
Das ZDF hat mit einem neuen Fernsehbeitrag für Irritationen auf sozialen Medien gesorgt. Im Kurzfilm mit dem Titel „Abgeschoben nach Afghanistan - und jetzt?“ treffen die Journalisten des Auslandjournals (Jenifer Girke, Nesar Fayzi und Katrin Eigendorf) auf einen aus Deutschland abgeschobenen Kriminellen, der nun in Kabul lebt. Der ganze Film trägt dabei die Handschriften von Journalisten, die ein gefühliges Portrait eines Missverstandenen schaffen wollen – obwohl der Afghane Raheem, wie der Straftäter im Beitrag genannt wird, nicht ohne Grund abgeschoben wurde.
Das Portrait des abgeschobenen Afghanen, das dem Zweiten Deutschen Fernsehen einen achtminütigen Beitrag und einen Online-Artikel wert war, beginnt schon mit der sozialpädagogisch anmutenden Frage, was man von der Begegnung mit Raheem lernen könne. Um das zu ergründen, reisten die ZDF-Journalisten in die afghanische Hauptstadt Kabul, um Raheem zu begegnen. Dieser zählt zu den 28 Schwerkriminellen, die im Rahmen einer Gruppenabschiebung Ende August aus Deutschland ausgewiesen worden waren.
In dem Beitrag zeichnet das ZDF Raheems Leben in Deutschland nach. Dieser „ließ seine beiden Kinder“ in Afghanistan zurück und zahlte Schmugglern viel Geld, damit er nach Europa übersiedeln kann. Seine Hoffnung, so der Sprecher, sei es gewesen, in Deutschland einen sicheren Job zu finden und damit seine Familie zu ernähren. Doch dann die Ernüchterung: „Sein Asylverfahren zog sich. Er lebte isoliert in einer Flüchtlingsunterkunft, arbeitete oft schwarz. Bis er straffällig wurde.“
Ein Flüchtlingsheim in Baden-Württemberg: Hier lebte der Afghane „isoliert“.
Dann der Hammer: „Was genau passierte, wissen wir nicht“, so das ZDF. „Nur so viel: Er soll in einen Streit verwickelt worden sein. Trug ein Messer mit sich. Die Polizei nahm ihn fest. Das Urteil? Drei Jahre Gefängnis. Von dort wird er am 30. August abgeschoben, gemeinsam mit 27 anderen Afghanen aus der Haft nach Kabul.“
Die ZDF-Journalistin Katrin Eigendorf legte auf ihrem X-Profil noch einen drauf: „Was er als harmlos empfindet, eine kleine Auseinandersetzung, wird als Straftat gewertet“, heißt es dort.
Zur Erinnerung: Am 30. August wies Deutschland 28 afghanische Straftäter aus. Im Flugzeug nach Afghanistan befanden sich Vergewaltiger, Mörder und Intensivstraftäter. Alle der 28 Abgeschobenen hatten sich zum Teil schwere und wiederholte Straftaten zu Schulde kommen lassen. Die Ausweisung, das betonten Innenminister mehrerer Länder, galten besonders Härtefällen.
Genau einen dieser Straftäter trifft das ZDF nun in Kabul, um zwischen Staubwedeln und Aufräumen eine verständnisvolle Feel-Good-Story zu ergründen. Mehr noch: Für das ZDF gibt es eine „hitzige Debatte“ um Abschiebungen nach Afghanistan, so der Beitrag, obwohl sich erst kürzlich 93 Prozent der Deutschen dafür ausgesprochen haben, Ausreisepflichtige nach Afghanistan auszuweisen.
Ende August wurden 28 schwere Strafttäter nach Afghanistan abgeschoben.
Dank des Beitrags von Katrin Eigendorff, wohlgemerkt der gekürzten Journalistin des Jahres 2021, wissen wir immerhin: „In Rahims Fall hat das Kriterium [dass eine Abschiebung gegen Menschenwürde verstoße] wohl nicht gegriffen. Zurück in Afghanistan wird er zunächst von den Taliban im Flughafen festgehalten, erzählt er. Nach ein paar Tagen darf er gehen, wie auch die anderen 27 Abgeschobenen. Laut den Gesetzen der Taliban ist Rahim offenbar kein Krimineller. Trotz der Straftat in Deutschland. In Afghanistan bleiben will er nicht. Sein Wunsch zurück nach Europa.“
Auch die Experten des ZDF irritieren: Darunter findet sich der Völkerrechtsexperte Andreas Zimmermann, der sagt: „Bei Asylberechtigten gibt es eben auch bestimmte Umstände, die dann auch eine Abschiebung rechtlich oder faktisch unmöglich machen. Rechtlich dann, wenn selbst bei nicht Vorliegen von Verfolgung die Lebenssituation im Zielland so schlimm wäre, dass eine Annahme eines menschenwürde Verstoßes gleichkäme, wenn man diese Person in diese Situation zurückverbringt.“ Der syrischstämmige Migrationsaktivist Tareq Alaows von „Pro Asyl“ behauptet hingegen, dass es nach den islamistisch motivierten Attacken von Mannheim und Solingen einen Generalverdacht gegenüber Flüchtlinge gebe. „Das dürfen wir in einer Demokratie nicht nicht so machen.“ Dafür hätten nun viele Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan „Angst“.
Auch hier erneut: Verständnis und Empathie für jemanden, der das Land völlig zurecht verlassen musste.
Bemerkenswert hingegen ist, was das ZDF nicht macht: Sie spricht nicht mit Personen, die Abschiebungen fordern, die Migrationskritik üben oder auf die Gefahren einer islamistischen Zuwanderung hinweisen. Es befragt nicht den betreffenden Innenminister, der die Ausweisung durchgesetzt hat. Es fragt nicht, wie es sein kann, dass Flüchtlinge aus Afghanistan in Deutschland Integrationsprobleme haben und delinquent werden. Warum so viele von ihnen Messer zücken und Menschen verletzten oder töten. Es fragt auch nicht, warum man nicht viel mehr der ausreisepflichtigen Afghanen in die Heimat bringen kann. Oder warum diese wieder nach Europa einreisen können.
Ob das ZDF-Team überhaupt die rührselige Geschichte Raheems auf Authentizität geprüft habe und ob es weiß, was der Mensch in Deutschland verbrochen hat, bleibt fraglich. Jegliche kritische Intonierung fehlt in dem Beitrag gänzlich. Ein konkreter medienwirksamer Fall wird dem Portrait nicht zugeordnet.
Viehhirten in Kabul.
In den sozialen Medien zeigten sich viele User schnell empört ob des einseitigen Framing des ZDF. Die NZZ-Journalistin Beatrice Achterberg schrieb: „Die Botschaft der Redakteure ist völlig klar: Abschiebungen nach Afghanistan sind unmenschlich, der missverstandene Raheem, der mit 27 anderen Kriminellen kaltherzig abschoben wurde, hat ein besseres Leben verdient – in Europa. Dass er genau hier Menschenleben bedroht hat: Egal.“ Der User Argo Nerd teilte mit: „Kein Scherz: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk reist einem verurteilten und abgeschobenen Straftäter hinterher.“ Und der Watchblog ÖRRBlog schrieb vielsagend: „Ein ZDF Team trifft sich mit einem zu 3 Jahren Gefängnis verurteilten, abgeschobenen Straftäter in Kabul: Er soll in einen Streit verwickelt worden sein und trug ein Messer mit sich“.
Immerhin durfte der abgeschobene Afghane zum Ende des Beitrags behaupten: „Ich möchte unseren Afghanen sagen: Beschäftigt euch, arbeitet hart und lauft nicht ziellos herum. Ihr dürft nicht zur Schande für euch und eure Familien werden. Ihr sollten immer Ruhe bewahren und niemals jemanden Schaden zufügen.“
Weise Worte – und die vermutlich einzige sinnvolle Aussage in diesem schiefgegangenem Beitrag.
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