
Friedrich Merz steht unter massivem Druck: Nach seinem Wortbruch in der Schuldenfrage, dem Streit um mögliche Steuererhöhungen und einem Einknicken in der Migrationsfrage vor der SPD, schmiert die Union in Umfragen auf 25 Prozent ab (-3,6 Punkte seit der Wahl) und liegt nur noch ein Punkt vor der AfD.
Die entscheidende, weil viel leichter zu beantwortende Frage für die Glaubwürdigkeit von Friedrich Merz ist jedoch die A-Frage, die Frage nach einem Fortbetrieb der kürzlich abgeschalteten Atomkraftwerke in Deutschland: Setzt die Union durch, dass Deutschland wieder auf günstigen, sicheren und sauberen Strom aus Atomkraftwerken setzt, um Energie günstiger zu machen?
An dieser Frage zeigt sich, ob Merz sich wenigstens bei der wirtschaftlich rationalen Frage nach einer günstigen und zuverlässigen Energieversorgung durchsetzen kann. Zahlreiche Experten halten eine schnelle Reaktivierung für kostengünstig möglich. Und anders als beim Streit um Migration und Steuererhöhungen spielen menschliche Einzelschicksale oder noch so weit hergeholte Verweise auf die deutsche Geschichte keine Rolle.
Es geht um eine in der technischen Umsetzung sehr einfache Frage: an oder aus?
Die Union will einen Fortbetrieb der Kernkraft wenigstens prüfen und den Rückbau stoppen – die SPD stellt sich quer.
Ohne jeden Zweifel: Die hohen Energiepreise sind der größte Wettbewerbsnachteil in Deutschland, gerade für die so wichtige Industrie. Deutschlands Privat-Haushalte bezahlen die höchsten Strompreise weltweit, auch beim Industriestrompreis liegt Deutschland in der traurigen, weil teuren Spitzengruppe. 120.000 Industrie-Arbeitsplätze sind im vergangenen Jahr bereits verschwunden, Unternehmen verlassen das Land, schrauben ihre Produktion zurück oder verschwinden ganz vom Markt.
Diesem Problem will die mögliche schwarz-rote Regierung unter Kanzler Merz auch begegnen: Jedoch wollen Union und SPD die infolge der sogenannten „Energiewende“ und des Atom-Ausstiegs explodierten Strompreise künstlich und mithilfe von Milliarden-Subventionen wieder vergünstigen. Bedeutet: Mit Steuergeld soll der Strompreis künstlich verbilligt werden, der über mehr als 20 Jahre und mithilfe der Steuergeld-finanzierten „Energiewende“ verteuert worden ist.
Eine Reaktivierung von mindestens drei, möglicherweise sogar sechs oder neun Kernkraftwerken, die das Stromangebot massiv ausweiten und die Strompreise so nachhaltig senken könnte, wie es Experten wie etwa die Wirtschaftsweise Prof. Veronika Grimm ausgerechnet haben, rückt entgegen den Wahlkampfversprechen von CDU und CSU jedoch in immer weitere Ferne. Die SPD stellt sich quer – und auch Merz scheint nicht daran zu glauben.
Wasserdampf steigt aus dem Kernkraftwerk Isar 2. Es ist im April 2023 abgeschaltet worden.
„Wir können zurzeit nicht auf die Option Kernkraft verzichten“, hieß es noch im Grundsatzprogramm der CDU. Im Wahlprogramm von CDU und CSU ist versprochen worden, „die Wiederaufnahme des Betriebs der zuletzt abgeschalteten Kernkraftwerke“ zu prüfen. In den Verhandlungspapieren der möglichen Koalition ist diese Unions-Forderung zwar noch vorhanden, jedoch in eine eckige Klammer gesetzt, was bedeutet, dass die SPD das anders sieht.
Heißt: Die Streitfrage wandert in die Gruppe der Spitzenverhandler um die Parteichefs Friedrich Merz und Lars Klingbeil.
Merz war jedoch bereits im Wahlkampf von der „Wir können zurzeit nicht auf die Option Kernkraft verzichten“-Position abgerückt: „Die Chance, diese drei Kernkraftwerke wieder zurück ans Netz zu nehmen, die sinkt von Woche zu Woche. Die werden abgebaut, die werden dekontaminiert, da ist wahrscheinlich nichts mehr zu machen“, hatte er beim CDU-Sozialflügel CDA gesagt.
Führende Experten und Kerntechnik-Konzerne sehen das anders, halten sogar eine schnelle Reaktivierung von bis zu sechs Kernkraftwerken für schnell möglich:
„Als Erbauer der deutschen Kernkraftwerke ist Framatome mit den Anlagen vertraut und verfügt über die Kompetenzen, um die notwendigen Schritte zu einer sicheren Wiederinbetriebnahme der Anlagen umzusetzen“, sagte Carsten Haferkamp, Geschäftsführer von Framatome der Welt. Auch der Chef des AKW-Unternehmens Westinghouse Electric Germany bestätigte der Zeitung, dass das kein Problem sei: „Der Neustart von Kernkraftwerken ist bereits vor 2030 möglich – ohne Abstriche bei der nuklearen Sicherheit.“ Auch die Versorgung mit Brennelementen sei kein Problem, heißt es vom Uran-Anreicherer Urenco.
Wie Cicero aus einem Schreiben an Bayerns Ministerpräsident Markus Söder berichtet, seien die Mitarbeiter der abgeschalteten AKW, etwa im Kraftwerk Isar 2, weiterhin motiviert – anders als ihre Konzernchefs: „Auch wenn unser Konzern nach außen hin einen Weiterbetrieb derzeit nicht unterstützt, so sind die Mitarbeiter vor Ort hoch motiviert, diese Anlage unter Einhaltung aller Regelwerke so schnell wie möglich wieder ans Netz zu bringen“, heißt es da.
Eine Studie des Energieberatungsunternehmens Radiant Energy Group zeigt sogar, dass bis zu neun Kernkraftwerke in den kommenden Jahren wieder ans Netz gehen könnten.
„Weltweit werden regelmäßig große Reparaturen an Kernkraftwerken durchgeführt, sodass auch mehrere deutsche Kernkraftwerke schnell wieder in Betrieb genommen werden könnten. Dies allein könnte den Unterschied ausmachen, ob Deutschland in der Rezession verbleibt oder zum Wachstum zurückkehrt, und zudem das Vertrauen der Wirtschaft in das Land wiederherstellt“, erklärt Mark Nelson von Radiant Energy Group, der Co-Autor der Studie ist, gegenüber NIUS.
Grüne Punkte sind Kernkraftwerke, die schnell wieder in Betrieb genommen werden können, blaue Punkte entsprechen Kraftwerken, die bis 2032 wieder Strom liefern könnten.
Das Kraftwerk Brokdorf könnte demnach schon 2025 und mit Kosten von weniger als 1 Milliarde Euro wieder ans Netz gehen und bis zu 10 Terawattstunden saubere Energie liefern, Emsland und Grohnde könnten in drei und vier Jahren folgen und je weitere 10 Milliarden Kilowattstunden Strom liefern. Weitere sechs Reaktorblöcke – Gundremmingen B & C, Isar 2, Krümmel, Neckarwestheim 2 und Philippsburg 2 – könnten bis 2032 folgen und weitere insgesamt 66 Milliarden Terawattstunden produzieren.
Insgesamt 96 Milliarden Kilowattstunden Strom entsprechen dem Verbrauch von 32 Millionen Haushalten, mehr als 20 Prozent des Stromverbrauchs in Deutschland oder mehr Strom als alle Solaranlagen in Deutschland im Jahr 2024 produziert haben. Und dieser Strom stünde planbar und verlässlich Tag und Nacht zur Verfügung und nicht nur dann, wenn das Wetter mitspielt.
Der Physiker und Energieökonom Dr. Björn Peters glaubt, dass Deutschland kaum günstiger an Strom kommen kann: „Fakt ist: Es handelt sich hierbei nicht um eine technische Frage, die Reaktivierung ist möglich. Es ist allein eine juristische Frage, ob die Politik die Stromerzeugung mit Kernkraft gestattet oder nicht. Mit rund 20 Milliarden Euro könnte man neun Kernkraftwerke zeitnah in den Leistungsbetrieb zurückzubringen. Das sind mehr als 10 Gigawatt Leistung – billiger und einfacher wird es nicht“, so Peters zu NIUS.
Geld wäre dank der Schulden-Orgie noch im alten Bundestag da: 100 Milliarden Euro des insgesamt 500 Milliarden Euro schweren Sondervermögens sind für die Erreichung der Klimaneutralität 2045 vorgesehen, wie es nun im Grundgesetz steht. Strom aus Atomkraftwerken gilt als quasi CO2-frei.
Dr. Björn Peters, Physiker und Energieökonom
In der Union wie auch in der Öffentlichkeit nimmt Peters weiterhin eine Sympathie für die sogenannte „Energiewende“ wahr. Was ihm Hoffnung macht, ist jedoch ein Wort: „Das Wort ‚Neustart‘ bei der Energiewende, das CDU und CSU gerne in den Koalitionsvertrag aufnehmen möchte, stimmt mich positiv, dass es doch zu einer Einsicht kommen könnte. Viel wird über Kernkraftwerke der vierten und fünften Generation oder gar über Kernfusion gesprochen. Aber das wäre der vierte vor dem ersten Schritt: Am einfachsten ist es, die vorhandenen Kraftwerke zu reaktivieren oder an den Standorten alter Kernkraftwerke die vorhandenen Techniken zu installieren.“
Positiver Nebeneffekt einer AKW-Reaktivierung: die Notwendigkeit, das Stromnetz mit gigantischen Kosten von 500 Milliarden Euro umzubauen, würde bedeutend kleiner und somit kostengünstiger werden.
Peters wörtlich: „Der Netzausbau ist wesentlich davon getrieben, dass wir hemmungslos und gedankenlos die wetterabhängigen Energien weiter ausbauen, denn die funktionieren nur mit gigantischen Investitionen in die Netze. Je mehr grundlastfähige Großkraftwerke am Netz sind, desto geringer wird der Aufwand, das Netz an die vielen kleinen wetterabhängigen und oft nicht steuerbaren Stromerzeuger anzupassen. Und das gesparte Geld könnte dann wieder in neue AKW-Projekte fließen, was die Netzausbau-Kosten senken könnte und so weiter.“
Die A-Frage ist, anders als Steuer- oder Migrationsthemen, die immer wieder mit persönlichen Schicksalen emotionalisiert werden, eine rein technische Frage, die keine persönliche Betroffenheit einzelner zur Folge hätte. Es geht schlicht um die Frage: Will man vom Plan der sogenannten „Energiewende“ abweichen und die Kernkraft als zuverlässige und kostengünstige Stromquelle zurückholen und gar fortentwickeln oder nicht? Sie ist im Vergleich zum Steuerstreit oder der angekündigten Migrationswende die deutlich einfachere (und mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft die nicht minder wichtige) Frage, an der sich zeigen wird, ob Friedrich Merz sich überhaupt gegen die 16,4-Prozent-Partei SPD durchsetzen kann – oder ob er jede Kröte zu schlucken bereit ist, Hauptsache er wird Bundeskanzler.
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