„Freiheitsdienst“: Wie man mit einer Schnapsidee Schlagzeilen macht

vor 28 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

In dem Moment, da Sie, lieber Leser, diese Zeilen inhalieren, leben etwa 54 Millionen Menschen in Deutschland, die zwischen 18 und 67 Jahre alt sind. Und sie alle bilden die Zielgruppe für den sogenannten „Freiheitsdienst“.

So nennt unsere politische Klasse seit neuestem die allgemeine Wehrpflicht samt Ersatzdienst. Täglich versuchen die üblichen Verdächtigen, den Bürgern das alte Konzept unter dem neuen Namen schmackhaft zu machen. Jetzt hat sich Eva Högl von der SPD zu Wort gemeldet: Die Wehrbeauftragte des Bundestages lässt ausrichten, dass sie den Vorschlag „sehr, sehr gut“ findet.

Damit nimmt die Diskussion weiter an Fahrt auf. Ursprünglich hatte Katharina Schulze die Idee in die Debatte eingeführt. Die Vorsitzende der grünen Mini-Fraktion im bayerischen Landtag hatte vorgeschlagen, dass alle Frauen und Männer irgendwann zwischen dem 18. und dem 67. Lebensjahr sechs Monate Dienst „an der Gesellschaft“ ableisten sollen.

Ihren Einsatzbereich sollen sich die dienstverpflichteten Bürger immerhin selbst aussuchen können: Bundeswehr, Bevölkerungsschutz, Feuerwehr, Hilfsorganisationen – oder „Gesellschaftsdienst“. Damit dürften auch vom Staat abhängige „Nicht-Regierungs-Organisationen“ (NGOs) gemeint sein.

Die Idee findet immer mehr Anhänger bei den sogenannten Volksvertretern von CDU, CSU, SPD und Grünen. Das ist ein untrügliches Indiz dafür, dass sie nichts taugt.

Ein wichtiger Grund für die galoppierende Entfremdung der Politiker von den Bürgern ist sicherlich die Sprache. Allzu offensichtlich werden Dinge mit Wortschöpfungen aus der PR-Hölle rhetorisch in ihr Gegenteil verkehrt: „Sondervermögen“ für eine historische Schuldenorgie zum Beispiel. Durch so etwas fühlt sich das Volk völlig zurecht plump belogen.

Genauso ist mit dem „Freiheitsdienst“. Denn der schränkt die Freiheit der Bürger, über ihre bekanntlich begrenzte Lebenszeit selbstbestimmt zu verfügen, ja erheblich ein.

Das Konzept ist also das Gegenteil dessen, was es zu sein vorgibt.

Und genau wie beim „Sondervermögen“ versteckt sich auch hinter dem neuen hübschen Werbebegriff ein Berg von gedanklichen und auch ganz praktischen Problemen. Sechs Monate soll man kein Geld verdienen – sondern, wie Eva Högl es ausdrückt: „etwas für die Gesellschaft tun“.

Diese Formulierung aus dem Mund einer komplett steuerfinanzierten Berufspolitikerin ist eine einzige Unverschämtheit. Berufstätige Menschen, die morgens zur Arbeit gehen, an der Wertschöpfung mitwirken, Steuern und Abgaben zahlen und womöglich sogar noch eine Familie gründen und versorgen: Das sind diejenigen, die schon jetzt mehr als genug „für die Gesellschaft tun“.

Die Idee, die viele jetzt spontan bejubeln, ist so unausgegoren wie praktisch alles, was unser Politikbetrieb derzeit produziert. „Schon abgeleistete Dienste“ und „bestimmte ehrenamtliche Tätigkeiten“ sollen angerechnet werden. Wer die vorweisen kann, wird also vom „Freiheitsdienst“ befreit.

Doch was genau damit gemeint ist, bleibt weitgehend im Dunkeln. Mitglieder einer Freiwilligen Feuerwehr dürften recht sicher nicht eingezogen werden. Wer schon ein soziales Jahr absolviert hat, wohl auch nicht. Aber was ist mit ehrenamtlichen Jugendtrainern in Sportvereinen, deren zeitliches Engagement sich locker auf eine Halbtagsstelle summiert? Haben die schon genug „für die Gesellschaft“ getan? Und was ist mit freiwilligen Menschenschleppern – pardon: Seenotrettern? Oder mit Klimaklebern? Oder „Omas gegen rechts“? Oder Menschen in Wahlämtern in politischen Parteien?

Auch die Finanzierung ist komplett ungeklärt. Werden Angestellte für den „Freiheitsdienst“ vom Arbeitgeber freigestellt, oder müssen sie etwa ihre Urlaubstage hergeben? Wer zahlt Selbstständigen den Verdienstausfall? Oder gehört auch dieses finanzielle Sonderopfer halt mit dazu, wenn man etwas „für die Gesellschaft“ tut?

So richtig lustig wird es, wenn man das Thema von der logistischen Seite her anfliegt.

Als Deutschland noch eine Wehrpflicht hatte, gab es bundesweit insgesamt 52 Kreiswehrersatzämter und sieben Musterungszentren. Dort wurden die Wehrpflichtigen gemustert; ihre Wehrtauglichkeit und ihre Verwendungsfähigkeit wurden festgestellt; die tauglich Gemusterten wurden psychologisch untersucht; zusätzlich wurden dort die Bewerber für den Freiwilligen Wehrdienst eingeplant und einberufen.

Als Deutschland Ende 2010 die Wehrpflicht „aussetzte“, also de facto abschaffte, waren bei den Kreiswehrersatzämtern etwa 3.800 Beamte und andere Mitarbeiter beschäftigt. Sie waren für knapp 46.000 Grundwehrdienstleistende und Freiwillige jährlich zuständig. Auf einen Bearbeiter kamen also zwölf Wehrpflichtige.

Den „Freiheitsdienst“ sollen 54 Millionen Menschen ableisten. Beim selben Personalschlüssel wie zu Wehrpflicht-Zeiten bräuchten die wiederzubelebenden Kreiswehrersatzämter dann 4,5 Millionen neue Mitarbeiter.

Nun ja, wird man einwenden: Die 54 Millionen werden sich ja nicht alle im selben Jahr zum Dienst melden. Das stimmt wohl. Aber wann man den Dienst ableistet, soll ja jeder Bürger ausdrücklich komplett selbst entscheiden dürfen. Der Bund käme also nicht umhin, Bearbeiter in beachtlicher Zahl vorzuhalten.

Und mehr als 46.000 Freiheitsdienstleistende pro Jahr werden es in jedem Fall sein – denn sonst bräuchte man entspannte 1.174 Jahre, bis 54 Millionen Menschen etwas „für die Gesellschaft getan“ haben.

Irgendwo wird man all die Zwangsverpflichteten auch unterbringen müssen. Derzeit hat die Bundeswehr 271 Standorte für knapp 182.000 Soldaten. Sollte sich nur jeder zehnte Bürger in seinem „Freiheitsdienst“ für den Dienst an der Waffe entscheiden, bräuchte die Truppe schlappe 8.000 neue Kasernen.

Die Idee, die unsere Politiker im Moment so bejubeln, ist bei wohlwollender Betrachtung albern. Bei kritischer Betrachtung ist sie absurd. Wenn Katharina Schulze und Eva Högl selbst mal „etwas für die Gesellschaft tun“ wollen, hätten wir da einen Vorschlag:

Nachdenken wäre nicht schlecht.

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