
Es gibt Texte, die wirken wie kaltes Eisen – geschmiedet in der Glut vergangener Weltanschauungen, aber ohne jedes Licht für das Jetzt. Josef Joffes Artikel „Der vergiftete Traum vom Regime Change“ ist ein solcher Text. Er ist geprägt vom Pessimismus eines senilen Geistes, vom Ton gesinnungsethischer Überlegenheit, wie man ihn oft bei jenen findet, die zu lange auf der Weltbühne standen, um noch Hoffnung als politische Kraft ernst zu nehmen. Was Joffe formuliert, ist kein politischer Kommentar, sondern ein Abgesang – nicht auf ein Regime, sondern auf die Vorstellung, dass Unrecht überwunden werden kann. Genau deshalb ist Widerspruch notwendig.
Ich habe Josef Joffes Text mehrfach gelesen – nicht aus Faszination, sondern aus einem gewissen Entsetzen über die Kälte, mit der hier ein zutiefst menschliches Thema zur bloßen Rechenspielerei degradiert wird. Denn nichts Geringeres steht zur Debatte als die Hoffnung von Millionen Menschen im Iran auf ein Ende von Folter, Unterdrückung und staatlich organisierter Grausamkeit – Grausamkeit, die vom Westen noch immer beschönigend legitimiert wird. Und doch gelingt es Joffe, diese Sehnsucht in einem Atemzug mit Halluzination und Wahngebilde abzutun – als handle es sich um naive Illusionen einer westlichen Wohlstandsjugend, die in geopolitischen Kategorien nicht denken könne.
Seine Schreibstück erscheint weniger als nüchterne Analyse denn als Manifest eines arroganten Kulturpessimisten mit reaktionärem Reflex. Schon der Auftakt, in dem die Idee eines Regimewechsels im Iran pauschal als „Fantasie“ abqualifiziert wird, setzt den Ton: Wer sich ein Ende von Folter und staatlicher Grausamkeit erhofft, wird nicht als ernsthafter Diskurspartner behandelt, sondern mit herablassendem Spott abgefertigt – ein rhetorischer Erstickungsversuch. Statt differenzierter Beobachtung dominiert ein apodiktischer Gestus, der an die moralische Überheblichkeit vieler 68er‑Intellektueller erinnert – Kritik wird mit Hohn verwechselt, Komplexität zur „Milchmädchenrechnung“ verniedlicht.
Diese Grundhaltung spiegelt sich in einer Wortwahl, die eher abgewertet als erhellt. Oppositionelle werden zu „Heilsbringern“ oder „Marionetten“, Freiheitsbefürworter zu „Demokratie‑Lehrern“. Selbst das bündige „die lieben Liberalen“ trieft vor Sarkasmus, während Begriffe wie „Balkanistan“ – eine Wortschöpfung mit toxisch rassistischer Strahlung – historisch wie ethnisch problematische Konnotationen aufrufen. So entsteht kein analytisches Panorama, sondern eine rhetorische Abrissbirne, die alles in Trümmer legt.
Rhetorisch bedient sich Joffe bevorzugt der Scheinalternative, gestützt auf eine überdehnte Historisierung: Weil Demokratisierung angeblich nur zweimal – in Japan und Deutschland – gelungen sei, müsse sie künftig ausgeschlossen bleiben. Solche Paternalisten übertönen Gegenbeispiele wie Südafrika, Chile oder Portugal. Wenn „die Brutalsten siegen“, wird politische Ohnmacht zum Naturgesetz verklärt – und jeder iranische Widerstand als törichter Tagtraum diskreditiert.
Ich finde: Wer so schreibt, hat entweder den Kontakt zur Realität vor Ort verloren – zu den realen Machtverhältnissen, der Dynamik – oder er ist gefangen in der eigenen, historisch saturierten Weltmüdigkeit.
Natürlich lässt sich die Geschichte des „Regime Change“ als Abfolge von gescheiterten Interventionen erzählen – das kann jeder, der ein Geschichtsbuch lesen kann. Libyen, Irak, Afghanistan: Die Liste ist lang, die Bilanz nüchtern. Aber dieses Narrativ sagt vor allem etwas über die Dummheit der westlichen Intellektuellen, nicht über die Unmöglichkeit von Wandel. Sie sagt etwas über die Arroganz derjenigen, die mit Panzern kamen, aber keine Vorstellung vom menschlichen Inneren eines zerrissenen Landes hatten. Doch sie sagt nichts – wirklich nichts – über den Mut derer, die im Iran heute ihr Leben riskieren, weil sie schlicht frei sein wollen.
Joffe schreibt so, als hätte er diese Menschen nie gesehen. Er nennt keine Namen, er zitiert keine Stimmen, er übergeht die unzähligen Aktivistinnen, Studenten, Arbeiter, Frauen, Dichter und Journalisten, die seit Jahrzehnten unter Todesgefahr an der Idee einer anderen iranischen Zukunft festhalten. Seine Sprache kennt nur Sieger und Verlierer, „Warlords“ und „Brutale“, keine Helden, keine Hoffnungsträger. In dieser Sprachsicht ist Geschichte eine Abfolge von Scheitern – nicht von Versuchen. Und der Mensch? Höchstens ein Kollateralschaden der Machtlogik.
Mich empört weniger die politische Apokalypse, die Joffe artikuliert, als die als die eiskalte Eloquenz, mit der er sie vorträgt. Die Verachtung, mit der er über „die lieben Liberalen“ schreibt, wirkt nicht wie intellektuelle Tiefe, sondern wie die Verhöhnung eines Menschen, der nicht mehr an den Wert von Freiheit glaubt, weil sie sich nicht mühelos installieren lässt. Doch wer hat je behauptet, dass Freiheit mühelos sei? Hat Europa nicht etwa 500 Jahre dafür gekämpft? Und was war mit Deutschland – nach 45 Jahren Teilung?
Ich spreche nicht leichtfertig über einen Regimewechsel. Ich weiß um die Gefahren, die Unsicherheiten, die Brüche, die neuen Abgründe, die sich auftun können. Und doch bin ich mir gewiss: Es gibt Momente in der Geschichte, da ist der Status quo keine Lösung mehr, sondern ein Verbrechen. Und die Islamische Republik Iran ist ein solches Verbrechen – an den eigenen Bürgern, an der Region, an der Menschlichkeit. Wer heute in Teheran, Maschhad oder Isfahan aufsteht und ruft: „Frau, Leben, Freiheit“, verdient nicht unser Misstrauen, sondern unsere Solidarität.
Joffe schließt seinen Text mit einem Satz von Karl Popper: „Jede Lösung eines Problems schafft neue.“ Das mag sein. Aber es ist kein Argument gegen Lösungen – sondern eines gegen intellektuelle Trägheit. Es ist ein Satz, der uns mahnen sollte, klug zu handeln, nicht gar nicht. Wer ihn missbraucht, um das eigene Nichtstun als überlegene Haltung zu verkaufen, begeht Verrat – an der Schuldigkeit, am Aufbruch, an der Emanzipation.
Ich will keinen Sturm der vergeblichen Taten. Ich will keinen Krieg. Aber ich will auch keine resignative Weltklugheit, die die Feigheit zur Tugend erklärt. Der Iran braucht keine Retter – er hat genug Eigene. Aber er braucht eine Welt, die ihn nicht aufgibt. Wer das als „vergifteten Traum“ verhöhnt, hat den Kern dessen vergessen, was den Westen einmal ausmachte: den Glauben, dass Diktaturen enden können – und müssen.
Wenn Václav Havel davon sprach, dass Hoffnung nicht die Überzeugung sei, dass etwas gut ausgehe, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn habe – unabhängig davon, wie es ausgeht –, dann scheint Joffe diese Dimension von Politik vollständig aus seinem Denken verbannt zu haben. Seine Analyse kennt nur militärische Siege und strategische Niederlagen. Die menschliche Dimension – Recht auf Befreiung, Pflicht zum Mitgefühl, Tragik des Nichthandelns – wird verdrängt. Aber Politik ohne Ethos ist bloße Verwaltung der Gegenwart. Und der Iran, wie so viele andere Orte, verlangt mehr als das.
Wir sollten aufhören, die Geschichte als Beweiskette für Zynismus zu lesen. Sie ist kein geschlossenes System, sondern ein offenes Buch, das neue Kapitel kennt – geschrieben von jenen, die an Transformation glauben, selbst wenn sie dabei scheitern. Denn wie Camus schrieb: „Inmitten des Winters entdeckte ich schließlich, dass in mir ein unbesiegbarer Sommer wohnt.“
Der Iran lebt – trotz allem. Und mit ihm der Traum von einer humanen Zukunft. Kein vergifteter Traum. Ein zutiefst menschlicher.