
Viele Kanzler verlieren das Vertrauen ihrer Wähler im Amt – Friedrich Merz schafft es, noch bevor er überhaupt Kanzler ist. Sein Wortbruch bei den Schulden und sein Kurswechsel nach grün-links so kurz nach der Wahl ist historisch – doch Merz tut so, als begreife er die Aufregung gar nicht.
In der Bild am Sonntag liest man, wie entspannt Merz über seinen Wähler-Betrug spricht. „Ich habe schon vor der Wahl gesagt: Man kann über eine Änderung der Schuldenbremse sprechen. Nur wenige Artikel sind veränderbar. Aber: Wenn wir es tun, müssen wir die Schuldenbremse dahingehend ergänzen, dass wir dann wirklich Investitionen ermöglichen. Ich habe das immer mal wieder – auch intern zu meinen Kollegen – gesagt: Lasst uns mal nicht zu sehr darauf fixiert sein, dass wir sie nie und nimmer ändern. In unserem Leben ist nichts für die Ewigkeit.“
Warum regt ihr euch auf? Ich hab’s doch schon immer gesagt! Bemerkenswert offen räumt Merz damit – ganz nebenbei – seine erste unwahre Rechtfertigung ab, die oft beschworene „veränderte Weltlage“ habe ihn zu seiner 180-Grad-Wende gezwungen. In Wahrheit erörterte er diese Idee schon viel länger, wie er nun auch zugibt.
Der Stern hatte Merz planvollen Wortbruch bereits über Monate rekonstruiert (Apollo News berichtete) und damit belegt, dass die plötzliche Kursänderung Anfang März nichts mit einer „plötzlichen“ Erschütterung durch den Oval-Office-Eklat zwischen Trump, Vance und Selenskyj zu tun hatte, wie Merz und die CDU im Anschluss behaupteten. Merz änderte seine Meinung – und hielt diesen Sinneswandel monatelang so gut wie geheim, um weiter mit dem Image des Fiskalkonservativen Wahlkampf machen zu können.
Nicht wenige Menschen wählten Merz und die Union vermutlich auch deswegen, weil sie Habeck und die Ampel für ihre uferlose Schuldenpolitik attackierten. Die Rhetorik der Union jedenfalls zahlte voll darauf ein – alles Schall und Rauch und Schnee von gestern. Millionen Wähler wurden veräppelt und stehen als die Dummen da. Friedrich Merz hat derweil gut lachen und ruft ihnen hämisch hinterher: Seid ihr blöd? Ich hab’s euch doch gesagt!
Von Wählertäuschung will Merz nichts wissen. Er nehme diesen Vorwurf zwar ernst, behauptet er – „aber ich halte ihn nicht für gerechtfertigt“. Wie dreist – das ist der Gipfel der Unverschämtheit. Denn Friedrich Merz hat die Wähler sehr wohl getäuscht und sollte sich und uns jetzt zumindest noch die Dreistigkeit ersparen, das im Nachgang zu leugnen. Womit er allerdings recht haben mag: Die Zeichen für seinen großen Betrug konnte man in der Tat schon absehen.
In der Vergangenheit hatte die Union Grundgesetzänderungen bei der Schuldenbremse öffentlich immer wieder ausgeschlossen. „Wir halten an der Schuldenbremse des Grundgesetzes fest. Die Schulden von heute sind die Steuererhöhungen von morgen“, heißt es im Wahlprogramm. Friedrich Merz betonte seine vermeintliche Standfestigkeit bei der Schuldenbremse immer und immer wieder.
„Die Schuldenbremse, so wie sie im Grundgesetz angelegt ist, ist richtig“, sagte er beispielsweise am 5. Juli 2024 in der ARD. „Wir nehmen Tausend Milliarden Euro Steuern ein im Jahr – eine Billion. Und damit sollen wir nicht auskommen?“, fragte Merz im Dezember bei Maischberger, als er erklärte, warum er bei der Schuldenbremse „so klar“ sei.
Doch die Anzeichen, dass Merz das alles gar nicht so ernst meinte, waren da. „Selbstverständlich kann man das reformieren“, sagte er zur Schuldenbremse im November auf einer Veranstaltung der Süddeutschen Zeitung. Aber am nächsten Tag rückt CDU-Generalsekretär Linnemann das alles wieder gerade – scheinbar zumindest. Im Rückblick könnte Merz diese Fährten gar selbst gelegt haben, um seinen planvollen Wortbruch später rechtfertigen zu können.
Und als Merz den argentinischen Reformer Milei in Bausch und Bogen verdammte und daherredete, dieser „ruiniere das Land“, offenbarte er, dass eine wirkliche Strukturreform mit ihm nicht zu machen ist. Jetzt auch jetzt hat er sich lieber für den schnellen und schädlichen Weg des billigen Geldes entschieden als für den harten, aber notwendigen Weg der Haushaltskonsolidierung und der Strukturreform. Da hat er recht: Das war absehbar. Die massive Verschuldungs-Orgie hat letzteres für seine Regierung nicht mehr notwendig gemacht und ihm alle Möglichkeiten gegeben, das Problem ganz im Stile Angela Merkels aufzuschieben.
Am selben Abend, an dem er so uninformiert über Milei daherredete, schloss er Habeck als Wirtschaftsminister nicht aus. Mittlerweile sind wir darüber hinaus, Friedrich Merz hat er Habeck in der Sache zum Finanzminister und eigentlich zum Kanzler gemacht. Wie umfangreich, unmittelbar und dreist Merz seinen totalen Kurswechsel am Ende vollziehen würde – damit hatten selbst die größten Merz-Kritiker nicht gerechnet, das hatten selbst die lautesten Unkenrufe nicht prophezeit.
Dass er jetzt aber auch noch von Vorwürfen wie „Verrat“ und Wähler-Betrug nichts wissen will, ist der Höhepunkt der Dreistigkeit. Dabei ist beides fast noch wohlwollend formuliert im Angesicht dieses historischen Betruges und Wortbruches, den die Union abgeliefert hat.
Sie wird es bitter büßen müssen, wenn es noch sowas wie politische Gerechtigkeit gibt. Friedrich Merz derweil offenbart mit seinem nonchalanten Abwatschen der berechtigten Kritik nur noch mehr, wie egal ihm seine Wähler schon jetzt sind. 28,5 Prozent? Das war noch ein unverdient gutes Ergebnis, wenn man ihn so reden hört.