
Politische Prognosen sind schwierig. Ein Vorteil einer wöchentlichen Kolumne ist jedoch, dass in ihr niedergeschriebene Vorhersagen sich gelegentlich als richtig herausstellen. So schrieb ich in meiner Kolumne nach dem Erscheinen der schwarz-roten Sondierungsergebnisse: „Schwarz-Rot hat es vollbracht, programmatisch in wenigen Tagen gescheitert zu sein. Keine Kehrtwende in der verhängnisvollen Sozialpolitik. Keine Kehrtwende in der wohlstandsvernichtenden Wirtschaftspolitik. Keine Kehrtwende in der gescheiterten Energiepolitik.“
Zugegeben, so schwer war es nun auch nicht, das damalige Sondierungspapier als schlechtes Programm zu durchschauen. Schließlich reichte dafür die Fähigkeit zum sinnerfassenden Lesen. Viele gutgläubige Menschen, privat wie öffentlich, klammerten sich damals allerdings an den letzten Strohhalm: „Warten wir doch erstmal die ersten 100 Tage ab, jeder hat eine Chance verdient.“
Die 100 Tage werden in dieser Woche vorbei sein. In dieser Zeit haben Schwarz-Rot und vor allem Friedrich Merz alles dafür getan, um mich entnervt schreiben zu lassen: Reicht dann auch schon wieder.
Die späteren Koalitionäre stellten im März ihr Sondierungspapier vor.
Die desaströsen Lebenslügen der deutschen Politik der letzten 20 Jahre wurden nicht nur nicht überwunden oder wenigstens nur weiter verwaltet, sondern verschärft und mit neuen Lebenslügen ergänzt. Das die jungen Generationen ausbeutende und Geld verbrennende Rentensystem wird noch mal verschlimmert. Im Jahr 2029 sind laut dem schwarz-roten Rentenplan 80 Milliarden Euro mehr für die Rente, einschließlich der Krankenversicherung, eingeplant. Tragen soll diese Kosten der Bundeshaushalt, der auch so schon Milliardenlücken aufweist.
Das Rentenniveau von 48 Prozent wird bis 2031 gesichert, der Rentenbeitragssatz wird stärker ansteigen als gedacht. Dazu kommt die Ausweitung der Mütterrente. Wenn sogar die ARD-Tagesschau einen Kommentar zu dieser Rentenpolitik mit dem Titel „Ein Vertrag funktioniert nur, wenn er fair ist“ veröffentlicht, sollte selbst der letzte Optimist ins Grübeln kommen.
Wer das alles bezahlen soll? Natürlich die florierende deutsche Wirtschaft mit ihren Steuerzahlern. Blöd nur, dass die Wirtschaft für das Stopfen des 172-Milliarden-Euro-Lochs um sieben bis neun Prozent wachsen müsste. Um sieben bis neun Prozent mehr also, als sie es in den letzten Jahren getan hat und in den nächsten Jahren realistisch tun wird.
Aber keine Sorge, die Bundesregierung wird mit massiven Steuerentlastungen gewiss ein neues Wirtschaftswunder herbeiführen. Die CDU hat dahingehend gute Neuigkeiten für uns! „Wir entlasten die breite Mitte!“, postete die Partei am 6. August stolz auf X. Die Gasspeicherumlage werde abgeschafft. Ein Vier-Personen-Haushalt spare dadurch, jetzt bitte festhalten, unglaubliche „30 bis 60 Euro im Jahr!“
62 Cent bis 1,25 Euro pro Monat pro Person – dafür gibt es heute nicht einmal mehr eine Kugel Eis. Damit dürften Rezession und Stagnation endgültig besiegelt sein. Nun gut, man darf nicht zu streng sein, immerhin hat die schwarz-rote Regierung nur Schulden im Billionenbereich gemacht – der größte und schnellste Wählerbetrug aller Zeiten durch die Union. Da bleibt eben kein Platz für echte Entlastungen.
Es werden also fröhlich Schulden gemacht, der Nanny-Staat wird weiter aufgebläht, der Steuerzahler wird weiter ausgenommen, gebrochene Wahlversprechen werden so konsequent wie schambefreit durchgezogen. Auf eine Art könnte das als konservative Politik interpretiert werden, leider ist der konservierte Zustand des hemmungslosen Etatismus ziemlich unerträglich.
Doch Friedrich Merz wäre nicht Friedrich Merz, wenn er sich mit der Verwaltung und Expansion des Merkel-Scholz-Erbes begnügen würde.
Lars Klingbeil und Friedrich Merz suchen weiterhin nach Geld für ihren Haushalt.
Ganz beiläufig entledigt sich der Meisterstratege der wirklich allerletzten Grundprinzipien der CDU. Im Deutschen Bundestag bejahte er die Frage von Beatrix von Storch, ob er guten Gewissens eine Frau zur Bundesverfassungsrichterin erklären könne, die vor der Geburt keine Menschenwürde sieht und Abtreibungen vor der Geburt für rechtlich zulässig hält. Ganz beiläufig und ohne die Involvierung seiner Partei stoppte er die Waffenlieferungen an Israel.
Als am 7. Oktober 2023 Hamas-Fans zur „Feier des Tages“ Bonbons in der Berliner Sonnenallee verteilten, war die Empörung noch groß. Nun verteilt Friedrich Merz mit seiner unsäglichen Koalition politische Bonbons nicht an Berliner Zivilisten, sondern an die Hamas-Terroristen. Eine Belohnung für das Durchhalten, für das Verstecken hinter Zivilisten, für das Behalten von Geiseln. Begründet wird das von Merz unter anderem mit der Angst vor Ausschreitungen in Deutschland: „Diese Eskalation trägt auch zur Verschärfung gesellschaftlicher Konflikte in Deutschland und Europa bei, die wir auch im Sinne unserer Verpflichtung gegenüber dem Staat Israel vermeiden müssen.“
Im Klartext: Sich verteidigende Juden sind schuld am Antisemitismus in Deutschland. Ein historischer Bruch mit der Unionslinie, ein historisches Einknicken vor islamistischen Terroristen, ein moralischer Abgrund. Der Oppositions-Merz hätte so einen Vorgang bei Olaf Scholz genüsslich zerlegt und als Beleg für dessen fehlende Eignung als Bundeskanzler gesehen.Grundlegend lag ich im März richtig mit meiner Beurteilung des Sondierungspapiers, diese geistig-moralischen Fehlleistungen hätte ich mir allerdings nicht vorstellen können. Die meisten CDU-Mitglieder, die für Friedrich Merz Wahlkampf gemacht haben, wohl auch nicht.
Gäbe es eine Probezeit für Bundeskanzler, nach deren Vollendung sie nochmals eine Mehrheit im Parlament bekommen müssten, Friedrich Merz wäre in ein paar Tagen kein Bundeskanzler mehr. Wofür Angela Merkel zehn Jahre brauchte, schaffte der als Anti-Merkel gestartete Merz in drei Monaten: den Bruch mit sämtlichen Wahlversprechen und Prinzipien sowie die Offenlegung der eigenen Inkompetenz.
Ich habe wenig Lust, mir diese Koalition, diese erkenntnisbefreiten Gesichter, diese hilflosen Sätze und diese lernresistente Politik vier Jahre lang antun zu müssen. Nach nicht einmal 100 Tagen ist schon alles klar. Friedrich Merz kann es nicht. Schwarz-Rot kann es nicht. Die Wähler wurden insbesondere von der Union betrogen. Nicht umsonst befinden sich die Zufriedenheitswerte dieser Regierung in allen Umfragen im Keller. Schwarz-Rot hat jetzt schon keine Legitimation mehr.
Können wir uns die nächsten Jahre nicht ersparen? Müssen wir dem Zug wirklich in Zeitlupe beim Entgleisen zusehen? Das ist doch würdelos. Bei der letzten Forsa-Umfrage mit der Fragestellung „Welcher Partei trauen Sie zu, mit den Problemen in Deutschland am besten fertigzuwerden?“ antworteten 51 Prozent der Befragten mit „Keiner Partei“. Vielleicht sollten wir diese „Keine Partei“ mal regieren lassen. Einen Versuch ist es wert.
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