Warum die Fusion von Pressekorps und Verfassungsschutz nur Gewinner kennt

vor etwa 6 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

In seiner Sendung vom 9. Mai befasste sich der ZDF-Weltanschauungsbeauftragte Jan Böhmermann mit Leben und Wirken des 29-jährigen Youtubers Marc-Philipp L., der den Kanal „Clownswelt“ betreibt. Am gleichen Tag erschien auch auf Zeit Online ein Text des Autors Christian Fuchs über L. und dessen Kanal unter der Überschrift „Der rechte Clown“. Fuchs erklärt in der Zeit, was er an dem Betreiber von „Clownswelt“ für problematisch hält und welches Ziel er mit seinem Text verfolgt.

Das gleiche nämlich wie Böhmermann mit seiner Sendung. „Der Mann, der Olaf Scholz als Kriegstreiber beschimpft, sich über den Körper der Grünenpolitikerin Ricarda Lang lustig macht und Greta Thunberg als ‚zurückgeblieben‘ beleidigt“, heißt es in dem Text, „will selbst unerkannt bleiben“. Dieses Recht auf Privatsphäre, finden beide, steht jemandem nicht zu, der sich zwar völlig im Bereich der Meinungsfreiheit bewegt, darin aber nach Ansicht von Zeit und ZDF in der falschen Richtung. ‚Äußert sich über Prominente, will aber selbst unerkannt bleiben‘ – hier deutet sich das Problem der beiden Medien mit der Rechtsordnung schon einmal an. Sie halten offenbar das eine und das andere für einen Widerspruch.

Böhmermanns Leute und der Zeit-Fuchs kontaktierten die Eltern von L., außerdem einen Professor, bei dem er früher studierte, die Metal-Band „Powergame“, in der er bis zum April 2025 spielte, sie drangen also in das Privatleben einer Person ein, um mit den Ergebnissen eine Art Fahndungsaufruf zusammenzustellen. Mit dem Vornamen, der Beschreibung „Gitarrist einer Progressive Metal Band“ und der Zusatzinformation „kleiner Ort in Nordrhein-Westfalen“ konnte jeder aus dem unmittelbaren Umfeld den „Clownswelt“-Betreiber identifizieren, aber eben auch viele andere, sofern sie Google benutzten.

Die Zeit erweckt in ihrem Text außerdem den Eindruck, der Verfassungsschutz beobachte Marc-Philipp L. In Wirklichkeit zitiert das Medium nur eine Sprecherin des Verfassungsschutzes Niedersachen mit der Aussage, die Behörde halte den Kanal „Clownswelt“ für eine „rechtspopulistische Plattform“ mit „Ansätzen neurechten Denkens“. Eine Beobachtung L.s ergibt sich daraus nicht. Böhmermann und Fuchs versäumen auch nicht den Hinweis auf das fehlende Impressum des Kanals. Das verstößt tatsächlich gegen das Gesetz, die zuständige Landesmedienanstalt kann L. nun abmahnen (wobei ein Impressum nicht zwangsläufig einen Klarnamen enthalten muss, Bezeichnung und Anschrift beispielsweise einer Firma würden ausreichen).

Die Argumentationskette der hauptamtlichen Mitarbeiter lautet offenbar: Zielperson ist rechts (Beleg: Macht sich über Ricarda Lang lustig), der Verfassungsschutz stuft den Kanal als irgendetwas ein, des Weiteren hält sich L. nicht an eine bestimme Vorschrift, also gilt das Persönlichkeitsrecht für ihn nicht. Außerdem geht Ermittlungstätigkeit von einem öffentlich-rechtlichen Sender und einem progressiven Hamburger Medium aus. Es macht sich also verdächtig, wer die jeweiligen Sonderbefugnisse in Frage stellt.

Nun gilt das allgemeine Persönlichkeitsrecht allerdings, wie die Bezeichnung schon sagt, allgemein, sogar für Personen, die Jan Böhmermann für rechts hält. Selbst die Verdachtsberichterstattung im Zusammenhang mit Straftaten darf in Deutschland nur in engen Grenzen stattfinden – und dass L. mit den Inhalten von „Clownswelt“ gegen irgendwelche Gesetze verstoßen würde, behaupten noch nicht einmal ZDF und Zeit. Darüber hinaus verbietet Paragraf 126 a (StGB) seit 2021 das „gefährdende Verbreiten personenbezogener Daten”, auch Doxing genannt, und droht demjenigen, der private Daten einer Person gegen ihren Willen öffentlich macht, um ihr zu schaden, bis zu drei Jahren Haft an.

Das, was die Hauptverwaltung Aufklärung des Mainzer Senders im Verein mit der Zeit dem Publikum lieferte, verstößt nach Ansicht von Fachjuristen sowohl gegen Zivil- als auch gegen Strafrecht. Der Youtuber, meint der Kölner Anwalt Ralf Höcker, könnte gegen den Sender und die Zeitung Unterlassung durchsetzen, dazu einen Schadensersatzanspruch „in niedriger fünfstelliger Höhe“. Höcker hält das Vorgehen der Medien außerdem für strafbar. Das ZDF sieht das erwartungsgemäß anders: Der Sender erklärte, die Böhmermann-Redaktion habe alles richtig gemacht.

Es gibt sehr, sehr viele Medienbeiträge, die sich mit der Schädlichkeit des Doxing befassen, also dem Veröffentlichen privater Daten zum Zweck der Einschüchterung. Beispielsweise: im Archiv des ZDF. Dort erklärte Redakteurin Sarah Tacke im September 2024, wie gut es sei, dass dieses Vorgehen jetzt bestraft werden kann, „egal, gegen wen es sich richtet“. Die Zeit widmete 2019 dem Thema mehrere Beiträge („Eine Waffe namens Doxing“) und rief Betroffene dazu auf, sich bei der Redaktion zu melden.

Screenprint: ZEIT

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Aus den Artikeln ging allerdings hervor, dass man die potentiellen Täter hauptsächlich bis ausschließlich auf der rechten Seite des politischen Spektrums ausmacht. Auch der Tagesspiegel warnte noch 2024 vor Doxing und befürchtete, mit dieser Methode könnte Trumps Umfeld womöglich linke Verfasser von Wikipedia-Artikeln unter Druck setzen. Über die Operation des ZDF berichtete das Blatt allerdings in einem sehr entspannten Ton unter der Überschrift: „Jan Böhmermann enthüllt Identität des rechten YouTubers ‚Clownswelt‘.“

In Zukunft gehen wohlmeinende Medien vermutlich vorsichtiger mit leichtfertigen Formulierungen wie „egal, gegen wen es sich richtet“ um. Denn natürlich gilt und galt bei ihnen schon immer das unausgesprochene Motto: Alles hängt davon ab, gegen wen sich etwas richtet. Der Tagesspiegel beispielsweise engagiert sich nicht nur gegen Doxing, sondern auch gegen Hass und Hetze, sofern er sie nicht in eigener Regie betreibt, etwa, als er 2022 der Wissenschaftlerin Marie-Luise Vollbrecht, die ernsthaft behauptet, es gebe nur zwei biologische Geschlechter, per redaktioneller Fälschung einen NPD-Kontakt andichtete.

Im „Clownswelt“-Fall erlebt ein Topos im linken Medienspektrum eine späte Blüte, der früher einmal als idealtypisch für autoritären bis totalitären Charakter galt: die Aussage nämlich, wer das Richtige denke und deshalb nichts zu verbergen habe, müsste sich vor Ausspähung nicht fürchten – alles andere aber schon, und zwar zu Recht. In der taz, die Doxing selbstverständlich beklagt, wenn es die Schlechten im Doppelpack mit Desinformation betreiben, schreibt ein Autor namens Andreas Speit unter der Überschrift: „Hass hinter der Clownsmaske“, dass hier die Sache selbstredend völlig anders liegt: „Warum es richtig ist, dass Jan Böhmermann die Identität eines großen rechten Influencers veröffentlicht hat.“ Denn, so taz-Speit:

„Die Kritik an dem Outing verkennt, dass ein demokratischer Diskurs auch die politische Verantwortungsübernahme für die eigenen Positionen braucht. Ein Nein zum Outing bejaht so viel mehr eine intransparente Debatte. Bei Themen dieser gesellschaftlichen Dimension ist das nichts weniger als eine Täter*innen-Opfer-Umkehr.“

Wer einen rechten Youtube-Kanal betreibt, so lässt sich seine Herleitung zusammenfassen, macht sich damit zum Täter – und verliert folglich den Anspruch auf Privatsphäre. Diese Ansicht vertreten neben Böhmermann selbst auch bemerkenswert viele andere Mitarbeiter der Öffentlich-Rechtlichen. Der WDR-Redakteur Till Oppermann etwa findet, wer nicht will, dass ein ZDF/Zeit-Spürtrupp in seinem Privatleben herumschnüffelt und bei seinen Eltern klingelt, sollte ganz einfach nur die richtigen Ansichten äußern oder schweigen.

Womit er den Zweck der ganzen Übung sehr präzise auf den Punkt bringt. Genauso sieht es auch der leitende RBB-Mitarbeiter Jan Pallokat: „Wer massenhaft Informationen verbreitet, muss dafür auch mit seinem echten Namen geradestehen und auch Verantwortung übernehmen.“

So strikt sieht man das beim RBB nicht immer; die frühere Grünen-Mitarbeiterin, die mit falschen Behauptungen mit Hilfe des Senders 2024 einen parteiinternen Konkurrenten des Habeck-Vertrauten Andreas Audretsch aus dem Weg räumte, bediente sich bekanntlich noch nicht einmal des eigenen, sondern eines falschen Namens und verschwand anschließend aus der Öffentlichkeit. Die Pflicht zum Geradestehen unter eigenem Namen wägt ein geschulter ARD-Mitarbeiter eben je nach Einzelfall ab.

Und zwar so wie Gabor Halasz aus dem Hauptstadtstudio, der zwar seinerzeit mutmaßlich vollumfassend nickte, als Robert Habeck in seiner Promotionsaffäre mit gepresster Stimme verlangte, dass seine (ebenfalls plagiatspromovierte) Frau nicht mit hineingezogen werden dürfe, der aber andererseits nichts an Medienmitarbeitern auszusetzen findet, die bei Familienmitgliedern des Youtubers Marc-Philipp L. aufkreuzen.

Ihr Subtext lautet: Hätte er sich einfach nur an unverfängliche Aussagen gehalten, etwa die Aufforderung, Reiche zu erschießen beziehungsweise zur Zwangsarbeit heranzuziehen, dann müsste er keine Ausforschung seines Privatlebens fürchten, keine virtuelle Markierung seines Kopfes in der Böhmermann-Sendung und keine Begutachtung durch den Verfassungsschutz. Aber wer nicht hören will, muss eben fühlen. Beziehungsweise, wie schon Angela Merkel und Dunja Hayali meinten: Natürlich kann jeder sagen, was er will, nur muss er dann eben mit den Konsequenzen leben. Um welche es sich handeln könnte, das verriet die bayerische Linkspartei-Aktivistin Lisa Poettinger schon 2022 auf X:

Screenprint via X

Selbstverständlich wissen die Beteiligten, warum bestimmte Leute es vorziehen, sich zu bestimmten Themen lieber anonym zu äußern. Diejenigen, die so tun, als verstünden sie das nicht, stellen sich dümmer, als es unbedingt nötig wäre. Dafür gibt es übrigens keine Ober- oder vielmehr Untergrenze. Deshalb markiert der Zeit-Journalist Thomas Dudek nur eine vorläufige Endstufe, wenn er ganz geradeheraus fragt:

„Wenn Ostdeutsche angeblich so sensibel waren und sind, warum hatte bis 1989 nur eine Minderheit den Mut, sich für mehr Meinungsfreiheit in der DDR einzusetzen?“

Ja, warum klingelten sie nicht einfach bei der bekannten Diskursagentur MfS in der Normannenstraße in Ostberlin oder gleich in Wandlitz, um mit den Verantwortlichen zu reden? Die mussten angesichts dieser Zurückhaltung damals glatt zu dem Schluss kommen, ihre Untertanen wären an Meinungsfreiheit nicht interessiert. Und aufdrängen wollten sie ihnen schließlich auch nichts.

Über feine Antennen und Sensibilität, so viel steht fest, verfügen ausschließlich Angehörige dieses medialen Milieus, die auch ohne langes Nachdenken wissen, wann sie die Schnüffelei im Privatleben von Leuten verurteilen und wann sie diese Methoden gutheißen sollten, genauso wie sie instinktiv wissen, mit welchen Ansichten sie ihre eigene Laufbahn reibungsfrei fortsetzen, und womit sie sich keinen Gefallen tun würden. Am liebsten wäre ihnen selbstverständlich ein Land, in dem Mitarbeiter einer staatlichen Behörde im Familien- und Kollegenkreis bestimmter Leute den Klappausweis zücken und Fragen stellen würden, damit nicht Journalisten diese öde und teeküchenferne Fußtruppenarbeit erledigen müssen. Es würde gleich viel mehr Ruhe im Land herrschen, ungefähr so wie damals, als die Ostdeutschen sich aus welchen Gründen auch immer nichts aus wildem politischem Herummeinen machten.

Aber Moment: Eine Staatsbehörde für Diskurslenkung existiert in der Bundesrepublik durchaus, wenn auch nicht direkt unter diesem Namen. Und auch hier zeigt das Böhmermann-ARD-Spiegel-Zeit-Konglomerat, wer man ist, und was man kann.

Um ganz kurz zu rekapitulieren: In ihren letzten Amtstagen als Innenministerin ließ Nancy Faeser die offizielle Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextrem“ verkünden, hielt allerdings das entsprechende Gutachten des Dienstes geheim. Das kam dem Journalistenverband nicht skandalös vor, dort widmete man sich stattdessen schon den nötigen Folgerungen.

Screenprint: Deutschlandfunk Kultur

Dem Spiegel lag das angeblich vertrauliche Gutachten dann doch vor, das Magazin an der Erregungsspitze 1 in Hamburg machte es aber nicht der Öffentlichkeit zugänglich – wo denken Sie hin, wäre ja noch schöner –, sondern zitierte daraus selektiv. Bis dann Cicero und Nius das ganze Dossier veröffentlichten und plötzlich jeder selbst nachlesen und sich ein Urteil bilden konnte. Dass jeder selbst nachliest, kommt den wohlgesinnten Kreisen fast schon so katastrophal vor wie ein Land, in dem jeder innerhalb der legalen Grenzen am Ende bedenkenlos seine Meinung herausschwatzt.

Es gab ja auch gute Gründe, die 1108 Seiten nicht Hinz und Kunz zugänglich zu machen. Denn die konnten und können nun mit eigenen Augen sehen, dass es sich bei dem VS-Zusammenschriebs um einen Sack Zitatkonfetti mit teils dilettantischer, teils unfreiwillig komischer Kommentierung handelt. Wer sich durch die Schwarte liest, der kann den Verdacht nicht mehr abwehren, dass hier subversive Witzbolde beim BfV in Köln absichtlich an einem tausendseitigen Seich arbeiteten, um Faeser und die eigene Hausführung damit nach Strich und Faden zu blamieren. Die Gutachter hielten beispielsweise fest, dass Alice Weidel meint, das ‚Schwachkopf‘-Habeck-Meme eines bayerischen Rentners sei von der Meinungsfreiheit gedeckt. Das meinen mittlerweile selbst die Bamberger Juristen, die das Verfahren einstellten.

Ein anderes festgehaltenes und gesammeltes Zitat stammt von dem sächsischen AfD-Vorsitzenden Jörg Urban, bezieht sich auf sogenannte Meldestellen und lautet: „Das Ziel der neuen Sprachpolizei ist klar: Den Bürgern wird signalisiert, dass sie unter Beobachtung stehen, dass kritische politische Äußerungen erfasst und gesammelt werden.“

Auch daraus, so der Verfassungsschutz, ergebe sich die Verfassungsfeindlichkeit der Partei. Diese feine Dialektik erinnert an eine bekannte Karikatur von Ahoi Polloi, der spätestens jetzt in Köln anfragen sollte, ob dort auch zu ihm eine Akte vorliegt.

Als gesicherter Rechtsextremismusbeleg gilt beim VS auch ein Verweis auf die Seite messerinzidenz.de, die bundesweit Polizeimeldungen zur Messerkriminalität sammelt.

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Dass ein AfD-Mitglied die gewalttätigen Ausschreitungen von Eritreern in Gießen 2024 mit einem Hergé-Bild kommentierte, fällt für die Geheimdienstler in die Rubrik „fremden- und minderheitenfeindliche Positionen“.

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Es kommen außerdem einige radikale und zugespitzte Sätze von AfD-Mitgliedern vor, die sich in ähnlicher Tonlage auch bei der Linkspartei oder der Grünen Jugend finden – aber auf die ganze Partei lassen sie sich eben nicht beziehen. Vor allem taugt das Material dieses Lachgutachtens nie und nimmer als Begründung, um ein Verbotsverfahren in Gang zu setzen.

Das, wie gesagt, kann nun jeder selbst prüfen und gesichert einschätzen. Was man im Böhmermann-ARD-SpiegelZeitSternSZ-Kombinat als sehr, sehr schlecht empfindet. Detlef Esslinger meinte in der Süddeutschen vom 4. Mai, das AfD-Gutachten dürfe nicht geheim bleiben – vielleicht in der Hoffnung, mit einer ähnlichen Lieferung wie der Spiegel bedacht zu werden. Am 10. Mai, nachdem Cicero das ganze Konvolut ins Netz gestellt hatte, fand er: Aber doch nicht so!

Sein tiefes Missfallen drückte auch ein Stern-Mitarbeiter aus.

Man muss ein bisschen Verständnis aufbringen: Seit dem Tagebuch aus dem Führerhauptquartier fanden keine Geheimunterlagen mehr den Weg zu dem Hamburger Blatt.

Die Böhmermann-„Clownswelt“-Geschichte und die Faeser-Verfassungsschutzaffäre und die jeweiligen Medienreaktionen passen gleich an mehreren Stellen zusammen. Erstens, was das Rollenverständnis der beteiligten Journalisten angeht, die sich als Kampfreserve sehen, als Exekutoren, hier gegen den Produzenten von nichtlinken Videos, da gegen eine Oppositionspartei.

Zweitens in ihrer Fähigkeit, zwischen guter und schlechter Öffentlichkeit zu unterscheiden. Zur guten gehört die Ausforschung einer Person, die aus womöglich guten Gründen anonym bleiben wollte, zur schlechten, dass in einer Sache, die wirklich die Öffentlichkeit betrifft, diese Öffentlichkeit plötzlich auch selbst nachlesen kann. Hier wie da flackert auch nicht der geringste Zweifel und die kleinste Scham auf. Andererseits: Beides wäre auch verwunderlich. In die jeweiligen Positionen kommt man nur mit einer gewissen Grundunanständigkeit.

Es zeigt sich drittens ein Grundmuster, das diesen Teil des Medienbetriebs prägt: Es kommen ganze Journalistentrupps zusammen, um einen einzelnen bislang unbekannten 29-Jährigen aufzuspüren und einzuschüchtern, gleichzeitig wenden beispielsweise ZDF und ARD offenbar keinerlei Mühe auf, das Verfassungsschutzgutachten zur AfD in die Hand zu bekommen, geschweige denn kritisch darüber zu berichten.

Schon im vergangenen Jahr stürzten sich Hundertschaften von Frontberichterstattern dieser Art auf ein völlig bedeutungsloses Treffen mehrerer einflussloser Leute in einem Potsdamer Hotel, während sich praktisch kein einziger aus diesem Tross mit dem Schwindel von erfundenen chinesischen Umweltprojekten befasste, für die Dank der damaligen grünen Umweltministerin Steffi Lemke deutsche Steuermilliarden in einem schwarzen Loch verschwanden. Ein halbes Dutzend angeschickerte Jugendliche auf Sylt mit Döpdöpdöp? Republikamabgrund, Stern-Titelblatt (endlich wieder mit Hakenkreuz), Tagesschaumeldung, Leitartikelgewitter.

Andererseits: Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Cottbus gegen Annalena Baerbocks Beamte wegen des Verdachts der Einschleusung von Afghanen mit falschen Papieren? Das käme selbst dann nicht aufs Stern-Cover und in Böhmermanns Sendung, wenn jemand geheime Unterlagen in die jeweiligen Briefkästen stopfen würde. Die Reaktion muss niemand anordnen. Sie ergibt sich hier wie da praktisch von allein.

Derart diederichheßlingshaft, opportunistisch, handwerklich miserabel, lächerlich und selbstbesudelt wie in diesem doppelten Lehrstück stand das wohlgesinnte Pressekorps schon lange nicht mehr da. Auch in der Wirkung ähneln sich beide Vorgänge. Vor der Aktion von Böhmermann und Zeit gegen den Youtuber zählte „Clowswelt“ 227.000 Abonnenten. Ein paar Tage danach gut 400.000.

Und nach der Einstufung als „gesichert rechtsextrem“ durch den Verfassungsschutz steht die AfD in den Umfragen nicht schlechter da als vorher. Selbst die Aufmarschmaschine springt nicht mehr so an wie noch 2024 nach der Correctiv-Wannsee-Story.

Etliche Medienhäuser fordern schon seit längerem eine verstärkte staatliche Hilfe für ihre Blätter. Die Bedürftigkeit liegt auch wirklich auf der Hand. Vielleicht liegt ihre Zukunft in einer Fusion mit dem Verfassungsschutz. Zwei wankende Institutionen könnten einander stützen, der Steuerzahler wäre dabei. Und beide Seiten können nur an Reputation gewinnen, wenn ihre Texte in Zukunft geheim bleiben.

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