
Der Kommentar zum Wahlabend kommt aus Augsburg und Berlin-Ost: „Wir stehen selbst enttäuscht und sehen betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“ Ein gewisser Bert Brecht beendete mit diesen Worten sein Stück Der gute Mensch von Sezuan. Deutschland hat gewählt, und nichts ist klar. Das gilt auch noch dann, wenn gegen 23 Uhr oder irgendwann in der Nacht das vorläufige amtliche Endergebnis der Bundestagswahl 2025 feststeht.
Eine wichtige Frage wird indes in der Nacht geklärt: Schaffen es FDP und Bündnis Sahra Wagenknecht in den 21. Bundestag? Das ZDF ließ in seiner Prognose offen, ob das klappt, platzierte beide Parteien exakt auf 5,0 Prozent und hielt das noch in der ersten und zweiten Hochrechnung durch. Die ARD sah indes beide Parteien knapp unter 5,0 Prozent – und damit eben nicht im 21. Bundestag vertreten.
Schaffen es beide Parteien oder auch nur eine von ihnen, dann wird es kaum für eine Koalition von nur zwei Parteien – jenseits der „Brandmauer“ – reichen. Union und SPD kommen zusammen nur auf etwa 45 Prozent, mit den Grünen wäre es noch weniger. Steht das amtliche Endergebnis fest und sind FDP und BSW draußen, dann ist nur eine Randfrage geklärt, nämlich ob die CDU/CSU mit einer oder zwei rot-grünen Parteien regieren wird.
Eine viel wichtigere Frage bleibt indes offen: Wie wird die Union unter dem zehnten deutschen Bundeskanzler Friedrich Merz regieren? Im Wahlkampf hat er das Gleiche getan wie in seinen drei Jahren als CDU-Vorsitzender: immer mal wieder rechts geblinkt, um auf der Seite nicht zu viele Wähler zu verlieren, um dann aber wie Horst Seehofer (CSU) oder Wolfgang Kubicki (FDP) stabil nach links abzubiegen. Zwei Wochen vor der Wahl, nach den Anschlägen von Magdeburg und München, machte er den Kampf gegen die unbegrenzte Einwanderung zu seinem zentralen Thema – nur um sie direkt vor der Wahl schon nicht mehr unter seinen Schwerpunkten zu erwähnen.
Die Welt warte nicht auf langatmige Koalitionsverhandlungen, sagt Friedrich Merz. Eine Formulierung, die stilistisch an die berühmte Ruck-Rede des ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog erinnern soll. Stilistisch mag sie eine Reminiszenz sein – aber halt nur allerhöchstens stilistisch. Der Mann, der 20 Jahre lang Angela Merkel (CDU) ausgesessen hat und dann auf jeden linken Druck mit Zurückrudern reagierte, ist alles andere als einer, von dem ein Ruck durch Deutschland ausgehen wird.
Wenn er es sich aussuchen kann und nur mit einem Koalitionspartner regieren muss, dann wird sich Merz die SPD aussuchen. Olaf Scholz wird keine Rolle mehr spielen – das hat er selbst für den Fall gesagt, dass die Sozialdemokraten hinter der Union zurückbleiben. Bleibt ein sozialdemokratisches Restpersonal rund um Saskia Esken, Lars Klingbeil, Matthias Miersch, Rolf Mützenich, Karl Lauterbach oder Boris Pistorius. Die würden einem Koalitionspartner alles bieten, um trotz ihrer Mittelmäßigkeit an politischen Top-Karrieren festhalten zu können.
Die Grünen kommen nur als dritter Partner in eine Koalition. Auch damit hätte Merz kein Problem. Dass er sich Robert Habeck wieder als „Wirtschaftsminister“ vorstellen kann, hat der kommende Kanzler selbst schon gesagt. Und selbst Annalena Baerbock hat Merz nie hart kritisiert – selbst als sie sich dafür gefeiert hat, der Hamas Steuergelder zukommen zu lassen, am Tag, nachdem eben diese Hamas die Leichen von Kleinstkindern präsentiert und zelebriert hat, die sie in der Haft zu Tode gequält haben.
Merz war kein Kritiker, als die Ampel das Selbstbestimmungsgesetz verabschiedete oder als sie das Vereinsrecht missbrauchte, um kritische Medien zu verbieten. Merz hat sich gegen den amerikanischen Vizepräsidenten J.D. Vance gestellt, als dieser vom Bündnispartner Meinungsfreiheit einforderte. Der Rechtsanwalt nahm den linken Kampfbegriff von „Hass und Hetze“ in den Mund, um die Angriffe der rot-grünen Regierung auf die Meinungsfreiheit zu verteidigen. Konrad Adenauer schmetterte den Deutschen einst entgegen: „Wir wählen die Freiheit.“ Friedrich Merz begnügt sich mit: „Ich will in das Kanzleramt.“
Alle Probleme bleiben ohne Lösung. Alle Fragen offen. Guter journalistischer Stil würde jetzt erfordern, eine inhaltliche Klammer zum Anfang des Textes zu bilden – also noch irgendeine Analogie aus Der gute Mensch von Sezuan. Aber das Stück ist nur das übliche Geblubber von Brecht, der zeitlebens dem Kommunismus das Wort geredet hat – aber auf seiner Flucht vor den Nazis dann durch die Sowjetunion eilte, um über Jahre das Asyl in Kalifornien zu genießen, wo es sich deutlich angenehmer leben ließ. So angenehm, dass Brecht vor dem McCarthy-Ausschuss abstritt, jemals Mitglied einer kommunistischen Partei gewesen zu sein. Ein rückgratloser Schwätzer also, auf den kein Verlass war. Wie soll man da eine Verbindung zu Friedrich Merz herstellen? Ohne wegen „Hass und Hetze“ im Knast zu landen.