
Die Grünen sind sauer – und das mit allem Recht. Was hatten CDU und CSU sie nicht politisch gejagt für ihre Vision vom Schuldenmachen als Wirtschaftspolitik – jetzt macht die Union ziemlich genau diese grüne Schuldenpolitik. Und will dafür auch noch die Stimmen der Grünen, als hätte man sie nicht über Monate für gleiche Ideen durch den Kakao gezogen.
Im Oktober letzten Jahres hatte Robert Habeck sein „Impulspapier“ vorgelegt – und einen „Deutschlandfonds“ für „massive Investitionen“ in Wirtschaft und Infrastruktur, insbesondere für Schienen und Straßen gefordert. Das sollte der Wirtschaft neue Impulse geben, versprach der Noch-Wirtschaftsminister.
Den Bedarf für ein solches Sondervermögen schätzte der SPD-Ökonom Jens Südekum auf 500 Milliarden Euro für zehn Jahre – genau diesen Umfang hat jetzt auch die Einigung von Union und SPD. Habeck schrieb in seinem „Impulspapier“, so ein Sondervermögen „sollte genutzt werden, um die Infrastruktur auf Vordermann zu bringen und den nötigen Ausbau zu finanzieren.“
Für einen Infrastruktur-Schuldentopf sprachen sich auch der Grünen Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, oder der Nordrhein-Westfälische Verkehrsminister Oliver Krischer aus. Habeck redete noch im Februar im Bundestag über seine Pläne und streckte der Union auf bemerkenswerte Art die Hand entgegen.
Er wollte mit CDU und CSU zusammenarbeiten, um so ein Sondervermögen auf den Weg zu bringen. Aus der Union zeigte man ihm die kalte Schulter, nannte man Habecks Vorschläge damals einen „falschen Ansatz“. „Machen sie eine andere Politik, dann sind wir gern zur Zusammenarbeit bereit“, tönte Jens Spahn. Auf Habeck schimpfte man ohnehin als Schulden-Minister, der Wirtschaftspolitik nicht verstanden habe.
Am Dienstagabend steht Friedrich Merz dann plötzlich vor der Presse und klingt wie Habeck: Die Wirtschaft müsse schnell wachsen, daher brauche es „bessere Wettbewerbsbedingungen und massive Investitionen in Infrastruktur. Deshalb wollen wir ein kreditfinanziertes Sondervermögen von 500 Milliarden Euro über zehn Jahre errichten.“
Was schert mich mein Geschwätz von gestern? Rot-grüne Schulden sind schlecht, schwarz-rote Schulden im gleichen Stil hingegen plötzlich notwendig. Bei den Grünen kocht es jetzt. Sie hat man mit ihren Verschuldungs-Vorschlägen am ausgestreckten Arm verhungern lassen und lächerlich gemacht – jetzt plötzlich fordert Merz von ihnen die Zustimmung zu seinem eigenen Schuldentopf ein. Berechtigterweise stellt da Grünen-Chefin Franziska Brantner fest: „Merz und Söder blockierten und verunglimpften lange, was sie nun selbst tun.“
Katharina Dröge, eine der beiden Fraktionsvorsitzenden, nennt es „Unverfroren, dass Merz nach der Wahl komplett das Gegenteil davon tut, was er vor der Wahl angekündigt hat.“ Die Grünen wollen die Vorschläge trotzdem prüfen, sagt sie. Aber sie sagt auch: „Ob wir am Ende diesen Grundgesetzänderungen zustimmen werden, ist offen.“
Besonders bemerkenswert ist dabei: Dröge stellt auch das Hau-Ruck-Verfahren von Merz infrage, die Grundgesetzänderung noch mit dem abgewählten Bundestag durchzupeitschen. Ob das „wirklich das richtige Verfahren“ sei, müsse man besprechen. Was sie damit zwischen den Zeilen androht: eine Beteiligung der Linkspartei an der Mehrheitsfindung zu erzwingen.
So oder so: Die Grünen können und werden Friedrich Merz einen ordentlichen Preis abverlangen. Aus den Reihen der Partei wird schon gefordert, dass mit dem Sondervermögen Infrastruktur auch Klima-Maßnahmen finanziert werden. Und eine grundsätzliche „Reform“ der Schuldenbremse sei doch eigentlich der bessere Weg, hört man.
Wie hoch die Grünen den Preis am Ende treiben werden, ist offen. Auf guten Willen sollte die Union nach Jahren Anti-Habeck-Kampagne aber nicht hoffen. Wenn da CSU-Generalsekretär Martin Huber beim politischen Aschermittwoch noch Kalauer über Tofu-Grüne und Annalena Baerbock raushaut, begreift er offenbar nicht ganz, dass den Grünen nach Lachen so gar nicht zumute ist.
Solche billigen Gags können noch teuer werden. Auf X schreibt die Grüne Co-Fraktionschefin Britta Hasselmann: „Merz und Söder haben mit Rasanz und Schamlosigkeit ihr Wahlversprechen gebrochen – keine neuen Schulden. Sie müssen sich jetzt der Wirklichkeit stellen, da wäre mehr Demut angebracht“.
Sie hat recht: CDU und CSU haben sich mit ihrer Kehrtwende blamiert und sind jetzt von den Grünen abhängig, die sie für die gleichen Ideen noch lächerlich gemacht haben. Mit allem politischen Recht der Welt werden sie den Preis jetzt hochtreiben: Investitionen in „Energiewende“ und „Klimaschutz“ werden das Mindeste sein, aber die Liste an Ausgabenwünschen der Partei ist bekanntlich lang. Die Union hat sich derweil in die schlechtmöglichste Position gebracht.
Merz hat sich mit seinem demokratisch fragwürdigen Manöver, seine Sonderschulden durch den alten Bundestag beschließen zu lassen, auch eine sehr enge Frist gesetzt. Schon am Montag steht die Sitzung des Haushaltsausschusses an, in sieben Tagen kommt der Antrag ins Plenum – in nichtmal zwei Wochen soll das Sondervermögen im Bundestag beschlossen und noch vor Ende des Monats vom Bundesrat abgenickt werden. Dass das alles so klappt, ist keinesfalls selbstverständlich. Erlauben sich Abgeordnete, die vielleicht schon ausgeschieden sind, einen letzten Akt der Rebellion – etwa frustrierte Grüne?
Merz hat hoch gepokert. Kommt er damit nicht durch, steht er nicht nur als Umfaller da, der seine eigenen Wahlversprechen brechen will – sondern auch als einer, der sich verzockt hat. Er wäre schon vor seiner Vereidigung als Bundeskanzler eine lahme Ente.
Die Grünen können jetzt also sehr selbstbewusst eine Forderungsliste schreiben. Und die Union ist kaum in einer Position, noch ernsthaft Widerstand zu leisten. Merz hat sich mit 500 Milliarden die SPD gekauft: wie viel Geld wird die Zustimmung der Grünen kosten?