radikal islamistischen Anschlägen zumeist auffällig still, verteidigte das Kopftuch für Beamte und warb für eine schnellere Einbürgerung von Migranten.

Kurz: Sie interpretierte ihr Amt wie eine progressive Politkommissarin, die in der rot-grün-gelben „Fortschrittskoalition“ ihren Erfüllungsgehilfen für realitätsfremde Projekte gefunden hatte.

Viel verheerender war aber die Symbolwirkung, die von der Personalie ausging: Denn wenn die selbsterklärten Liberalen nicht einmal die linksideologischste Personalie von allen verhindern wollen, was bleibt dann vom Markenkern noch übrig? Wie glaubwürdig kann eine Politik sein, die, jenseits jeden Kompromisszwangs, Politiker in Ämter katapultiert, die für sehr vieles stehen, was die eigene Wählerschaft im Kern verachtet? Auch hier ähneln sich Ataman und Brosius-Gersdorf, denn die Argumente, die nun bemüht werden, gleichen sich auffällig: Es handele sich nur um eine Personalie, heißt es, die wenigsten Menschen in Deutschland würden die aufgestellten Personen überhaupt kennen – und ohnehin sei man ja auch an seinen Koalitionspartner gebunden.

Ataman dürfte, bei allen Versuchen, die „postmigrantische Gesellschaft“ in einem Bundesamt zu gestalten, dabei nicht ansatzweise so mächtig und einflussreich sein wie eine Verfassungsrichterin, die womöglich auch für den Vorsitz infrage kommt und zu einer juristischen Schlüsselfigur für die nächsten Jahre würde.

Von der Personalie der Verfassungsrichterin dürfte die Glaubwürdigkeit der Union abhängen.

Wer die Personalie kleinredet und die Wahl wie eine Petitesse betrachtet, handelt fahrlässig: Ungeachtet des Bekanntheitsgrades der Juristen ist die Personalie nämlich ein Seismograf, der Beobachter und Wähler erkennen lässt, wie ernst es die Union mit ihren Versprechen nimmt. Und Integrität ist in dieser Gleichung kostbar. Ohne sie droht Glaubwürdigkeitsverlust – und eine Angriffsflanke, die sich jedes Mal aufs Neue öffnet, wenn das Verfassungsgericht politisierte Entscheidungen trifft.

Am Montag kündigte erst Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) an, dass seine Fraktion die Personalie mittragen würde. Aus Fraktionskreisen hieß es am Nachmittag, dass es 50 bis 60 Unionsabgeordnete gebe, die Brosius-Gersdorf verhindern wollten. Insbesondere in ostdeutschen sowie dem baden-württembergischen Landesverband sei Kritik an der Rechtsprofessorin laut geworden. Vorausgegangen war eine „intensive Diskussion“ zu der Kandidatin innerhalb der Fraktion.

Der Richterwahlausschuss des Bundestags hat am Montagabend derweil der Juristin Frauke Brosius-Gersdorf seine Empfehlung für die Wahl als Bundesverfassungsrichter ausgesprochen. In einer geheimen Abstimmung stimmten acht der zwölf Ausschussmitglieder für die Kandidatin, drei dagegen, ein Abgeordneter enthielt sich.

Der Fraktionsvorstand der Union verstehe Bedenken, hieß es unterdessen aus Unionskreisen, man habe aber mit der SPD einen Kompromiss vereinbart und sicherte der SPD die Personalie zu, wenn diese im Gegenzug davon absehe, Brosius-Gersdorf im Bundesrat als Kandidatin für die Vizepräsidentschaft aufzustellen.

Der Kompromiss ist faul und schon die Nominierung ein Skandal. Die Zahl der Abweichler in der Union dürfte derweil am Donnerstag entscheidend für die Kredibilität jedwedes Politikwechsels sein, welchen die Union durchsetzen will. Die Mehrheitsverhältnisse, um Brosius-Gersdorf zu verhindern, scheinen denkbar knapp: Wenn weniger als 57 Unionsabgeordnete ihre Stimmen für Brosius-Gersdorf verweigern, könnte sie durchkommen – und die politische Linke bekäme eine prominente Position in Karlsruhe. Es bleibt zu hoffen, dass CDU und CSU wissen, was auf dem Spiel steht.

Auch bei NIUS:Noch eine Merz-Wende: Von „Links ist vorbei!“ zu „‚Demokratie leben!‘ setzen wir fort“

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