
Eine Zahl bestimmt die weltweiten Nachrichten dieses Mittwochs: Investitionen von einer Billion Dollar erhofft sich US-Präsident Donald Trump nach seinem Besuch in Saudi-Arabien. Investitionen von 600 Milliarden Dollar haben die Araber ihm bereits zugesagt.
Ein Kapital in der Höhe zwischen 600 Milliarden und einer Billion Euro möchte auch die neue Bundesregierung für Deutschland mobilisieren. Aber nicht durch private Investitionen – sondern durch Staatsschulden. Deutlicher könnte sich der Unterschied zwischen den vitalen Weltmächten auf der einen und Deutschland auf der anderen Seite nicht zeigen.
Deutschlands neuer Kanzler ist seit acht Tagen Friedrich Merz. Er ist sich sicher, dass Deutschland am Ende seiner Amtszeit eine Wachstums-Lokomotive sein werde, auf die “die Welt mit Bewunderung schauen” werde. Das ist recht selbstbewusst für einen Regierungschef, auf den laut Umfragen nicht mal die eigene Bevölkerung mit Bewunderung schaut. Und der sogar in seiner eigenen Koalition einen zweiten Wahlgang braucht, um ins Amt gehievt zu werden. Der obendrein eine Industrienation übernimmt, deren Wirtschaft zum ersten Mal in ihrer Geschichte drei Jahre in Folge schrumpft.
Diese wirtschaftliche Situation ist dramatisch. Doch sie kommt erst in der zweiten Hälfte der Regierungserklärung des Kanzlers vor. Die erste Hälfte widmet Merz der Außen- und Verteidigungspolitik. Dem Krieg Russlands gegen die Ukraine. In diesem Krieg soll Deutschland nach dem Willen des Kanzlers zwar keine Partei sein, aber es gelte auch: “Wir sind nicht unbeteiligte Dritte.” Also ist Deutschland doch ein bisschen Kriegspartei. Am Ende nichts Ganzes und nichts Halbes. Die rote Linie in Merz Regierungserklärung.
Noch erklärt der eigene Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) die deutsche Armee für nicht kriegstüchtig. Doch laut Merz soll diese Bundeswehr bald die konventionell stärkste Armee in Europa werden. Sie wird dafür “alle Mittel erhalten”, verspricht der neue Regierungschef den Soldaten. Mit der Wehrpflicht oder weiterhin mit einer Freiwilligen-Armee? Mit einem “freiwilligen Wehrdienst”. Nicht Ganzes und nichts Halbes. Friedrich Merz halt.
Die Ruhe. Der Schwerpunkt. Die Konzentration von Merz‘ Rede ist der ersten Hälfte seiner Regierungserklärung gewidmet. Hier sieht er sich in der Position eines Staatsmannes, der “mehr Verantwortung in der Nato übernehmen” will. Der sich in der Außenpolitik wohlfühlt und gleich an seinem ersten Amtstag ins Ausland geflohen ist – weit weg vor seinen innenpolitischen Problemen. Merz hofft, dass dereinst die Welt voller Bewunderung auf ihn schaut. In seinem eigenen Land scheint er das aufgegeben zu haben.
Entsprechend wird die zweite Hälfte seiner Regierungserklärung zum Parforceritt. Da hetzt Merz durch die Stichworte, um all die innenpolitischen Probleme wenigstens einmal angesprochen zu haben. Die sind so zahlreich, dass Merz sie trotz Parforceritt nicht alle in seiner Redezeit unterbringt – 45 Minuten soll er reden, am Ende braucht er fast eine volle Stunde.
Wobei Merz präzise formuliert. Es macht zwar keinen Spaß im zuzuhören. Er ist ein eher abschreckender Redner. Aber aus den Details ergibt sich viel. So will Merz das “Versprechen auf Wohlstand” erneuern. Na, mitbekommen? Richtig. Der Kanzler will das Versprechen erneuern, nicht den Wohlstand. Und er gibt sich selbstbewusst: “Das wirtschaftliche Fundament unseres Landes ist immer noch stark.” Nun ja. Er ist auch erst acht Tage im Amt. Sein erstes staatliches Amt, seitdem er Brexit-Beauftragter des Landes Nordrhein-Westfalen war.
Konkrete Vorschläge, wie der Staat der Wirtschaft helfen kann, bietet Merz wenige: bessere Abschreibungen bei Investitionen oder eine niedrigere Körperschaftssteuer. Ansonsten setzt der Kanzler auf die ungebremsten Schulden, die sich der Kanzler noch vor Amtsantritt – mit Hilfe der Linken und Grünen – ermöglicht hat. Allein in den nächsten Jahren sollen 150 Milliarden Euro in Investitionen fließen. Ein noch größerer Teil müsse aber aus der Privatwirtschaft und von den Kapitalmärkten als Kapital nach Deutschland kommen, fordert Merz. Nur reist Trump derzeit durch die Welt, um Geld einzufordern, das als Investitionen in sein Land fließt. Merz ist auch viel unterwegs, um das Geld seines Landes in anderen Ländern auszugeben. Auch dann, wenn es aus Staatsschulden stammt.
Der Parforceritt geht weiter: Merz will Bürokratie abbauen und Gründungen erleichtern. Das versprechen deutsche Regierungen nun schon seit zwei Jahrzehnten. Nur Merz gründet ein eigenes Ministerium dafür. Mehr Verwaltung, um die Verwaltung abzubauen. Nur wenn Merz sich in Widersprüchen verstrickt, leistet er ganze Arbeit. Anderes Beispiel dafür: Die Klimaziele will Merz einhalten, aber nicht auf eine Weise, die Unternehmen ins Ausland treibt. Deswegen wolle er “neue Wege einschlagen”: mit einer Bepreisung von CO2.
Wobei er die Einnahmen gezielt an die Bürger weitergeben will. Merz kündigt also neue Wege an, liefert dazu etwas, das als “CO2-Bepreisung” längst existiert und gibt dazu ein Versprechen ab, das sein Vorgänger schon gebrochen hat. In seinen Widersprüchen leistet Merz wirklich ganze Arbeit.
Weitere Beispiele: Gering- und Mittelverdiener will Merz steuerlich entlasten. Wenn es die wirtschaftliche Situation hergibt. Also gar nicht. Die Bundesregierung will der zuständigen Kommission nicht vorschreiben, wie hoch der Mindestlohn sein soll. Sagt aber, dass sie als Ergebnis 15 Euro erwartet. Merz will für Empfänger von Bürgergeld “Anreize” schaffen, einer Arbeit nachzugehen. Aber eine Pflicht erwähnt er nicht. Und dann verspricht er noch eine Offensive im Wohnungsbau. Wie seine Vorgänger schon vor dreieinhalb Jahren. Seitdem ist der Wohnungsbau in Deutschland eingebrochen.
Ein Aufbruch geht von Merz Rede also nicht aus. Zu schwacher Fokus auf die drängendsten Probleme des Landes. Zu wenig Entschlossenheit, diese Probleme wirklich abschaffen zu wollen. Damit gibt der Kanzler der Oppositionsführerin Alice Weidel (AfD) eine Steilvorlage, um seine Rede zu zerpflücken. Einen Ball, den diese gut aufnimmt. Sie nennt Merz einen “Kanzler der zweiten Wahl”.
Schwach sei Merz vor allem aus einem Grund: “Sie sind ein Kanzler der Linken.” Sein Weg ins Kanzleramt sei von gebrochenen Wahlversprechen und Kapitulationen vor Linken und Grünen gesäumt. Als Beispiele dafür nennt Weidel die gebrochenen Versprechen des neuen Kanzlers, die Verbote von Verbrennungsmotoren oder Gasheizungen zurückzunehmen. Die werde er nun mit anderen Mitteln fortführen. Etwa indem Merz – wie er es in einem Interview selbst angekündigt hat – Gasheizungen so teuer mache, dass sie sich kein Bürger mehr leisten kann und will.
Selbst wenn Merz vorgebe anzupacken, “kommen nur Halbheiten dabei heraus”, wie ihm Weidel vorwirft. Als Beispiel nennt sie die illegale Einwanderung, die er eigentlich komplett unterbinden wollte – und eigentlich auch müsste. Nun habe er aber Grenzkontrollen nur eingeführt als “vorübergehende Beruhigungsmaßnahme”. Doch Merz werde “Migrationsmagnete” nicht abstellen, die “Armutsmigranten” nach Deutschland lockten. Dazu gehöre auch aber nicht nur das Bürgergeld. Solange es diese Anreize gebe, werde es auch illegale Einwanderung geben.
Dass es bisher unkontrollierte Einwanderung gebe, die schlecht ausgebildete Einwanderer mit sich bringe, räumt Merz in seiner Regierungserklärung selbst ein. Das ist durchaus erstaunlich für den Kanzler eines Landes, in dem der Inlandsgeheimdienst alle unter Verdacht der “Delegitimierung des Staates” stellt und beobachtet, die diese These bisher prominent öffentlich vertreten haben. Wie Merz das genau ändern will, sagt er nicht deutlich. Indes wird er deutlich in der Ankündigung: “Deutschland ist ein Einwanderungsland… das bleibt auch so.”
Das ist der Schlüssel, um Merz zu verstehen: Will er etwas vertuschen, greift er zu einem verrätselten Deutsch. Steht er zu seiner Aussage, wählt er ein Deutsch, von dem er sich erhofft, dass es mobilisiert. Den Wohlstand will Merz nur als Versprechen erneuern. Der Kanzler hofft, dass sich die Wirtschaft aus eigener Kraft und durch Staatsschulden schon irgendwie erholen werde. Schließlich habe sie ja noch genug Substanz. Sein Versprechen, die illegale Einwanderung zu stoppen, hat Merz längst aufgegeben, auch wenn er das noch nicht eingestehen will.
Merz Schwerpunkt liegt eindeutig auf der Außenpolitik. In deren Club will er als der große Mann mit dem meisten Geld und der stärksten Armee sitzen. Wenn ihn schon sein eigenes Land nicht bewundert, dann vielleicht die ganze Welt. Ein Aufbruch in einen wirklichen Wandel war die Regierungserklärung nicht. Eher ein Vorbote dafür, dass das Gewurstel weitergeht. Viel Halbes und kaum was Ganzes.