Friedrich Merz mit dem Rücken zur Wand – wird das noch was?

vor etwa 2 Monaten

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Jeder Kanzler hat ein Schlagwort, das seine Kanzlerschaft geprägt hat. Konrad Adenauer prägte mit „Keine Experimente!“ das Selbstverständnis der CDU. Angela Merkel riss es mit „Wir schaffen das“ ein. Merz‘ Motto ist schon jetzt: „Whatever it takes“. Soll heißen: Was immer nötig ist, damit Friedrich Merz ins Kanzleramt kommt.

Am heutigen Donnerstag beginnen die Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD – und eigentlich hat Friedrich Merz schon weitgehend kapituliert. Beim Haushalt ist er vorsätzlich und geplant umgefallen (Lesen Sie hier mehr) und hat die noch im Wahlkampf kommunizierte harte Linie der Union bei Schuldenbremse und Haushaltspolitik vollkommen einkassiert. Und auch mit Blick auf Migration verdichten sich Anzeichen, dass nach der „Wirtschaftswende“ jetzt auch eine „Migrationswende“ abgesagt wird.

Schon im Sondierungspapier heißt es, man werde „in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn“ zurückweisen – was viele schon als Giftpille und de-facto-Ende jeder echten Zurückweisung interpretierten. In jedem Fall war mit diesem Satz schon Merz‘ Wahlkampfversprechen, „am ersten Tag“ „ausnahmslos alle“ illegalen Einreisen zurückzuweisen, gestrichen worden. Die SPD betonte im Vorlauf zu den Koalitionsgesprächen, man werde Zurückweisungen nicht umsetzen. Boris Pistorius erzählt seinen Genossen großspurig, die im Sondierungspapier vereinbarten Maßnahmen und das Ziel der „Begrenzung“ der Migration seien „ein Placebo“ – „das hat null Wirkung. Gar keine.“ Man habe die CDU ausgespielt.

Und so wirkt es auch. Schon jetzt hat Merz mit seiner Union das Feld geräumt – zur Fassungslosigkeit seiner eigenen Partei und seiner treuesten Anhänger. Er hat die Glaubwürdigkeit der Union nach Merkel bruchstückhaft aufgebaut, um sie aktuell wieder komplett einzureißen. Bereits jetzt ist der Schaden immens und kaum wieder zu reparieren. Bevor die wirklichen Koalitionsverhandlungen überhaupt angefangen haben, haben Klingbeil und die SPD Merz und die Union bereits an die Wand gespielt.

Aus der eigenen Fraktion wurde das Sondervermögen Infrastruktur als „lausig verhandelt“ verdammt, die Abgeordneten schlugen im Angesicht des SPD-Durchmarsches die Hände über dem Kopf zusammen (Apollo News berichtete). Danach wurde es nicht besser. Auch dezidierte Merz-Anhänger drücken massive Frustration aus, einige haben den einstigen Hoffnungsträger schon aufgegeben.

Merz verstolperte den Neustart der CDU – jetzt verstolpert er auch den Start seiner Kanzlerschaft und den Neustart für Deutschland. In der Fiskalpolitik hat er schon jetzt seine historische Rolle als Präger eines Jahrzehnts der sozialdemokratischen Verschuldungs- und Ausgabenpolitik sicher. Und bei der Migrationspolitik? Da geht es für Deutschland um viel, aber für die Union um alles. Den Wählern und auch der Basis wird man das Umfallen in doch vergleichsweise abstrakten, finanzpolitischen Fragen viel eher verkaufen können als ein Umfallen in der Migration – im Zweifel war das Eine halt der Preis für das Andere.

Damit dieser Kuhhandel mindestens in der Außendarstellung funktioniert, müssen aber handfeste Ergebnisse her. Kommt aber bei Migration nichts dergleichen mehr herum – und bisher fehlen die wirklich harten Punkte – war es das. Es werden harte Verhandlungen für die Vertreter der Union, wenn sie noch Zufriedenstellendes aus der Koalition herausholen wollen. Die SPD sieht sich keinesfalls in einer Bringschuld gegenüber dem Partner. Sie meint, dass das Riesen-Finanzpaket mit Segen von CDU und CSU überhaupt die Grundlage dafür ist, überhaupt Gespräche zu führen. Und Merz sieht das ganz offenbar auch so.

Das heißt: Die wirklichen, inhaltlichen Debatten gehen jetzt erst los. Und den Sozialdemokraten wird man jedes Zugeständnis hart abkämpfen müssen. Sie sagen ja schon: Nein zu echten Zurückweisungen, Nein zu Änderungen am Staatsbürgerschaftsrecht. Da muss richtig gebissen werden, um von einer „Migrationswende“ überhaupt nur Bruchstücke durchzubringen. Hat die Union den Schneid dafür? So sieht es nicht aus. Bisher hat sie alles hergegeben und nichts bekommen. Außer natürlich: Friedrich Merz‘ Aussicht auf den Kanzlerstuhl.

Der Startpunkt in den Koalitionsgesprächen könnte ungleicher nicht sein: Die SPD hat den Schlüssel zum Erfolg bereits ausgehändigt bekommen, die Union steht mit leeren Händen da. So wird die fast doppelt so starke CDU/CSU den historisch geschrumpften Sozialdemokraten jedes Zugeständnis abkämpfen müssen. So, als hätte Klingbeil die Wahl gewonnen. Der und seine SPD können die Union derweil in den Gesprächen zermürben.

Die Zeit ist auf ihrer Seite: Den Zeitdruck, „bis Ostern“ eine neue Regierung im Amt zu haben, hat eigentlich nur Merz, der diese Zielmarke selbst proklamiert hat. Und am Ende hat in der Union der Wille zur Macht noch immer jeden Inhalt und jede Überzeugung ausgestochen. Wird man sich im Zweifel einfach vollends bücken – gebeugt hat man sich ja schon – und die SPD einfach über den eigenen Kopf hinweg durchregieren lassen?

Es wäre immerhin rot-schwarze Tradition, wenn man an die Merkel GroKos zurückdenkt. Die CDU bekommt die Kanzlerschaft, die SPD die Gestaltungsmacht. Merz wollte anders sein: Zu Beginn der Koalitionsgespräche sieht aber alles eher nach der fünften Merkel-Kanzlerschaft als nach einem „Politikwechsel“ aus. Den hat man bisher ausschließlich innerhalb der Union vollzogen.

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