
Das spannendste politische Schauspiel dieser Tage findet auf der europäischen Ebene statt – und es könnte weitreichende Folgen haben, die das Alltagsleben der EU-Bürger massiv betreffen.
Die 27 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union wollen auf einem zweitägigen Gipfeltreffen eine Antwort finden auf die Schicksalsfrage ihrer Länder: Europa, wie hältst du es mit der Migration? Und wie stehst du zum Recht auf Asyl? Die EU könnte über diese Frage zerbrechen.
Die Konflikte zwischen den Staaten liegen offen zutage. Eine einheitliche Linie scheint kaum denkbar, auch deshalb, weil Deutschland sich in jener Rolle gefällt, die der Kanzler perfektioniert hat: der des Besserwissers. Sieht man vom Zwergstaat Luxemburg ab, steht nur Olaf Scholz fest an der Seite von Olaf Scholz.
Schlafwandlerisch sicher: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).
Bereits zum Auftakt der Beratungen wurde die Sonderrolle der Bundesrepublik deutlich. Wo der Rest Europas massive Probleme durch die ungezügelte Migration eingesteht und eine politische Kehrtwende fordert, da begnügt sich Scholz mit floskelhafter Zuversicht und lobt sich selbst. Die Zeit aber ging über ihn hinweg. Die Methode Scholz hat sich angesichts der dramatischen Migrationskrise überlebt. Viktor Orbán aus Ungarn, Giorgia Meloni aus Italien, Donald Tusk aus Polen, Karl Nehammer aus Österreich, Mette Frederiksen aus Dänemark und der niederländische Ministerpräsident Dick Schoof sind die Avantgarde. Scholz betreibt Rückzugsgefechte.
Nehammer sprach nun aus, was alle denken und Scholz nicht anerkennen mag: Die Probleme mit der Migration „wurden immer größer und nicht kleiner“, und sie durchziehen fast jedes gesellschaftliche Feld. Deshalb, so Nehammer, müsse der Staat „Handlungsfähigkeit zeigen“ und „diejenigen aus dem Land bringen, die nicht bleiben dürfen“. Nötig sei „eine geordnete Integration in den Arbeitsmarkt, aber nicht in die Sozialsysteme und nicht in die Destabilisierung der Gesellschaft“. Noch nie sprach Scholz das Offensichtliche aus: dass ein massenhafter Zuzug, vornehmlich von Männern aus dem arabischen Raum, die aufnehmende Gesellschaft destabilisiert.
Der österreichische Kanzler Nehammer erkennt an, dass die Probleme mit der Migration „immer größer und nicht kleiner“ wurden.
Nehammer positioniert sich auch klar an der Seite von Donald Tusk und Giorgia Meloni. Das von Italien soeben eröffnete Flüchtlingsaufnahmezentrum in Albanien würdigte Nehammer als Beweis, wie man „out of the box neue Möglichkeiten denken“ könne. Und dass Polen das Asylrecht aussetzen will, um seine Grenze zu Weißrussland vor dem Migrantenandrang zu schützen, kommentierte Nehammer so: „Innerhalb des Europäischen Rats, aber auch innerhalb der Gruppe gibt es große Unterstützung.“
Die Isolation von Scholz wird durch diese Aussage offenbar. Scholz schaudert es bei dem Gedanken, das Asylrecht könne nur ein Jota aufgeweicht werden. Er beharrte in Brüssel: „Wir müssen Schutz denen gewähren, die Schutz brauchen, und das werden wir immer tun.“ Offenbar spricht Scholz dem gegenwärtigen europäischen Asylrecht, das eine direkte Reaktion auf die Fluchtbewegungen des Zweiten Weltkriegs war, Ewigkeitsrang zu.
Pflichtschuldig ergänzte Scholz, „aber es kann nicht jeder kommen.“ In Deutschland kann aber faktisch fast jeder bleiben, der einmal gekommen ist – und um nach Deutschland zu gelangen, genügt ein Ticket von Kabul, Bagdad oder Damaskus nach Berlin. Das Zauberwort „Asyl“ macht es möglich.
Scholz hält sich zugute, das verabschiedete, aber längst nicht in nationales Recht umgesetzte Gemeinsame Europäische Asylsystem GEAS vorangetrieben zu haben und behauptet: „Das ist ein großer Erfolg der von mir geführten Bundesregierung.“ Faktisch musste er es den Grünen hart abringen. Und wenn Scholz nun fordert, GEAS schon vor 2026 umzusetzen, ändert das nichts an seiner Ablehnung von Ausreise- oder Flüchtlingszentren in Drittstaaten.
Migranten am Hafen von Ceuta: Ankunft in Europa.
Die Grünen sind es auch, die sich gegen eine kleine, aber entscheidende Anpassung sperren: Im strittigen EU-Asylpaket könnte die Formulierung fallen, es müsse eine „sinnvolle Verbindung“ zwischen dem illegal eingewanderten Migranten und dem Zielland seiner Abschiebung bestehen. Ohne diesen Konnex würden Ausweisungen deutlich erleichtert. Das wollen die Grünen verhindern. Jede striktere Asylpolitik erscheint ihnen als „hartherzig“. Dieses Wort wählte nun die grüne Politikerin Katharina Dröge.
Scholz kann sich mit den polnischen Absichten nicht anfreunden, und er hält wenig vom italienischen Flüchtlingszentrum in Albanien. Darauf angesprochen, zog er dieses, um Nehammer zu zitieren, echte Out-of-the-box-Modell ins Lächerliche. Es bedeute nur „ganz wenige kleine Tropfen“ und könne „für ein so großes Land wie Deutschland nicht wirklich die Lösung sein“. Scholz setzt unverdrossen auf verstärkte Kontrollen an den Außengrenzen. Damit setzt er das Wunschdenken seiner Amtsvorgängerin Merkel bruchlos fort.
Selbst die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die Witterung der neuen Zeiten aufgenommen. In einem Zehn-Punkte-Papier befürwortet sie die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten und sympathisiert mit Rückkehrzentren. Die neue migrationspolitische Härte, so die Botschaft, werde an ihr nicht scheitern. Schon haben die Niederlande unter Dick Schoof Uganda ins Spiel gebracht.
Bundespolizisten bei der Kontrolle auf der A4.
Alle, nahezu alle europäischen Staatschefs fürchten die rote Karte des Wählers, wenn es ihnen nicht gelingt, die Zuwanderung drastisch zu reduzieren. Europäische Solidarität im Herbst des Jahres 2024 bedeutet, gemeinsam zu verhindern, dass die eigenen Staaten von Migranten überrannt werden.
Olaf Scholz bleibt vor diesem Hintergrund ein Mann von gestern. Er hält grünen Illusionen die Treue, um seine ramponierte Koalition über den Winter zu retten. Je mehr er aber von Humanität und Solidarität schwadroniert, desto stärker wird er in den Augen der meisten Europäer zum abschreckenden Gegenbild: zum unsolidarischen Deutschen, der Europas Überlebensinteresse auf dem Altar des eigenen politischen Überlebens opfert.
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