Friedrich Merz schwört die Deutschen gegen Russland ein – und übersieht so manches

vor etwa 11 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Bei etwa 470 Milliarden Euro lag der Entwurf für den Haushalt, an dem letztlich die Ampel zerbrochen ist. Auch, weil die Bundesregierung schon diese 470 Milliarden Euro nicht seriös zu finanzieren wusste. Der Posten für die Verteidigung betrug in diesem Etat weniger als 60 Milliarden Euro. Nun hat der neue Kanzler Friedrich Merz (CDU) in seiner ersten Regierungserklärung klar gemacht, dass er den Schwerpunkt deutlich auf die Außen- und Verteidigungspolitik legen will. Sein Parteifreund und Außenminister Johann Wadephul hat angekündigt, das Land solle dafür künftig fünf Prozent seines Bruttoinlandproduktes ausgeben. Das wären derzeit etwa 225 Milliarden Euro im Jahr. Eine Verfünffachung der Anstrengung. Wobei weniger als ein Drittel davon in militärisch nutzbare Infrastruktur fließen soll – etwa den Straßenbau.

Der neue Kanzler will sein Land gegen Russland mobilisieren. Entsprechend greift Merz in die Kiste abgegriffener Motivationssprüche: Deutschland stehe eine gewaltige “Kraftanstrengung” bevor. Und “wir müssen mehr arbeiten”. Alles, um das Land gegen den Feind im Osten wehrtüchtig zu machen. Denn wir müssen uns verteidigen können, um nicht angegriffen zu werden, erklärte Merz im Bundestag. Nun ist das alles andere als außergewöhnlich: Ein Regierungschef schwört nach innen die eigenen Reihen gegen einen außenstehenden Feind ein. Die Geschichte ist voll davon.

Doch an dieser Situation ist schon etwas außergewöhnlich. Friedrich Merz beschwört ein “Wir”, während seine Regierung und deren Reserveparteien gleichzeitig eine “Brandmauer” gegen einen großen und immer größer werdenden Teil der Bevölkerung aufbauen. Die Botschaft lautet: Wenn du nicht unserer Meinung bist, verstoßen und bekämpfen wir dich bitterlich – aber beim Kampf gegen den äußeren Feind sollst du trotzdem mitmachen. Das ist ein unauflösbarer Widerspruch. Das zeigte sich schon während der Pandemie, als führende Politiker im Staatsfernsehen feixten, Ungeimpfte seien jetzt aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Nur arbeiten sollten sie bitte noch gehen. Ihre Arbeitskraft brauche der Staat schon noch.

Es ist nicht der einzige Widerspruch in Merz Einschwörung auf den äußeren Feind. Er fordert, dass “wir” mehr arbeiten und alle eine enorme “Kraftanstrengung” liefern – doch sich selbst macht er es dabei bequem. Das “Bürgergeld” haben Merz und seine Minister lange nicht so entschlossen angesprochen wie den Kampf gegen Russland. Für die SPD wäre eine spürbare Reform das Eingeständnis, wie schädlich ihre gerade abgewählte Regierung Olaf Scholz für Deutschlands Wirtschaft waren. Da CDU und CSU ihren Koalitionspartner nicht verschrecken wollen, gehen sie das Thema also nur gebremst an. Die Botschaft an den Bürger lautet daher: Du arbeitest zwar jetzt schon viel und hast dabei kaum mehr als die, für die du mitarbeitest – musst aber künftig noch ein bisschen mehr arbeiten, um den Kampf gegen Russland zu finanzieren.

Das wird nicht funktionieren.

Solange das Bürgergeld so bequem ist, wie es ist, steigt die Arbeitslosigkeit weiter in einem Land, dessen Politik sagt, unter einem Arbeitskräftemangel zu leiden.

Wobei es zwar widersprüchlich ist, dass die Arbeitslosigkeit in einem Land mit einem Arbeitskräftemangel steigt. Doch dieser Widerspruch lässt sich durch absurde Beschlüsse wie den der Ampel zum Bürgergeld erklären. Der Arbeitskräftemangel ist real. Folgt das Land seinem Kanzler und seinem Außenminister und macht sich den Kampf gegen Russland zum obersten Ziel, dann ist eben dieser Arbeitskräftemangel eines der vielen Probleme, die dem Erreichen dieses Ziels im Wege stehen.

Schon jetzt gelingt es Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) nicht, so viele freiwillige Soldaten zu finden, wie die Bundeswehr bei einem Etat von unter 60 Milliarden Euro im Jahr bräuchte. Wie will er die Soldaten finden, die eine Armee bei einem Etat von 225 Milliarden Euro im Jahr benötigte? Die Wehrpflicht ist tabu. Sie macht der große linke Flügel in der SPD-Fraktion nicht mit. “Wir” brauchen zwar eine “Kraftanstrengung”. Doch in der Koalition mögen die Christ- und Sozialdemokraten es halt bequem. Also plant die Regierung keine Wehrpflicht, sondern eine “freiwillige Dienstpflicht”. Das wird nicht funktionieren. Entweder braucht das Land einen echten Pflichtdienst oder die Gehälter in der Armee müssen so hoch sein, dass der Soldatenberuf zum sozialen Aufstieg des Soldaten führt. Das scheitert unter anderem daran, dass ein Leben im Bürgergeld in Deutschland so bequem ist.

Doch selbst wenn die Bundeswehr in der Masse genügend Soldaten findet, dann stellt sich die Frage der Qualität. Deutschland hat ein Problem mit seinem Bildungsniveau. Dem begegnet die Politik damit, das Volk und sich selbst zu belügen. Ein Beispiel: In Berlin gab es jüngst Aufregung, weil rund 90 Prozent der Bewerber an einem Eignungstest fürs Gymnasium scheiterten. Die Reaktion darauf war keine Debatte, wie das Niveau in Berliner Grundschulen besser werden könne – sondern, dass die Prüfungen einfacher werden müssten.

Das hat System. Immer mehr Anwärter scheitern an der Aufnahme zur Polizeischule an Lückendiktaten. Also schafft die Polizei die Diktate ab. Anderes Beispiel: Die Ampel hätte sich selbst eingestehen müssen, dass die von ihr forcierte Einwanderung nicht genügend Fachkräfte nach Deutschland bringt. Doch wollte sich die linke Regierung die linke Lebenslüge nicht eingestehen. Also erklärte sie, dass als Facharbeiter auch gelten solle, wer keine Fachausbildung hat. Für die Statistik funktioniert das. Klar kannst du darin einen ungelernten Analphabeten ohne Kenntnis der Landessprache zum Facharbeiter erklären. Nur wird der ungelernte Analphabet ohne Kenntnis der Landessprache in der Realität keine Raketen bauen. Keine Operationen durchführen. Er wird sich – die Erfahrung zeigt es – schon schwer damit tun, den einfachsten Alltag hierzulande zu bewältigen.

Dass zu viele Ungelernte kommen, das hat Merz in seiner Regierungserklärung selbst eingeräumt. Bemerkenswert. Denn seit seine Vorgängerin Angela Merkel (CDU) den Satz “Wir schaffen das” als Staatsziel ausgegeben hat, ist jede Erkenntnis über die berufliche Qualität der Einwanderer zum Tabu geworden. Wer sie ausspricht, den brandmarkt das Staatsfernsehen öffentlich als Rassisten. Wer sie ausspricht, den verfolgt der Inlandsgeheimdienst als Delegitimierer des Staates. Wer sie ausspricht, den verbannen CDU, CSU, SPD, Grüne und Linke hinter der “Brandmauer”. Nun kommt selbst der Kanzler an der Erkenntnis nicht mehr vorbei, dass wir uns millionenfach Ungelernte ins Land holen.

Das wäre die Gelegenheit für den neuen Kanzler gewesen. Ihm hätte das Recht auf einen Neustart zugestanden. Er hätte bei allen um Entschuldigung bitten können, die für ihre Kritik an der Einwanderungspolitik wie beschrieben verfolgt wurden – und verfolgt werden. Er hätte ankündigen können, dieser Verfolgung als Regierungschef entgegen wirken zu können. Auch weil “wir” jetzt vereint gegen den äußeren Feind Russland stehen müssten. Doch das hätte dem Koalitionspartner nicht gepasst. Also hat Merz es gelassen. “Wir” brauchen zwar eine “Kraftanstrengung” – aber in der Regierung hat er es selbst gerne bequem.

Nun wenden manche ein, man solle einer neuen Regierung 100 Tage Zeit lassen, bevor man von ihr Ergebnisse erwartet. Das ist nicht verkehrt. Doch dem lässt sich genauso gut erwidern: Wer erst einmal 100 Tage in die falsche Richtung geht, der verpasst nicht nur 100 Tage, um sich auf den richtigen Weg zu machen – der wird auch obendrein noch 100 Tagesmärsche auf dem Weg in die richtige Richtung zusätzlich leisten müssen.

Alles, was Merz an Entlastungen verspricht, kommt zu spät oder ist zu wenig: Eine Senkung der Körperschaftssteuer soll die Wirtschaft ankurbeln? Im Prinzip eine gute Idee. Doch mit der Senkung beginnt die Regierung erst in drei Jahren. Und dann auch erst in fünf Schritten. Anderes Beispiel: Das “Wir” der niedrigen und mittleren Einkommen soll bitte schön mehr arbeiten. Aber ob es von seinem zusätzlichen Fleiß auch mehr behalten darf, will die schwarz-rote Regierung erst in zwei Jahren angehen. Also nach zwei Jahren will sie das mal prüfen – und dann auch nur umsetzen, wenn es finanziell gerade gelegen kommt. Also zu einer Zeit, in der die Verteidigungsausgaben auf 225 Milliarden Euro im Jahr gestiegen sein sollen. Die Botschaft: Wenn du heute mehr arbeitest, bekommst du in zwei Jahren mehr. Vielleicht. Das wird nicht funktionieren.

Was die Bundesregierung direkt angehen will, ist das Investitionspaket. Wenn die Bundesregierung in den nächsten Jahren eine dreistellige Milliardensummer investiert, kurbelt das die Wirtschaft an und die wächst dann wieder. Das denkt der Finanzminister und Sozialdemokrat Lars Klingbeil. Nur haben das die Sozialdemokraten unter ihrem Finanzminister und Kanzler Olaf Scholz halt auch schon gedacht. Genau das, was Merz und Klingbeil jetzt wieder vorhaben, haben sie da auch schon gemacht: Staatliche Investitionen in absurden Milliardenhöhen für “Entlastungspakete”, “Wummse” und “Doppelwummse”, “Sondervermögen”, “Rettungspakete” oder “Klimafonds”. Mit dem Ergebnis, dass die Wirtschaft im dritten Jahr in Folge schrumpft. Aber mit der nächsten Investitionswelle soll es klappen, hoffen Merz und Klingbeil – das wird nicht funktionieren.

Dafür versprechen Merz und Klingbeil Bürokratieabbau. Nur ist dieses Versprechen der Politik schon alt. So alt, dass wenn es ein Mensch wäre, schon Alkohol trinken und Autofahren dürfte. Was Merz und Klingbeil nun liefern: ein zusätzliches Ministerium. Oder eine neue Stelle für einen Staatssekretär. “Wir” brauchen zwar eine “Kraftanstrengung”. Aber die Freunde in den eigenen Reihen wünschen sich halt gut bezahlte Jobs und Merz wie Klingbeil machen es sich selbst gerne bequem.

Friedrich Merz kann von der Bundeswehr lernen. Dort gilt die Regel, dass ein Vorgesetzter nur befehlen darf, was er selbst auszuführen bereit ist. Wenn der Kanzler also dem “Wir” eine “Kraftanstrengung” abverlangen will, dann muss er sich selbst diese auch zumuten, statt es sich permanent bequem zu machen. Klar kann man ihm damit 100 Tage Zeit geben. Aber dann hat Merz gerade mal 2400 Stunden Ruhe gewonnen – und das Land nichts.

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